Unterwegs zu den Lübecker Märtyrern
Fast auf den Tag genau 100 Jahre ist es her, das Johannes Prassek, einer der vier Lübecker Märtyrer und das Haupt der damaligen drei Kapläne der Lübecker Herz-Jesu-Kirche, am 13. August 1911 in dem großbürgerlichen Haus eines Hamburger Maklers im Grindelhof geboren wurde. Der 13. August 2011 – das ist nicht nur der 100. Geburtstag von Johannes Prassek, sondern zugleich auch der 50. Jahrestag des sogenannten Mauerbaus. An diesem Tag im Jahre 1961 vollzog die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik durch den Bau einer Mauer mitten durch Berlin die endgültige Teilung Deutschlands und ebnete damit Ostdeutschland endgültig den Weg in eine erneute diktatorische Staatsform, nur 1 ½ Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus.
50 Jahre nach der Errichtung der Berliner Mauer können wir heute also auf eine bewegte deutsche Geschichte zurückblicken. Zwei Diktaturen innerhalb der letzten 80 Jahre haben in Deutschland unauslöschliche Spuren hinterlassen. Viele Zeitzeugen aus beiden Systemen leben heute noch und können uns von den erfahrenen Ungerechtigkeiten und grausamen Unmenschlichkeiten, die damals herrschten, berichten. Das ist gut und wichtig, denn das erfahrene Leid der unzähligen Opfer darf nicht in Vergessenheit geraten und sollte uns Mahnung sein, uns dafür einzusetzen, das menschliche Zusammenleben in Zukunft friedvoller und menschenwürdig zu gestalten. Johannes Prassek, unser Lübecker Kaplan, ist nur eines von den vielen unzähligen, teils auch unbekannten und vergessenen Opfern beider Diktaturen. Seine Geschichte soll daher zugleich auch mit einem stillen Gedanken an alle Opfer des Nationalsozialismus und des Sozialismus verbunden sein.
Johannes Prassek, geboren am 13. August 1911, wuchs im Hamburger Stadtteil Barmbek auf. Geprägt wurde er in den ersten Lebensjahren besonders durch die liebevolle Art und den starken Glauben seiner Mutter. Aber auch an den „Grauen Schwestern“, die ihn in seinen ersten 5 Schuljahren in der katholischen Schule unterrichteten, hing er sein ganzes Leben lang. 1931 absolvierte er ein außerordentlich gutes Abitur auf dem renommierten Hamburger Johanneum und begann im selben Jahr sein Studium der katholischen Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main. 1933 wechselte Prassek nach Münster und bezog 1935 das Priesterseminar in Osnabrück. Hier wurde er schließlich im März 1937 im Osnabrücker Dom zum Priester geweiht. Nachdem er zunächst im mecklenburgischen Wittenburg seine erste Kaplanstelle antrat, wurde er im April 1939 an die Lübecker Herz-Jesu-Kirche gerufen.
In Lübeck fungierte Johannes Prassek, der auch der Dienstälteste unter den 3 jungen, in der Gemeinde tätigen Priestern war, als erster Kaplan. Unter anderem war er beispielsweise zuständig für die Frauenarbeit und den Religionsunterricht der Gymnasiasten und anderer Schüler. Auch traf sich bei ihm in regelmäßigen Abständen ein lockerer Kreis in Lübeck stationierter Soldaten. Stephan Pfürtner, ein zu Ausbildungszwecken in Lübeck stationierter Sanitätssoldat, der schon als sehr junger Mann den Krieg an der russischen Front kennen lernen musste, berichtete Jahre später ausführlich von seiner ersten folgenreichen Begegnung mit dem jungen Prassek: „Ich saß im sanften Glanz des ewigen Lichtes, der wie ein feiner rötlicher Schleier über dem Raum lag. Aber nach einer Weile trat noch jemand ein. Es war eine sehr große Gestalt mit ruhigen Bewegungen. Der Mann schien mich nicht bemerkt zu haben, sonst wäre er wohl nicht bis so dicht an den Altar gegangen, um auf der Stufe gleich vor dem Tabernakel niederzuknien. Jetzt sah ich, dass es ein junger Priester war. Ich wollte wieder zu meinen Gedanken und Fragen zurückkehren, da erblickte ich sein Gesicht im Schein der Lampe, stutzte und wusste augenblicklich, ich müsste diesen Priester kennenlernen.“
Zweifellos war Johannes Prassek mit einem überragenden Charisma ausgezeichnet, das ihn zu einem sehr einzigartigen und besonderen Menschen machte. Wo er auch war, er zog die Menschen an, und die wenigsten konnten sich dabei seiner Ausstrahlung entziehen. Zum einen war er ein sehr beeindruckender Redner, der mit einer kräftigen Bassstimme und dem Talent der freien Rede ausgestattet war – aber er fiel vor allen Dingen auch durch seine spontane Herzlichkeit, seinen jugendlichen Schabernack und durch seine aufmerksame und fast schon leidenschaftliche Teilnahme am Leben der Menschen in seiner Umgebung auf. Stets war er dabei geprägt von einer tief verwurzelten Frömmigkeit und einem hohen Verantwortungsbewusstsein. Dieses Verantwortungsbewusstsein orientierte sich immer und ausnahmslos an den Sorgen, Wünschen und Bedürfnissen seiner Gemeindemitglieder und aller Menschen, die seiner Hilfe bedurften. So betrieb Prassek etwa – auch gegen das strikte Verbot der NS-Behörde – Seelsorge für polnische Zwangsarbeiter, die er auch finanziell unterstützte. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen und Mütze konnte man ihn zuweilen mit den Zwangsarbeitern in der etwas verrufenen Hafengegend an der Lübecker Untertrave „spazieren gehen“ sehen – hier nahm er ihnen die Beichte ab und führte intensive seelsorgerische Gespräche mit ihnen.
Prasseks anfängliche Distanz zum Nationalsozialismus und dessen politischen System entwickelte sich so innerhalb kurzer Zeit zu einer aktiven Widerstandshaltung. Von Natur aus spontan und leidenschaftlich, handelte Prassek bei seinen zahlreichen Aktivitäten oft unvorsichtig und wies die Warnungen und Ratschläge von wohlmeinenden Menschen, er möge doch vorsichtiger agieren und predigen, stets zurück. Er soll sogar einmal erwidert haben, seiner Verhaftung sehe er bereits entgegen. Im Sommer 1941 schließlich lernte Johannes Prassek den evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink kennen. Beide verstanden sich sofort sehr gut und merkten bald, dass jeder von ihnen die Weltanschauung des Nationalsozialismus aus einer tiefen inneren christlichen Überzeugung heraus ablehnte. So begannen sie bald, sich auszutauschen, und informierten sich beispielsweise gegenseitig über die Inhalte aus den Sendungen der BBC, was streng verboten war. Allerdings befand Prassek sich zu diesem Zeitpunkt schon lange – seit seiner Wittenburger Zeit – im Visier der Gestapo. Den NS-Behörden waren die Aktivitäten von Johannes Prassek und auch der anderen Lübecker Kapläne durch Spitzel bereits teilweise bekannt geworden. Als nun die NS-Behörden erfuhren, dass hier ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher miteinander kooperierten, schreckten sie auf. Bislang hatten sie sich zumindest darauf verlassen können, dass die katholische und die evangelische Geistlichkeit stets getrennt agierten. Das war in Lübeck nun nicht mehr der Fall.
So wurde Johannes Prassek im Mai 1942 kurz nach der Festnahme Stellbrinks ebenfalls festgenommen und in das Marstall-Gefängnis im früheren Burgkloster gebracht. Während seiner Haft erfuhr er, dass ein „Freund“ mit katholischer Konversionsabsicht einer der Gestapo-Spitzel gewesen war, die ihn letztendlich zu Fall gebracht hatten. Dies erschütterte sein Grundvertrauen in die Menschen so stark, das er für den Fall seiner Freilassung nicht wusste, ob er überhaupt jemals wieder in der Seelsorge würde arbeiten können. Aber je länger Prassek in Haft saß, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass er mit einer Freilassung nicht rechnen konnte. Schon vor dem eigentlichen Prozess war es für ihn gewiss, dass ihn ein Todesurteil erwartete. In den Tagen vor dem Prozess schrieb er in seine Ausgabe des neuen Testaments ein von ihm formuliertes Gebet nieder, das in der Festschrift zur Seligsprechung der Lübecker Märtyrer zum ersten Mal veröffentlicht wurde:
„Ich nehme auf mich das Kreuz. In Deiner Kraft, mein Herr und Heiland, nehme ich auf mich das Schwere, das Gott mir zugedacht, mit Dir spreche ich zum Vater im Himmel. Dein Wille geschehe. Dein Wille geschehe in mir und durch mich. Ich vertraue fest, dass mir alles aus Deiner Liebe kommt. Ich glaube, dass Kummer und Mühsal mir Stufen werden können zur Höhe. Jesus Christus, sei Du mit mir! Du hast Dein Kreuz auf Dich genommen. Du weißt, wie schwer es ist, ein Kreuz zu tragen. Mein Herz ist bereit, o Gott, ich bin bereit. Gib mir Deine Kraft: zu überwinden und zu bestehen. Amen“
Teil 3: Eduard Müller: „Ich werde mich durch nichts von meiner Pflicht abwendig machen lassen.“