Unterwegs zu den Lübecker Märtyrern

Teil 6: Das Leben und Wirken des evangelischen Pastors Karl-Friedrich Stellbrink
Erstellt von Anja Mörchen am 22. Dezember 2011 um 08:55 Uhr

Der evangelische Pastor Karl-Friedrich Stellbrink wurde am 28. Oktober 1894 als viertes Kind eines Zollbeamten in Münster geboren. Sein Leben und seine Erziehung in Elternhaus und Schule waren von Anfang an geprägt von den damals im Protestantismus weit verbreiteten Maximen einer streng vaterländischen national-konservativen Gesinnung. Zu dieser Zeit war ein Kulturkampf im vollen Gange, in dem Bismarck versuchte, den Einfluss des Katholizismus im neu geschaffenen Deutschen Reich zurück zu drängen. Dieser Kulturkampf führte zu einer starken emotionalen Ablehnung des römischen Katholizismus bei vielen Protestanten. Auch der spätere Pastor Karl-Friedrich Stellbrink bezeichnete bis in die 30-er Jahre hinein katholische Geistliche nur abweisend und verachtend als römische Pfaffen. Diese verbreitete protestantische Geisteshaltung verband sich zudem mit einem schwärmerischen Glauben an die Einheit von Christentum und Deutschtum sowie einem Hass auf alles Jüdische. Das Internat des evangelischen Johannesstifts in Berlin-Spandau, das Stellbrink in jungen Jahren bezog, war durchdrungen vom Geist des Hofpredigers Adolf Stoecker. Dieser hatte sich der antijüdischen Demagogie verschrieben und trug so entscheidend dazu bei, dass der Antisemitismus im Protestantismus hoffähig wurde. Stellbrink, geprägt durch diesen Geist, war der Überzeugung, dass Gott etwas Besonderes mit dem deutschen Volk vorhat und das sich dieses Besondere nur im Kampf gegen das Fremde, gegen das Katholische und Jüdische verwirklichen lässt.

Als 19-jähriger verließ Stellbrink mit der mittleren Reife das Johannesstift und begann eine Ausbildung zum Auslandsprediger am Diasporainstitut in Soest. Während des ersten Weltkrieges musste er seine Ausbildung unterbrechen, da er eingezogen wurde, konnte jedoch nach einer schweren Verwundung, die zur Verstümmelung seiner linken Hand führte, und als deren Folge er aus dem Heer entlassen wurde, seine Ausbildung wieder fortsetzen. Ab 1921 arbeitete Stellbrink acht Jahre als Pastor deutscher Gemeinden in Brasilien. Zentrale Ziele der Auslandsarbeit waren die Pflege und Erhaltung der deutschen Sprache, der deutschen Sitte und Kultur. 1929 kehrte er mit seiner Frau Hildegard und seinen Kindern zurück. 1934 wurde er als Pastor an die Luther-Kirche in Lübeck berufen.

Zu diesem Zeitpunkt war Stellbrink noch ein überzeugter Nationalsozialist. Im Laufe der nächsten Jahre aber kam es zu einer folgenreichen inneren und äußeren Wende. Es setze sich ein Prozess der Ernüchterung und Distanzierung in Gange, bei dem sich Stellbrink klar erkennbar von alten Positionen löste. Mit Ausbruch des Krieges 1939 schließlich ging er in öffentlichen Äußerungen auf Distanz zur Aggressionspolitik Adolf Hitlers. So geriet er schnell ins Visier der Gestapo. Es kam zu ersten Verwarnungen aufgrund von Predigten. Man war nun auf ihn aufmerksam geworden und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, ihn mundtot zu machen.

Im Mai/Juni 1941 kam es zu einer ersten Begegnung zwischen Stellbrink und dem katholischen Kaplan Prassek, vermutlich bei einer Trauerfeier auf dem Lübecker Burgtorfriedhof. Beide erkannten offensichtlich sofort, dass sie, obwohl einander unbekannt, doch gleichen Geistes waren. Sie akzeptierten sich als christliche Brüder, verabredeten gegenseitige Besuche und den Austausch von Informationen. Durch diese Begegnung fand Pastor Stellbrink auch Zugang zur römisch-katholischen  Welt. Der verabredete Austausch weitete sich schnell aus, bald stießen auch die Kapläne Lange und Müller hinzu. Höhepunkt ihrer Aktivitäten war die gemeinschaftliche Vervielfältigung und Verbreitung der berühmten von-Galen Predigten vom Juli/August 1941 über die Aktion zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens.“ Längst waren da schon Spitzel der Gestapo auf die vier Geistlichen angesetzt, die eifrig an ihre Auftraggeber berichteten und Belastungsmaterial sammelten. Die Gelegenheit, zuzuschlagen, bot dann der verheerende Bombenangriff auf Lübeck in der Nacht zum Palmsonntag. Am Morgen nach dem Angriff hielt Pastor Stellbrink einen Gottesdienst. Er hatte die ganze Nacht über geholfen zu löschen und aus brennenden Wohnungen zu retten, was noch zu retten war. Übernächtigt und aufgewühlt von dem, was er erlebt hatte, predigte er: „Gott hat mit mächtiger Stimme gesprochen. Die Lübecker werden wieder lernen zu beten.“ Obwohl er es so nicht gesagt hatte, verbreitete sich schnell die Nachricht, der Pastor habe den Luftangriff „Gottesgericht“ genannt. Gottesgericht, das konnte bedeuten: Gericht über den Krieg, Gericht über Unrecht, Terror und Lüge, Gericht über die Vernichtung unschuldiger Geisteskranker. Gericht, ein Einspruch Gottes gegen das, was im Dritten Reich geschah. Für die Machtinhaber war dies eine ungeheure Provokation. Dieses Verhalten musste umgehend unterbunden werden. So wurde der evangelische Pastor als erster im April 1942 verhaftet. Das Todesurteil gegen ihn stand von vornherein fest.

Sein letzter Brief, geschrieben am Nachmittag vor der Hinrichtung, ist der Familie nie ausgehändigt worden. Anscheinend hatten die Behörden Angst, er könne in die Öffentlichkeit gelangen und den Pastor und seine Leidensgenossen in das Licht des Märtyrertums rücken. Erst vor ein paar Jahren wurde der Brief im Bundesarchiv wieder gefunden. Er beginnt: „Nun hat alles Warten ein Ende, der Weg liegt endlich wieder klar vor mir, und das Ziel ist uns Christen ja bekannt. Wie oft habe ich davon gepredigt, nun ist es bald erreicht. Da gilt mein erstes Wort dem treuen Gott, der mich so tausendfach in meinem Leben bewahrt und mit unendlich viel Freude erfreut hat. Wahrlich, es ist nicht schwer zu sterben und sich in Gottes Hand zu geben“.

Foto: Holstentor in Lübeck – Bildquelle: Andreas Gehrmann

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