Merkels Papstkritik erscheint wie eine Art „Versuchsballon“
Mühltal (kathnews). Im Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Priesterausbildung, „Optatam totius“, heißt es: „Die Alumnen, die gemäß den heiligen und festen Gesetzen ihres eigenen Ritus die verehrungswürdige Tradition des priesterlichen Zölibats auf sich nehmen, sollen mit großer Sorgfalt auf diesen Stand hin erzogen werden: sie verzichten darin um des Himmelreiches willen (vgl. Mt 19,12) auf die eheliche Gemeinschaft, hängen dem Herrn mit ungeteilter Liebe an, wie sie dem Neuen Bund in besonderer Weise entspricht; sie geben Zeugnis für die Auferstehung in der künftigen Welt (vgl. Lk 20,36) und gewinnen besonders wirksame Hilfe zur ständigen Übung jener vollkommenen Liebe, die sie in ihrer priesterlichen Arbeit allen alles werden lässt.“ Das Zweite Vatikanische Konzil unterstreicht hier also definitiv die Bedeutung des Zölibats. Dennoch sind es gerade diejenigen Theologen, die sich beharrlich auf das Zweite Vaticanum oder zumindest einen angeblichen „Geist des Konzils“ berufen, die sich nun gegen die priesterliche Ehelosigkeit stellen.
Ihren Ursprung hat die gegenwärtige Diskussion über den priesterlichen Zölibat in einem Schreiben verschiedener CDU-Politiker, die sich mit dem Vorschlag an die Bischöfe wandten, eventuelle Lockerungen beim priesterlichen Zölibat zu erwägen.
Kathnews-Chefredakteur Benjamin Greschner sprach mit Pfarrer Hendrick Jolie, Mitglied im Sprechergremium des Netzwerks Katholischer Priester, über die aktuelle Diskussion und die priesterliche Ehelosigkeit. Hendrick Jolie, Jahrgang 1963, wurde 1992 zum Priester geweiht. Er studierte Theologie und Philosophie in Mainz und Freiburg/Bg. und ist Priester des Bistums Mainz. Seit 1997 leitet vier kleine Landgemeinden südlich von Frankfurt am Main. Pfarrer Jolie bildet mit Pfr. Dr. Guido Rudheudt und Pfarrer Uwe Winkel das Sprechergremium des Priesternetzwerkes, das sich seit 2001 um eine lehramtstreue Ausübung des priesterlichen Dienstes bemüht.
Benjamin Greschner: Die gegenwärtige Diskussion über den priesterlichen Zölibat hat ihren Ursprung in einem Brief einiger CDU-Politiker, in dem sie eine Lockerung beim Zölibat forderten. Wie beurteilen Sie dieses Schreiben? Hochwürden, ist es in Ihren Augen eine Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten oder ein nett gemeinter Denkanstoß?
Pfr. Hendrick Jolie: Diese Einschätzung wird wohl vom Standpunkt des Betrachters abhängen (lacht). Mir persönlich missfällt es, dass maßgebliche Kreise der CDU versuchen, in teilweise recht anmaßender Weise innerkirchliche Vorgänge zu beeinflussen. Den Anfang machte die Bundeskanzlerin 2009 höchstper-sönlich, als sie in Gegenwart eines politisch äußerst zweifelhaften Subjektes (es war der Präsident von Kasachstan) den Papst öffentlich kritisierte. Damals ging es um die Äußerungen von Bischof Williamson. Im Nachhinein erscheint diese Ungezogenheit wie eine Art „Versuchsballon“: Denn mit dem sicheren Gespür für die Stimmung im Volk wusste die Kanzlerin sehr wohl, dass sie mit ihrem Angriff auf den Papst das Lebensgefühl der allermeisten Katholiken (auch der Bischöfe) traf. Die zögerlichen Reaktionen der Bischöfe im Zusammenhang mit der Merkel-Kritik haben ja gezeigt, dass hier ein Riss durch die Kirche ging. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz beeilte sich zu betonen, er habe „Verständnis“ – nicht etwas für das Vorgehen des Papstes, sondern für Merkels Kritik. Die Rechnung ging also auf: Selbst einige der tonangebenden Bischöfe waren bereit, den Papst im Regen stehen zu lassen, wenn dieser wegen einer unpopulären und für den Mann von der Straße nicht sofort nachvollziehbaren Entscheidung in die Kritik geriet. Das Ziel war erreicht: Dem Papst wurde ein klares Signal gegeben, sich in die Angelegenheiten der deutschen Katholiken zukünftig nicht allzu sehr einzumischen, weil die Bereitschaft, ihm zu folgen, bei Hirten und Herde nicht sehr ausgeprägt war.
Bei der leidigen Zölibatsfrage wiederholt sich nun dieses Spielchen, allerdings in einer weitaus bedeutungsvolleren Frage. Die inakzeptablen Äußerungen von Bischof Williamson zum Holocaust waren viel zu abwegig, als dass irgendjemand im Ernst hätte behaupten können, der Papst würde mit dessen Ansichten sympathisieren. Die Infragestellung der priesterlichen Lebensform unter dem Vorwand des sogenannten Priestermangels hingegen berührt den Lebensnerv der Kirche. Wenn man sich die Damen und Herren, die diesen Aufruf unterzeichnet haben, genauer anschaut, dann ist sofort klar: Nach den „viri probati“ kommt das Diakonat der Frau und anschließend die Priesterin. Einige der Unterzeichner haben diese Forderungen an anderer Stelle ja auch schon erhoben, das können sie alles im Internet nachlesen. Auch hier handelt es sich also wieder um einen „Testballon“: Wo ist bei den deutschen Bischöfen die Schmerzgrenze erreicht?
Mit ihrem Aufruf haben es die Politiker nun abermals fertiggebracht, mit einem sicheren Gespür für die Stimmungslage der Katholiken dem Papst ein klares Zeichen zu geben: In Deutschland stehst du auf verlorenem Posten, nimm dich in acht! Die Verbindungen zwischen den ZdK-Größen der Union und gewissen Bischöfen sind darüber hinaus so eng, dass deren Einstellung zu Fragen der „Zugangsbedingungen zum Priestertum“ (wie man so schön sagt) ja hinlänglich bekannt ist. Nun hat der politische Instinkt den Riss aufgespürt, der schon seit langem durch die Kirche geht. Ein willkommener Anlass, den Papst zu schwächen und die eigenen Lieblingsthemen medienwirksam zu platzieren: Gleichberechtigung, Emanzipation, sexuelle Selbstbestimmung etc. Wenn die Autoren dieses Briefes sich wirklich um die Zukunft der Gemeindepastoral sorgen würden, hätten sie ein vertrauliches Gespräch mit den Bischöfen gesucht. Stattdessen setzen sie sich nun dem Verdacht aus, den Papstbesuch im Herbst dieses Jahres als Kulisse zu nutzen, um mit dem Hinweis auf den sogenannten Priestermangel das Kirchenvolk gegen den Papst aufzuwiegeln. Und Sie werden sehen: Diese Rechnung geht auf. Noch bin ich bereit, Wetten entgegenzunehmen (lacht).
Benjamin Greschner: Mittlerweile haben sich bereits einige Bischöfe und Priester in den Medien zum Zölibat geäußert und die Bedeutung des Kleriker-Zölibats unterstrichen. Besonders die Stellungnahmen von Kardinal Walter Brandmüller sind dabei von einer tiefen Liebe zur Kirche und zum Zölibat geprägt. Er musste allerdings auch schon Kritik von dem einen oder anderen Amtsbruder einstecken. Fehlt es der Kirche in Deutschland an Prälaten vom Schlag eines Kardinals Brandmüller?
Pfr. Hendrick Jolie: Diese Frage kann vorbehaltlos mit „Ja“ beantwortet werden. Zunächst war auch ich überrascht über die Heftigkeit, mit der Kardinal Brandmüller den auf den ersten Blick recht harmlos wirkenden „Vorschlag“ der CDU-Größen zurückgewiesen hatte. Diese hatten ja geschickterweise die Betroffenheitsmiene aufgesetzt und von ihrer „Sorge“ um die Kirche gesprochen. Frei nach dem Motto: „Seid nicht undankbar. Wir meinen es doch nur gut mit euch!“ Kardinal Brandmüller hat das Perfide dieser Aktion mit dem analytischen Blick des Historikers durchschaut. Dementsprechend argumentiert er historisch: Er sieht den Vorstoß im Zusammenhang mit den nationalkirchlichen Bestrebungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals zogen Liberale und Demokraten im Gefolge der Aufklärung gegen den Katholizismus zu Felde. Die Ultramontane Ausrichtung war ihnen genauso ein Dorn im Auge wie die ehelose Verfügbarkeit des Klerus. Die Folgen dieser Angriffe waren u.a. ein Säkularisierungsschub und ein tief sitzender Antiklerikalismus, der sich mittlerweile in fast ganz Europa etabliert hat. Das Bemerkenswerte an der Erwiderung Kardinal Brandmüllers ist eben, dass er in erster Linie geistlich (der Zölibat ist die Lebensform Jesu Christi) und historisch argumentiert und damit den Horizont umreißt, vor dem man diesen „Vorstoß“ verstehen und einordnen muss. Dass seine Kritiker dazu offenbar nicht in der Lage sind und somit gar nicht verstanden haben, vor welchen Gefahren er warnt, wurde anschließend eindrucksvoll dokumentiert: Da wird vollen Ernstes die Niveaulosigkeit seiner Argumente kritisiert oder „Scham“ angesichts seiner Äußerungen bekundet – ein beredtes Beispiel für den Niveauverlust in der Diskussionskultur unseres Landes und auch unserer Kirche. Deshalb fällt der Vorwurf der Niveaulosigkeit auf jene zurück, die ihn erhoben haben.
Benjamin Greschner: Die Zölibats-Debatte führt wieder vor Augen, dass in den Medien und der Öffentlichkeit oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Buddhistische Mönche sind beliebt und werden für ihren Lebensstil von vielen Menschen und den Medien geschätzt. Dass der Lebensstil dieser Mönche allerdings auch zölibatär ist, wird dabei scheinbar vergessen oder bewusst ausgeblendet. Wieso werden katholische Geistliche für ihre Ehelosigkeit angefeindet und Vertreter andere Religionen dafür geachtet? Was läuft hier schief?
Pfr. Hendrick Jolie: Meine bescheidene Meinung ist folgende: Das große Problem ist erstens die Verbürgerlichung und zweitens die Funktionalisierung des priesterlichen Amtes. Deshalb schaut man zu einem Priester heutzutage nicht mehr hinauf wie beispielsweise zu einem ausgemergelten Buddhisten oder einem Krishna-Jünger. Vielmehr schaut man auf ihn herab, und zwar in einer Mischung aus Befremden und Mitleid. Sie mögen das übertrieben finden: Ich jedoch erlebe das täglich vor Ort und ich sage das nüchtern feststellend und ohne Anflüge von Selbstmitleid.
Zum ersten Punkt: Ich will niemandem meiner Mitbrüder zu nahe treten, aber viele Priester scheinen von der Heiligkeit und Würde ihres Standes wenig überzeugt zu sein. Das können Sie schon am äußeren Auftreten vieler Priester erkennen. Die meisten wollen „nichts Besonderes“ sein, lassen sich ganz bürgerlich mit „Herr XY“ anreden und führen ein „normales“ Durch-schnittsleben, das sich von dem eines freiberuflichen Singles kaum unterscheidet: Wohnung, Auto, Urlaub, Freizeit, Fernseher, Hobby (meistens Sport oder ein anderes Trendhobby). Die Anrede „Hochwürden“ ist den meisten Priestern peinlich. Um einen Mitbruder, der wie z.B. ich Soutane trägt, macht man einen weiten Bogen und macht ihn bei jeder passenden Gelegenheit lächerlich. Der schlimmste Vorwurf in Priesterkreisen ist, ein Mitbruder sei „klerikal“ (was immer das auch heißen mag). Sie dürfen alles sein: Homosexuell, ein Weiberheld, ein Apostat, ein Paradiesvogel oder ein Phantasiepriester, nur eines nicht: klerikal. Dann sind sie sozial erledigt.
In der Liturgie gibt man sich kumpelhaft und versucht ängstlich, jeden Anschein der Distanz oder Sakralität zu vermeiden: Je menschlicher, weltlicher und – wie die Leute bei uns so sagen – „lockerer“ der Priester auftritt desto beliebter und volksnaher ist er angeblich. Den Urlaub verbringen nicht wenige Priester in einem bürgerlichen Umfeld ohne tägliche Zelebration und priesterliche Kleidung. Auf dem Hintergrund dieser Lebensweise erscheint der Zölibat dann in der Tat als fürchterlich aufgesetzt, anachronistisch und nahezu bizarr.
Ein zweites: Priester sind heute durch die kooperative Pastoral und die gigantischen Seelsorgsräume weitgehend ihrer priesterlichen Identität als Hirten und „Väter“ der Gemeinden beraubt. Der Pfarrer ist oftmals einer unter vielen – im Pastoralteam einer „Seelsorgskolchose“ (diesen Begriff verdanke ich Dr. Rodheudt und finde ihn sehr treffend), im Seelsorgerat oder in anderen pastoralen Gremien. Er ist degradiert zu einem Funktionär, dessen Aufgabe es ist, Riten abzuwickeln, für die nur er die Legitimation besitzt. Warum nur er bestimmte Dinge machen darf, wird oftmals gar nicht mehr verstanden. Die pseudosakramentalen Laienliturgien werden in den nächsten Jahren ihr Übriges tun, um diesem priesterlichen „Privileg“ endgültig den Garaus zu machen. So wundert es überhaupt nicht, dass der Zölibat angesichts eines solch „kastrierten“ (entschuldigen Sie den Ausdruck, aber er drängt sich mir einfach auf) Priesterbild seine Grundlage verliert. Wenn der Pfarrer nicht mehr jener ist der in der Person Christi den Guten Hirten repräsentiert, dann fragt man sich in der Tat: Warum soll er die Lebensform Jesu auf sich nehmen dieses Opfer der Enthaltsamkeit bringen? Der Priester ist ein Mensch wie du und ich, warum soll er dann nicht auch leben wie jedermann? Das ist nicht einzusehen.
Benjamin Greschner: Abschließend ein Ausblick in die mittelfristige Zukunft: Wo sehen Sie den priesterlichen Zölibat in der katholischen Kirche den nächsten Jahren und Jahrzehnten?
Pfr. Hendrick Jolie: Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, wir dürfen die deutschsprachigen Katholiken nicht als den Nabel der Welt betrachten. Dennoch sind wir theologisch, finanziell und auch institutionell für viele Regionen der „Schrittmacher“. Es ist deshalb auch weltkirchlich gesehen nicht unwichtig, wie es bei uns weitergeht. Die entscheidende Frage ist weniger der Zölibat sondern die Frage, ob es den Bischöfen bei uns gelingt, den flehentlichen Bitten des deutschen Papstes nachzugeben und dem Priester seine Identität zurückzugeben. Hier gibt es in der Tat einen Reformstau: Eine Reform der nahezu vollständig verunglückten „kooperativen Pastoral“, damit der Priester wieder Hirte sein kann und eine Reform der Liturgie, damit der Priester nicht als Mahlvorsteher, sondern als derjenige sichtbar wird, der in der Perons Christi das Opfer des Kreuzes vergegenwärtigt.
Vieles müsste man noch nennen. Der Papst hat hier unendlich wertvolle Impulse gegeben – nicht zuletzt durch seine ad limina-Ansprachen an die deutschen Bischöfe und durch seine liturgischen Vorstöße. Umgesetzt wurde davon in deutschen Landen so gut wie nichts, im Gegenteil: Munter schreitet die Demokratisierung von Pastoral und Liturgie voran, ungeachtet von „summorum pontificum“ und anderer päpstlicher Initiativen wie z.B. der großen Ansprachen des Priesterjahres. Alles vergessen und abgeheftet. Stattdessen haben die deutschen Bischöfe einen Dialogprozess angekündigt mit einer kirchenpolitischen Schlagseite in Richtung Liberalismus. Denn mit den Gläubigen, die z.B: die Alte Messe lieben, wollen sie nicht dialogisieren. Die Quittung für dieses naive Vorgehen wurde ihnen nun bereits in Form des offenen Briefes der Universitätstheologen präsentiert.
Sie können das übertrieben finden, ich sage Ihnen aber: Erst auf dem Hintergrund von Reformen, die diesen Namen auch verdienen, würde der Zölibat wieder als integraler Bestandteil des Priestertums verständlich werden. Machen wir uns nichts vor: Durch die Missbrauchsdebatte und das zum Teil recht unbeholfene Agieren vieler Oberhirten ist die Kirche im vergangenen Jahr sturmreif geschossen worden. Die verzweifelten Versuche der Bischöfe, den Zölibat nun in letzter Sekunde zu verteidigen, wirken ebenso halbherzig bis verlegen und werden von den Politikern auch so eingeordnet – da bin ich mir absolut sicher. Schließlich hat z.B. der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz seine Amtszeit 2008 mit dem Statement begonnen, der Zölibat sei „theologisch nicht notwendig“ – was immer das auch heißen mag. Auch wenn zurzeit der gesamte Episkopat zurückrudert, weil er weiß, dass hier letztlich die Einheit mit dem Papst auf dem Spiel steht: Die jetzigen Rettungsversuche sind auf dem Hintergrund früherer Aussagen wenig glaubwürdig. Was die Zukunft bringt, ist deshalb in meinen Augen völlig offen. Mag sein, dass noch Schlimmeres passieren muss, bis die Verantwortlichen in der Kirche aufwachen und den Priestern ihre Würde zurückgeben. Man darf gespannt sein wohin der Dialogprozess der deutschen Bischöfe führt. Die ersten Äußerungen zum Thema lassen glaubenstreue Katholiken eher schaudern als hoffen. Zum Glück gilt die Verheißung der Gottesmutter weiterhin: „Mein unbeflecktes Herz wird am Ende triumphieren“. Hätten wir diese Garantie nicht, dann wäre es zum Verzweifeln, das sage ich ihnen ganz offen und ohne jede Übertreibung.
Benjamin Greschner: Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen über Pfarrer Hendrick Jolie: www.pfarrer-jolie.de