Lumen gentium, Artikel 18

Die hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das Bischofsamt.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 2. August 2014 um 16:08 Uhr
Vaticanum II, Papst Paul VI.

Einleitung von Gero P. Weishaupt:

Mit Artikel 18 beginnt der dritte Teil von Lumen gentium. Er ist lehrmäßig der bedeutendste und gewichtigste der ganzen Kirchenkonstitution, ja sogar des gesamten zweiten Vatikanischen Konzils. Nachdem in den ersten beiden Kapiteln die Kirche als solche, ihr Wesen, beschrieben wurde, wenden sich die Konzilsväter im dritten Kapitel der hierarchischen Verfassung der Kirche zu. Dabei wird dem Amt des Bischofs besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Von doktrinärer Warte aus gesehen werden vor allem in Artikel 21 über die sakramentale Begründung des Bischofsamtes in allen seinen Funktionen, in Artikel 22 über das Bischofskollegium und sein Verhältnis zum Primat des Papstes sowie in Artikel 25 über das Lehramt der einzelnen Bischöfe gesondert, des Bischofskollegiums als Ganzem und des Papstes wichtige, auch für die Wirkungsgeschichte des Konzils nachhaltige Aussagen gemacht. Auch aktuell ist das Thema wieder virulent, insofern Papst Franziskus das Bischofsamt und damit die Partikularkirchen besonders stärken möchte. Es geht bei diesem Thema letztlich um das rechte (und oft spannungsreiche) Verhältnis von Universal- und Partikularkirche, von römischem Zentralismus und bischöflicher Autonomie, von notwendiger Einheit und legitimer Verschiedenheit.

Kein Bruch mit der Tradition, sondern Fortsetzung des Ersten Vatikanischen Konzils

Dass die Konzilsväters vor allem dem Bischofsamt ihre Aufmerksamkeit widmen und das Amt des Papstes nur in Beziehung zu den Bischöfen und dem Bischofskollegium behandeln, also den Blick vom Primat des Papstes mehr auf die Kollegialität der Bischöfe richten, ist kein Bruch mit der Tradition, auch wenn sich in den Texten sprachliche und auch inhaltliche Unebenheiten in Bezug auf die Aussagen des Ersten Vatikanischen Konzils nachweisen lassen, die zu hermeneutischen Fehldeutungen Anlass geben können, die auf eine zu beklagende Schwäche der Texte der Zweiten Vatikanischen Konzils im allgemeinen hindeuten und Ursache für „nachkonziliare“ Fehlentwicklungen in der Kirche sind. Schon Papst Paul VI. hat gegen eine die Tradition ausklammernde Hermeneutik Stellung genommen, indem er der Kirchenkonstitution eine erklärende Note vorangestellt hat (Nota explicativa praevia), in deren Licht die Konstitution, insbesondere Lumen gentium Artikel 22 über Primat und Kollegialität, gelesen, verstanden und umgesetzt werden muss. Nur eine Hermeneutik der Kontinuität (Benedikt XVI.) d.h. unter Berücksichtigung der Tradition der Kirche, hier insbesondere des Ersten Vatikanischen Konzils, vermag dem Anliegen des Konzils und der Intention der Konzilsväter gerecht zu werden. (Siehe näher hierzu: Thomas Prügl, „Primat des Papstes und Kollegialität der Bischöfe. Konsensmodell oder Quadratur des Kreises?“, in: Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg im Breisgau 2012, 268-282.). Grundsätzlich aber gilt: Die geänderte Blickrichtung der Konzilsväter hat ihren Grund darin, dass das Thema „Bischöfe“ und „bischöfliche Kollegialität“ auf dem Ersten Vatikanischen Konzil infolge der Unterbrechung dieses Konzils wegen des Deutsch-Französischen Krieges 1870 nicht mehr ausführlich diskutiert werden konnte. Dadurch landeten Entwürfe von Texten über Aussagen des Ersten Vatikanischen Konzils über die Bischöfe in den Archiven. Zwar hat dieses Konzil das Papstamt genau definiert und wurde auf dem Konzil das Dogma von der Unfehlbarkeit feierlich verkündet, doch blieb das Erste Vatikanische Konzil im Hinblick auf die fehlenden Aussagen über das Bischofsamt ein Torso. Das hatte zur Folge, dass das Erste Vatikanische Konzil nur einseitig vom Primat des Papstes gesprochen hat und das Thema der Kollegialität bzw. des Bischofskollegiums – durch politische Umstände bedingt – ausgeblendet geblieben ist.

Gleichgewicht wiederhergestellt unter Berücksichtigung der altkirchlichen Kategorie der „Communio“

Was die Väter des Ersten Vatikanischen Konzils – und auch die Römische Schule – als unvollendete Aufgabe wußten, das haben die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Abschluss bringen wollen, indem sie im dritten Kapitel der Kirchenkonstitution Lumen gentium Wesen und Aufgabe des Gesamtepiskopates in den Blick nehmen und dadurch das Gleichgewicht zwischen Primat und Gesamtepiskopat, zwischen Universal- und Partikularkirche wiederherstellen, indem sie, aus den Quellen der patristischer Theologie schöpfend, das Verhältnis von Papst und Bischöfen in den altkirchlichen Rahmen der Communio-Theologie, die die Kirche als Gemeinschaft (Griechisch: Koinonia) versteht, hineinstellen.

Vor diesem Hintergrund ist die Absichtserklärung der Konzilsväter in Artikel 18 von Lumen gentium zu verstehen: „Diese Lehre über Einrichtung, Dauer, Gewalt und Sinn des dem Bischof von Rom zukommenden heiligen Primates sowie über dessen unfehlbares Lehramt legt die Heilige Synode abermals allen Gläubigen fest zu glauben vor.“ Dabei weisen sie ausdrücklich in einer Fußnote im Text von Lumen gentium auf die einschlägigen Aussagen der dogmatischen Konstitution Pastor aeternus des Vorgängerkonzils hin. Es geht den Konzilsvätern also nicht um eine Revision der Aussagen des Vorgängerkonzils, sie wollen auch nicht die Rechte und Privilegien des Papstes einschränken. Vielmehr wollen sie eine Schieflage korrigieren, indem sie – in Kontinuität mit den Lehren des Ersten Vatikanischen Konzils und auf seiner Grundlage den Blick auf das Bischofsamt lenken und damit den auf dem Ersten Vatikanischen Konzil geöffneten Kreis wieder schließen. Es ist diese Komplementarität zwischen Primat und Kollegialität, die aufzuzeigen den Konzilsvätern ein Anliegen ist.

Das hierarchische Amt als Dienst am Menschen im Hinblick auf sein Heil

Zuvor weisen die Konzilsväter auf den Dienstcharakter jedes hierarchischen Amtes in der Kirche hin.  Insbesondere verleiht das  sakramental vermittelte Amt des Bischofs Anteil an den  – später näher dargestellten – drei Ämtern Christi (tria munera Christi) des Lehrens (docendi), des Heiligens (sanctificandi) und der Leitens (regendi), also – biblisch gesprochen – am prophetischen, priesterlichen und königlichen Hirtenamt Christi. Alle auf heiliger, sakramental vermittelter Vollmacht (sacra potestas) gründenden hierarchischen Dienstämter (ministeria) sind ihrer Natur nach „auf das Wohl des ganzen Leibes ausgerichtet“, „damit alle, die zum Volk Gottes gehören … zum Heile gelangen“.

Text von Lumen gentium Artikel 18

Um Gottes Volk zu weiden und immerfort zu mehren, hat Christus der Herr in seiner Kirche verschiedene Dienstämter eingesetzt, die auf das Wohl des ganzen Leibes ausgerichtet sind. Denn die Amtsträger, die mit heiliger Vollmacht ausgestattet sind, stehen im Dienste ihrer Brüder, damit alle, die zum Volke Gottes gehören und sich daher der wahren Würde eines Christen erfreuen, in freier und geordneter Weise sich auf das nämliche Ziel hin ausstrecken und so zum Heile gelangen.

Diese Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt und erklärt feierlich mit ihm, daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20,21). Er wollte, daß deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt. Diese Lehre über Einrichtung, Dauer, Gewalt und Sinn des dem Bischof von Rom zukommenden heiligen Primates sowie über dessen unfehlbares Lehramt legt die Heilige Synode abermals allen Gläubigen fest zu glauben vor. Das damals Begonnene fortführend, hat sie sich entschlossen, nun die Lehre von den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, die mit dem Nachfolger Petri, dem Stellvertreter Christi und sichtbaren Haupt der ganzen Kirche, zusammen das Haus des lebendigen Gottes leiten, vor allen zu bekennen und zu erklären.

Foto: Vaticanum II. Papst Paul VI. – Bildquelle: Lothar Wolleh / Wikipedia

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