Lumen gentium. Artikel 1

Die Kirche als Sakrament.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 25. Januar 2014 um 11:36 Uhr
Papst Pius XII., Krönung

EinfĂĽhrung von Gero P. Weishaupt: Im ersten Artikel der Kirchenkonstitution Lumen gentium äuĂźern die Konzilsväter – Papst und Bischöfe – ihren Wunsch nach Erneuerung der Kirche, damit das Licht der Völker, das  Christus ist, „auf dem  Antlitz der Kirche widerscheint“ (super faciem Ecclesiae resplendente). So sollen alle Menschen durch Christus, der ihnen durch die Kirche entgegentritt (vgl. Augustinus), erleuchtet werden. Der Ruf nach Reform, damit „das Antlitz Christi“ auf der Kirche leuchtender widerscheint, folgt aus der „komplexen“ Wirklichkeit, die die Kirche ist. Die Kirche ist nämlich – zugleich – einerseits eine verborgene, geistige Wirklichkeit, andererseits eine sichtbare, institutionelle Wirklichkeit. Beides darf nicht von einander getrennt werden, wie auch in Christus in analoger Weise – wie es später in Lumen gentium heiĂźt – göttliche und menschliche Natur, Unsichtbares und Sichtbares zu einer Einheit (in seiner Person) vereinigt sind.

In dieser komplexen Dimension ist die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“. Darum nennen die Konzilsväter die Kirche Sakrament (Ecclesia in Christo … veluti sacramentum). Damit wollen sie kein weiteres Sakrament zu den sieben Sakramenten hinzufügen. Vielmehr greifen sie einen weiten, von den Kirchenvätern bereits verwendeten Begriff von „Sakrament“ auf. So bezeichnete der heilige Cyprian von Karthago die Kirche als „inseparabile unitatis sacramentum“, als das unauflösliche Sakrament der Einheit, die sich in der Einheit mit dem Bischof zeigt. „Die Absicht der Konstitution ist es nun, im Sinne dieses alten Sprachgebrauchs der Kirche eine sakramentale Zeichenhaftigkeit und Werkzeuglichkeit im Ganzen der göttlichen Heilsökonomie für die gesamte Menschheit und ihre Geschichte zuzuschreiben. … Wer sich der Kirche Christi angliedert, tritt durch ihre Vermittlung in eine letzte Gottgemeinschaft und zugleich in eine tiefere Gemeinschaft der Menschen unter sich. … (S)ich der Kirche eingliedern heißt schon jetzt real, wenn auch … nur anfangs- und verborgenerweise, hineingenommen werden in die eschatologische Familie der Kinder Gottes, deren Mitte Gott und Christus, deren einendes Band der Geist ist“ (Aloys Grillmeier, Kommentar zu Lumen gentium, in: LThK, I, Freiburg 1966, 157 f.). Die Kirche als Sakrament („Ur- oder Wurzelsakrament“) besagt, dass Christus sein Heilswerk ohne die Kirche nicht vollenden kann. Die Kirche ist die Vermittlung Christi in die jeweilige Gegenwart hinein.

Diese sakramentale Ekklesiologie (= Lehre von der Kirche) hat ihre Wurzeln in der Theologie der Kirchenväter. Sie wurde im 19. Jahrhundert in der katholischen TĂĽbinger Schule (Johann Adam Möhler u.a.) spekulativ entfaltet und im 20. Jahrhundert kirchenamtlich in der Enzyklika Mystici Corporis von Papst Pius XII. lehramtlich rezepiert, wenngleich der Parcelli-Papst den Begriff noch nicht verwendet. Mit der Rede des Zweiten Vatikanischen Konzils von der Kirche als Sakrament wird deutlich, wie sehr es den Konzilsvätern ein Anliegen war, die Kirche im RĂĽckgriff auf die Tradition theologisch zu beschreiben und von diesem Wesensbegriff her zu erneuern. Damit das Sichtbare-Institutionelle der Kirche dem Unsichtbar-Verborgenen als Instrument dienen kann; damit das Unsichtbar-Verborgene im Sichtbaren-Institutionellen widerstrahlen kann, darum bedarf es zu bestimmten Zeiten der Erneuerung der Kirche, einer „Reform in Kontinuität“ (Benedikt XVI.). Dieser Aufgabe stellten sich die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Lumen gentium. Artikel 1

„Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkĂĽndet (vgl. Mk 16,15). Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heiĂźt Zeichen und Werkzeug fĂĽr die innigste Vereinigung mit Gott wie fĂĽr die Einheit der ganzen Menschheit. Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortfĂĽhren, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären. Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse geben dieser Aufgabe der Kirche eine besondere Dringlichkeit, daĂź nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen.“

Foto: Papst Pius XII., Krönung – Bildquelle: Entheta/Wikipedia

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