Kommentar zur Instruktion “Universae Ecclesiae” – VII. Teil
Das Motu proprio “Summorum Pontificum” “gewährt jedem Welt- und Ordenspriester die Erlaubnis, die Messe sine populo (= Messe ohne Volk) oder mit Beteiligung nur eines Messdieners in der forma extraordinaria zu feiern”. So erkläutert die Instruktion “Universae Ecclesiae” Art. 2 des Motu proprio (UE, Nr. 23). Hiebei handelt es sich um eine disziplinarische Regelung im Sinne der Nr. 27 der Instruktion: “Im Bezug auf die mit der Feier der Messe verbundenen disziplinarischen Regelungen finden die Vorschriften des geltenden kanonischen Rechtes Anwendung.” Nach der Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch von 2000 und der Instruktion wird die Messe ohne Volk mit Beteiligung eines Messdieners gefeiert (Nr. 23, vgl. die lateinische Disjunktion ‘seu” = “oder”, die einschlieβenden Sinn hat [oder = beziehungsweise/das heiβt]).
Messe ohne Volk und ohne Beteiligung eines Messdieners
Das Gesetzbuch der Katholischen Kirche von 1983 bestimmt in can. 906: “Ohne gerechten und vernünftigen Grund darf der Priester das eucharistische Opfer nicht ohne Teilnahme wenigstens irgendeines Gläubigen feiern.” Prinzipiell gilt auch nach der heutigen Disziplin, dass bei der Messe ohne Volk mindestens ein Gläubiger anwesend sein soll. Die Beteiligung wenigstens eines Messdieners entspricht dieser Norm, da der Messdiener als Gläubiger definiert wird, allerdings mit einer besonderen liturgischen Aufgabe: dem Messdienen. Doch lässt der Gesetzgeber Ausnahmen zu, nämlich dann, wenn ein gerechter und vernünftiger Grund vorliegt. In diesem Fall kann der Priester auch ohne Teilnahme eines Messdieners oder anderen Geläubigen die Messe zelebrieren. Der Gesetzgeber weicht damit von der bisherigen Disziplin, wie sie das Gesetzbuch von 1917 (CIC/1917) in can. 813 § 1 festgelegt hat, ab. Danach war es dem Priester nicht erlaubt, ohne Messdiener die heilige Messe zu feiern. Von Ausnahmen ist nach dem Wortlaut im alten Gesetzbuch nicht die Rede. Allerdings gab es in der Praxis davon schon Ausnahmen. Die lateinische Formulierung des can. 813 § 1 CIC/1917 (“ne celebret” = er soll nicht zelebrieren) schloss nämlich Ausnahmen von dem Verbot der Zelebration ohne wenigstens einen Altardiener nicht aus. Denn es handelt sich bei der Formulierung “ne celebret” um einen Konjunktiv, näherhin um einen Jussiv. Rechtssprachlich ist damit eine Sollbestimmung und keine Mussbestimmung gemeint. Das heiβt: Schon unter der vorherigen Rechtsordnung des alten Gesetzbuches berücksichtigte der Gesetzgeber Ausnahmen von dem in can. 813 § 1 formulierten Verbot für den Fall, dass ein gerechter Grund vorlag. Im Gesetzbuch von 1983 werden mögliche Ausnahmen nun ausdrücklich berücksichtigt durch den Vorbehalt “ohne gerechten und vernünftigen Grund” (sine iusta et rationabili de causa).
Messfeiern ohne Messdiener auch in der auβerordentlichen Form
Diese im Vergleich zur bisherigen Disziplin erneuerte Regelung ist nach Nr. 27 der Instruktion “Universae Ecclesiae” auch auf die Feiern der auβerordentlichen Form des Römischen Messritus anzuwenden. Ebenso wie bei der Feier der sog. Ordentlichen Form der heiligen Messe gilt für die auβerordentliche Form: Wenn ein gerechter und vernünftiger Grund vorliegt, darf der Priester auch ohne Messdiener die heilige Messe feiern.
Bedingung: ein gerechter und vernünftiger Grund
Man beachte, dass der Gesetzgeber in can. 906 CIC/1983 einen “gerechten und vernünftigen Grund” (iusta et rationabilis causa) für die Feier ohne Gläubigen, d.h. auch ohne Messdiener, verlangt. Demzufolge braucht kein schwerwiegender Grund nachweisbar zu sein, wie das zuweilen bei anderen Fällen gefordert wird. Im lateinischen Text des Canon steht nicht das Adjektiv “gravis” (= schwer, schwerwiegend), sondern “iusta et rationabilis” (= gerecht und vernünftig). Das ist eine relativ niedrige Hürde. Der Priester soll seine Entscheidung, die heilige Messe ohne einen Gläubigen/Messdiener zu feiern, vor seiner Vernunft rechtfertigen. Dabei soll er den Grund, d.h. den Umstand für die Zelebration ohne Volk bzw. wenigstens eines Messdieners zur prinzipiellen Norm der Zelebration mit dem Volk in Beziehung setzen. Dabei hat er stets die Bedeutung der heiligen Messe einerseits und den Wert der Teilnahme von Gläubigen andererseits in Beziehung zu setzen. “In Betracht käme somit jeder Fall, daβ kein Gläubiger zur Mitfeier der Messe ohne groβe Schwierigkeiten gebeten werden kann. Eine Meβfeier muβ also nicht ausfallen, wenn kein Gläubiger erschienen ist; …” (R. Althaus, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, 906/3 Rdnr. 2b). Zwar sollte die “Messfeier ohne Gläubige” “die Ausnahme bleiben” … Die Gefahr einer Engführung auf den Priester sollte vermieden werden. Doch muss auch den mehrfachen Empfehlungen zur täglichen Zelebration durch Konzil, päpstliche Lehrschreiben und den Codex von 1983 Rechnung getragen werden. Diese Empfehlung richtet sich an alle Priester. … Neben dem hohen Stellenwert der partizipatio actuosa darf die übernatürliche aber unsichtbare Bedeutung der eucharistischen Feier, in der sich das Werk der Erlösung forwährend vollzieht und die ein Akt Christi und der Kirche ist, nicht auf den Hintergrund gedrängt werden” (P. Fabritz, “Die tägliche Zelebration des Priesters. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung” [= Dissertationen Kanonisches Recht, Bd. 20, hrsg. U.a. von W. Aymans] St. Ottilien 2005, 101).
Die Messe: keine Privatfeier, sondern Akt Christi und der Kirche
Die Möglichkeit von Ausnahmen, die der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Zelebration der Messe ohne wenigstens eines Gläubigen (Messdieners) vorsieht, hat ihren Grund auf eine Vorschrift des Zweiten Vatikanischen Konzils, das aufgrund einer vertieften Reflexion über die theologische Bedeutung der heiligen Messe in seinem Dekret “Presbyterorum Ordinis” über den Dienst und das Leben der Priester in Aritikel 13 wie folgt argumentiert: “Im Mysterium des eucharistischen Opfers, dessen Darbringung die vornehmliche Aufgabe des Priesters ist, wird beständig das Werk unserer Erlösung vollzogen; darum wird seine tägliche Feier dringend empfohlen (“enixe commendatur”); sie ist auch dann, wenn keine Gläubigen dabei sein können, ein Akt Christi und der Kirche. Während sich so die Priester mit dem Tun des Priesters Christi verbinden, bringen sie sich täglich Gott ganz dar, und genährt mit dem Leib Christi, erhalten sie wahrhaft Anteil an der Liebe dessen, der sich seinen Gläubigen zur Speise gibt.” Weil sich also in der eucharistischen Opferfeier das Werk der Erlösung vollzieht und weil sie immer ein Akt Christi und der ganzen Kirche ist und niemals eine Privatfeier des Priesters, ist ihre Feier auch dann berechtigt und sinnvoll, wenn keine Gläubigen, wenn kein Messdiener daran teilnimmt.
Tägliche Zelebration
Diese sakramententheologische und ekklesiologische Begründung der häufigen, ja täglichen Zelebration auch ohne Teilnahme der Gläubigen durch das Zweite Vatikanische Konzil (eine Begründung, die Papst Paul VI. in seiner Enzyklika “Mysterium Fidei” vom 3. September 1965 wiederholt) ist der Interpretationshintergrund des can. 904 CIC/1983, der das erwähnte Verbot des can. 813 § 1 CIC/1917 indirekt aufhebt. Can. 904 normiert: “Immer dessen eingedenk, dass sich im Geheimnis des eucharistischen Opfers das Werk der Erlösung fortwährend vollzieht, haben die Priester häufig zu zelebrieren; ja die tägliche Zelebration wird eindringlich empfohlen (hier verwendet der Gesetzgeber dieselben Worte wie das Zweite Vatikanische Konzil: “enixe commendatur” = es wird eindringlich empfohlen), die, auch wenn eine Teilnahme von Gläubigen nicht möglich ist, eine Handlung Christi und der Kirche ist, durch deren Vollzug die Priester ihre vornehmliche Aufgabe erfüllen.”
Anwendung auf die auβerordentliche Form des Römischen Ritus
Wenn die heilige Messe der Vollzug des Werkes unserer Erlösung und Feier der ganzen Kirche ist, dann schlieβt sie auch immer die unsichtbare Kirche der Glückseligen (in der ewigen Gottesanschauung: “Himmel”) und der Vestorbenen im Läuterungsort (Purgatorium: “Fegfeuer”) mit ein. Auch wenn das Handeln der Kirche ihren sichtbaren Ausdruck in der aktiven Teilnahme der Gläubigen hat und darum die Grundregel sein soll, so sind Ausnahmen möglich und theologisch zu rechtfertigen, weil die Messe niemals Privatfeier ist: Sie ist immer Feier der ganzen Kirche, der sichtbaren wie der unsichtbaren Kirche, d.h. der streitenden, der leidenden und der triumphierenden Kirche. Darum ist auch eine Messe ohne wenigstens einen Gläubigen/Messdiener immer ein Handeln Christi und der Kirche. Diese theologische Sichtweise bestimmt die erneuerte disziplinarische Regel des can. 906 des heutigen Gesetzbuches der Katholischen Kirche. Nach Nr. 27 der Instruktion “Universae Ecclesiae” gilt diese kodikarische Vorschrift (des can. 906) ebenfalls für die Feiern der Messe in der auβerordentlichen Form des Römischen Ritus.