Kirche in Indien: Diskriminiert, aber gelassen
Bhopal (kathnews/KiN). Vom 18. bis 20. MĂ€rz 2011 veranstaltet das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ in WĂŒrzburg den „4. Internationalen Kongress Treffpunkt Weltkirche“. Einer der EhrengĂ€ste ist Erzbischof Leo Cornelio aus der zentralindischen Stadt Bhopal. Der Steyler Missionar wird auf dem Kongress von der Lage der Katholiken in seiner Heimat berichten. Im GesprĂ€ch mit dem WĂŒrzburger Sonntagsblatt skizziert er bereits im Vorfeld des Kongresses die wichtigsten Aspekte.Das Interview fĂŒhrte Ernst Schlögel.
Ernst Schlögel: Herr Erzbischof, die Nachrichten ĂŒber die Situation der Christen in Indien sind Besorgnis erregend, immer wieder ist von AnschlĂ€gen durch radikale Hindus zu hören. Wie schĂ€tzen Sie die aktuelle Lage ein?
Erzbischof Leo Cornelio: Indien ist die gröĂte Demokratie der Welt und hat nicht nur viele Religionen hervorgebracht, sondern zeichnet sich auch durch viele kulturelle und sprachliche Unterschiede aus. Trotz dieser Unterschiede und trotz aller Spannungen ist Indien im GroĂen und Ganzen ein friedliches und tolerantes Land, in dem Menschen aus verschiedenen Religionen und Kulturen harmonisch zusammenleben.
Indien wurde von anderen oft als „goldener Vogel“ betrachtet. Deshalb gab es viele Invasionen auslĂ€ndischer MĂ€chte, die den Reichtum unseres Landes raubten. Darum sind die meisten Inder misstrauisch gegenĂŒber AuslĂ€ndern. Das Christentum ist nun in der Vorstellung der Menschen eine „auslĂ€ndische Religion“, die mit den Briten, Amerikanern und anderen europĂ€ischen Einwanderern verbunden ist. Die Erfahrungen mit diesen AuslĂ€ndern hat das Bild des Christentums als „Religion der Herrscher“ geprĂ€gt. Es wird auĂerdem von meisten Menschen anderen Glaubens als eine aggressiv missionierende und bekehrende Religion angesehen. Das hat zur Folge, dass ein gewisses GefĂŒhl der Unsicherheit gegenĂŒber dem Christentum vorherrscht, auch wenn viele uns als friedliebend kennen. Diese Wahrnehmung beeinflusst den Alltag von Christen in manchen Regionen Indiens.
GlĂ€ubige Hindus sind friedliebend und glauben nicht an Gewalt oder BlutvergieĂen. Es sind nur die Machthungrigen und politisch Motivierten, die ihre Religion als Vorwand nehmen, um Einfluss zu erhalten. Im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Hindu-Bewusstseins beobachte ich zurzeit eine Polarisierung der Religionszugehörigkeiten. Einige Hindu-Organisationen wie die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) oder die Vishwa Hindu Parishad (VHP), verbinden sich mit politischen Parteien wie der Bharatiya Janatha Party (BJP). Alle diese Extremisten haben die Christen zu ihren Gegnern erklĂ€rt – alles unter dem Deckmantel des Patriotismus oder Idealismus. Ihnen ist eines gemeinsam: die Theorie „einer Nation“, die sich durch Religion definiert. GlĂŒcklicherweise durchschauen heutzutage immer mehr Menschen den selbstsĂŒchtigen Plan derer, die Religion als eine Waffe benutzen, um Macht zu gewinnen.
Das Christentum stöĂt in Indien auĂerdem auf Widerstand, weil es auf der Seite der Armen und Ausgegrenzten steht. Wir setzen uns fĂŒr Gerechtigkeit, Gleichheit, Ehrlichkeit und fĂŒr die WĂŒrde aller Menschen in unserer Gesellschaft ein. In einer Gesellschaft, die an Kasten, Klassen und Geschlechterdiskriminierung glaubt, ist das eine Bedrohung, die unterdrĂŒckt oder ausgelöscht werden muss. Die Kirche verhĂ€lt sich im Umgang mit anderen Religionen gemÀà dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Lehre der Kirche: Wir treten in einen Dialog mit Menschen anderen Glaubens. Doch der interreligiöse Dialog hat es oft nicht geschafft, die Menschen an der Basis zu erreichen.
Ernst Schlögel: Wie sieht es bei Ihnen im Bistum aus? Werden hier die Katholiken diskriminiert?
Erzbischof Leo Cornelio: Bhopal ist die Hauptstadt des Bundesstaates Mahya Pradesh und blickt auf eine groĂe Geschichte zurĂŒck. Alle Religionen leben hier zusammen, auch wenn die Mehrheit der Menschen Hindus sind. Im Vergleich zu vielen anderen Regionen Indiens ist Bhopal eine friedliche Stadt. Wir haben zwar eine Regierung der BJP, trotzdem werden die Christen nicht ĂŒbermĂ€Ăig schikaniert.
Die fundamentalistischen Hindu-Gruppierungen werden von den Reichen und MĂ€chtigen dazu angestachelt, christliche Gemeinschaften oder Einrichtungen zu belĂ€stigen. Wir beobachten Diskriminierung, wenn es um Studienbeihilfen oder ArbeitsplĂ€tze geht. Christen, die der untersten gesellschaftlichen Kaste, den Dalits, oder Naturvölkern angehören, werden jegliche Privilegien verwehrt. Darum ist es eine Tatsache, dass es in Mahya Pradesh und in anderen Bundesstaaten Diskriminierung gegen Christen gibt. Das ist der Preis, den wir fĂŒr unseren Glauben zahlen mĂŒssen. Wir versuchen unser Bestes, die Regierung und das Parlament zu ĂŒberzeugen, dass sie solch eine ungerechte Behandlung ihrer BĂŒrger anprangern und jeden Menschen respektieren sollten â ganz gleich, welcher Kaste, Klasse oder welchem Glauben er angehört.
Bei diesem Engagement hilft es uns, dass die Menschen unsere Dienste schĂ€tzen. Unsere Schulen in StĂ€dten und Dörfern werden von reichen und armen Kindern gleichermaĂen besucht. In meiner Erzdiözese leben zwar nur 15000 Katholiken und etwa gleich viele Christen anderer Konfessionen, aber der Dienst, den diese kleine Gruppe an der Gesellschaft leistet, ist unvorstellbar. Unsere Priester, Ordensleute und Laien kĂŒmmern sich um alle, die von der Gesellschaft ausgestoĂen werden: Lepra- und HIV-Kranke, Tuberkulosepatienten, StraĂenkinder, alte und obdachlose Menschen, misshandelte Frauen sowie verwahrloste Kinder. Die Menschen fragen mich, warum wir das tun. Ich kann ihnen von der mitleidsvollen Liebe Jesu Christi und Gottes Hingabe an die Armen erzĂ€hlen. Mutter Teresa sah Christus in jedem Armen. Sie war ein Mensch, der alle Inder beeindruckt hat.
Ernst Schlögel: Wie ist die Entwicklung der Kirche in Ihrem Land? Gibt es Àhnliche Tendenzen der SÀkularisierung wie in westlichen Staaten?
Erzbischof Leo Cornelio: Obwohl Indien offiziell ein sĂ€kulares Land ist, in dem jede Religion dieselben Rechte haben sollte, ist der Hinduismus doch die gröĂte Religion und spielt deshalb auch die Hauptrolle im sozialen und politischen Leben der Menschen. Etwa 13 Prozent der Bevölkerung gehören dem Islam an. Die Geschichte der indischen Kirche geht auf den Apostel Thomas zurĂŒck, und ich kann sagen, dass wir wachsen. Das lĂ€sst sich allerdings weniger statistisch messen als vielmehr dadurch, dass wir in wichtigen Gebieten, wie der Erziehung oder der Gesundheitsversorgung, beachtlichen Einfluss erreicht haben. Wir engagieren uns in Bereichen, in denen die Regierung nur zögerlich gehandelt hat.
Dass die Kirche fĂŒr die Werte des Evangeliums eintritt, hat ihr oft Konflikte mit den traditionellen Werten der indischen Gesellschaft eingebracht. Aber im GroĂen und Ganzen werden wir heute respektiert und stehen als Fackel der Hoffnung inmitten einer nicht gerade perfekten Gesellschaft. Vor allem der Vorwurf, wir wĂŒrden Menschen zum Glaubenswechsel zwingen wollen, wird von Fanatikern oft als Waffe benutzt. In einigen Bundesstaaten hat das dazu gefĂŒhrt, dass Gesetze gegen den Glaubenswechsel eingefĂŒhrt wurden.
Unser Volk ist religiöser in seinem Lebensstil, als es im Westen ĂŒblich ist. Vor Kurzem hat eine Studie herausgefunden, dass 98 Prozent aller jungen Menschen an Gott glauben und ihre Religion praktizieren. FĂŒr jeden einzelnen Inder hat alles, was in seinem Leben geschieht, einen religiösen Bezug. Religion gehört zu unserer IdentitĂ€t. Obwohl nur etwa 2,3 Prozent der Inder Katholiken sind, beobachten wir ĂŒberall eine dynamische Kirche.
Ernst Schlögel: Neben der römisch-katholischen Kirche gibt es in Indien, vor allem in Kerala, noch zwei mit Rom unierte Kirchen mit völlig anderer Tradition, die syro-malabarische Kirche und die syro-malankarische Kirche. Wie sind Ihre Kontakte zu diesen Kirchen?
Erzbischof Leo Cornelio: Wir haben ein gesundes VerhĂ€ltnis untereinander. Heutzutage sind wir uns stĂ€rker bewusst als frĂŒher, dass die katholische Kirche viele Riten vereint. Das liegt vor allem daran, dass wir uns frĂŒher nicht so hĂ€ufig begegnet sind wie heute. Jeder Ritus, jede Kirche hat eine eigene Tradition. Die syro-malabarische Kirche und die syro-malankarische Kirche stammen aus dem sĂŒdindischen Bundesstaat Kerala. Die GlĂ€ubigen dieser Kirchen in anderen Bundesstaaten waren darum lange Zeit nur Eingewanderte. Erst in letzter Zeit findet auch so etwas wie eine Evangelisation statt. In unserem Bundesstaat Madhya Pradesh gibt es drei syro-malabarische Eparchien und sechs römisch-katholische Diözesen, die weitestgehend brĂŒderlich zusammenarbeiten. Wir treffen uns in der CBCI, der Vereinigung aller drei katholischen Kirchen, und jede einzelne Kirche trifft sich zusĂ€tzlich alle zwei Jahre zu einer Konferenz oder Synode.
Mehr und mehr wĂ€chst der ökumenische Zusammenhalt zwischen den Kirchen und christlichen Konfessionen in unserem Land. Da wir Christen in Indien eine kleine Minderheit sind, können wir uns nicht bei dem aufhalten, was uns trennt, sondern wir pflegen den Glauben an Jesus Christus und das Wort Gottes als Grundlage fĂŒr unsere Einheit. So kommt es, dass uns heute, wenn wir von auĂen Bedrohungen durch Extremisten ausgesetzt sind, unser gemeinsamer Glaube zusammenbringt. Es gibt subtile Bestrebungen, Christen in Indien auszugrenzen. Darum dĂŒrfen wir es nicht zulassen, dass wir untereinander gespalten sind.
Ernst Schlögel: Was können die deutschen Katholiken von den indischen lernen?
Erzbischof Leo Cornelio: Jede LĂ€nderkirche spielt eine wichtige Rolle in der Weltkirche. Der Geist der SolidaritĂ€t, der BrĂŒderlichkeit und des Teilens in der katholischen Kirche ist ein sichtbares Zeichen von Christi vergebender Liebe. Die deutsche Kirche war immer eine groĂzĂŒgige Kirche, die ihre finanziellen Mittel mit ihren Geschwistern weltweit geteilt hat und die auch Ordensleute und Priester in alle Welt aussandte, um zu helfen.
Die indische Kirche kann dagegen nur „ihre Armut und ihre Not“ teilen, wie es Papst Johannes Paul II. so schön gesagt hat. Die Familie hat in der indischen Gesellschaft einen groĂen Wert, besonders in der indischen Kirche. Unsere Jugend hĂ€lt meistens guten Kontakt zu ihren Familien, selbst wenn sie einmal wegziehen muss, um anderswo Arbeit zu finden. Das ist sicher ein Vorbild.
AuĂerdem steht die indische Kirche auf vier Arten in einem Dialogprozess: Mit anderen Religionen, mit den Armen, mit den Ausgegrenzten und mit der Schöpfung. Eine kĂŒrzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass die Mehrheit der Inder glĂŒcklich mit ihrem Leben ist und dass sie in der Lage ist, sich an ihre Lebensbedingungen anzupassen. Es herrscht eine groĂe Gelassenheit gemÀà dem Satz: „Herr, gib mir den Mut, die Dinge zu Ă€ndern, die ich Ă€ndern kann, die Dinge zu akzeptieren, die ich nicht Ă€ndern kann, und die Weisheit, beides voneinander zu unterscheiden.“
Jeder GlĂ€ubige versucht, seine christliche IdentitĂ€t in einem multireligiösen und multikulturellen Umfeld zu finden. NatĂŒrlich haben auch wir unsere Probleme, aber dadurch, dass wir unsere Unterschiede akzeptieren und mit gegenseitigem Respekt leben, helfen wir dem Wachstum der Kirche. Vielleicht könnten einige dieser Erfahrungen der deutschen Kirche helfen. FrĂŒher war Europa ein christlicher Kontinent. Ich hoffe, dass es bei Ihnen eine Wiederbelebung des Glaubens geben wird, einen „neuen FrĂŒhling“, wie Papst Johannes Paul II. es ausgedrĂŒckt hat. Ich bete fĂŒr Sie und fĂŒr Ihre positive Entwicklung!