Jenseits der Stille

In Nord-Norwegen ist die Gemeinschaft der Kirche ein hohes Gut
Erstellt von kathnews-Redaktion am 1. November 2011 um 20:39 Uhr
Kathedralkirche in Tromsø

Stille klingt überall auf der Welt anders. In den bayerischen Alpen wirkt sie königlich erhaben, an den karibischen Stränden malerisch paradiesisch. Die Stille in Nord-Norwegen kann in den Bann ziehen, sie kann aber auch bedrückend laut sein, dann wenn aus der Stille nur die Einsamkeit spricht. Felix Mukiza hat die Einsamkeit oft sprechen gehört: „Besonders wenn hier Winter und Dunkelzeit ist, fühle ich mich allein. In dieser Zeit sind die Straßen sind leer. Dann steigt oft dieses Einsamkeitsgefühl in mir hoch.“ Mukiza lebt in Tromsø, er stammt ursprünglich aus Ruanda. Die Einsamkeit war ein Schock für den 34-Jährigen. Solange, bis Mukiza einen Ort gefunden hat, an dem die Stille durchbrochen wird. Durch Gesang und Gebet, durch den Gottesdienst: „Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche. Wenn ich einmal nicht in die Kirche komme, spüre ich, dass etwas in meinem Leben fehlt.“ In der Messe ist Felix Mukiza für mindestens eine Stunde jenseits der Stille.

Diaspora bedeutet „verstreut sein“

Tromsø ist die größte Stadt Nord-Norwegens. Das heißt aber nicht viel. Gerade einmal 70.000 Menschen wohnen hier. Jenseits des Polarkreises sind die demoskopischen Dimensionen andere als in Deutschland. Besonders gilt das für die katholische Kirche. Offiziell gibt es in ganz Norwegen nur etwa 96.000 Katholiken, das entspricht einem Anteil von knapp zwei Prozent an der Gesamtbevölkerung: Als Katholik in Norwegen lebt man in der Diaspora.

Diaspora kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „verstreut sein“. Wohl auf kaum eine katholische Landeskirche passt diese Beschreibung so gut, wie auf die norwegische. In der Diaspora leben, bedeutet oft, weit entfernt von Kirche oder Kloster zu leben. Diese sind wie kleine Inseln in einem großen Meer, das überwiegend aus der protestantischen Staatskirche besteht und zugleich mit den Stürmen der Moderne konfrontiert wird. Kleine Inseln, die sich durch eine bemerkenswerte Tatsache auszeichnen: Sie sind voll. Während in Deutschland Kirchenkrise und Säkularisierung für leere Gotteshäuser sorgen, sind die Messen in Norwegen fast immer gut besucht. „Für uns sind die Gottesdienste sehr wichtig. Viele kommen von weit her und nehmen lange Fahrten auf sich, nur um zusammen Eucharistie zu feiern“, erklärt Ågot Marie Kermit und fährt fort: „Uns verbindet der Glaube, die Liturgie und das lässt uns zusammenwachsen.“

Internationale Gemeinden

Kermit kommt gerade aus der Sonntagsmesse. Sie gehört der gleichen Gemeinde an wie Felix Mukiza. Ihre Kirche steht im Zentrum Tromsøs, es ist die Bischofskirche. Ganz aus Holz, mit einer winzigen Empore und einem noch kleineren Altarraum. Wenn Kermit und Mukiza sich hier den Friedensgruß geben, ist das nicht nur Bestandteil des liturgischen Ritus. Es ist vor allem Sinnbild dessen, was die katholische Kirche in Norwegen neben der Diaspora-Situation stark prägt: die Internationalität. „In den Gemeinden gibt es sehr viele Arbeitsimmigranten und Flüchtlingen, die Norweger sind in der Minderheit“, erklärt Kermit.

Die 67-Jährige ist in Tromsø geboren, sie arbeitet als Kanzlerin der Diözese und ist damit für Verwaltung und Finanzen zuständig. Sie sitzt in der Bibliothek des Ordinariats, das zugleich auch Bischofshaus ist. An der Wand stapeln sich Bücher in Norwegisch, Englisch und Deutsch. „Vor mehr zehn Jahren kamen viele Afrikaner nach Tromsø. Und unser damaliger Bischof sagte darauf: Jetzt ist unsere Gemeinde eine afrikanische“, erinnert sich Kermit. 1997 war das. Damals retteten sich mehr als 50 Flüchtlinge aus Ruanda nach Tromsø. Traumatisiert viele, verstört durch den Bürgerkrieg fast alle. Felix Mukiza hat im Krieg seinen Taufpaten verloren: „Ich hatte meinen Paten sehr lieb, er war ein zweiter Vater für mich.“

Scharnier zwischen den Nationalitäten

Die Internationalität macht die norwegische Kirche bunt und jung, sorgt aber auch für Probleme: „Vor allem zu Beginn gab es wenig Interaktion unter den Gruppen. Auf der einen Seite waren polnische Gläubige, auf der anderen Katholiken aus Vietnam oder eben die Neuankömmlinge aus Ruanda“, erzählt Kermit. Norweger wie sie bilden ein Scharnier. Sie versuchen die verschiedenen Nationalitäten zu verbinden, zum Beispiel beim so genannten „Kirchenkaffee“ nach der Sonntagsmesse. Kermit spricht lächelnd vom „achten Sakrament“. Allein der Begriff zeigt, wie wichtig solche Zusammentreffen sind, um aus den unterschiedlichen Gruppen eine Gemeinschaft zu formen.

Der Hirte dieser Gemeinschaft heißt Berislav Grgiç. Der Mann aus Bosnien und Herzegowina ist Bischof der Prälatur Tromsø, der nördlichsten Diözese der Welt. Für ihn bedeutet das, den Großteil seiner Zeit im Auto oder dem Flugzeug zu verbringen. Besonders gilt das für die Sommermonate, wenn Firmungen anstehen. Dann fliegt Grgiç 700 Kilometer nach Mosjøen, fährt anschließend fast 100 Kilometer nach Mo i Rana, um am nächsten Tag das Firmsakrament zu spenden. Für drei Firmlinge. Eine erwachsene Frau aus Polen, zwei Jugendliche aus Norwegen mit philippinischen Müttern. Eine Woche später geht es wieder los, diesmal mit dem Schnellboot, die Pfarrei Harstad liegt 300 Kilometer entfernt im Süden. Wieder ist die Kirche voll, die Liste der Firmlinge nicht: es steht nur ein Name darauf.

Weite Wege und geringe Mittel

175.000 Quadratmeter ist das Bistum von Bischof Grgiç groß, inklusive Spitzbergen, zweieinhalb mal so groß wie Bayern, aber nur 3.600 Katholiken gehören offiziell dazu. Diaspora bedeutet nicht nur wenig Gläubige zu haben, sondern auch kaum Geld. „Unsere Priester verdienen etwa ein Drittel dessen, was ein deutscher Priester verdient. Und das, obwohl Norwegen sehr teuer ist“, meint Bischof Grgiç. „Wir haben im letzten Jahr etwa 80.000 Euro über das Bonifatiuswerk bekommen. Ohne dieses Geld könnten wir nicht einmal unsere Kirchenräumlichkeiten erhalten. Wir sind auf diese Unterstützung angewiesen.“ Allein in den letzten drei Jahren überwies das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken über eine Million Euro nach Norwegen. Das Spendenhilfswerk leistet Beistand ganz nach dem Motto: „Keiner soll alleine glauben“, damit die Gemeinschaft gestärkt wird und wachsen kann.

Geringe Mitgliederzahlen und große Geldsorgen: Die Situation der Kirche in Norwegen ist in vielen Dingen nicht zu vergleichen mit der in West- oder Südeuropa. Dennoch, oder gerade deshalb, ist sie von einer aufregenden Vitalität. Weil sie sich nicht auf institutionelle Vorteile verlassen kann, muss sie individuelle Lösungen finden. Und wer hier glaubt, der ist tatsächlich nicht allein. Der spürt das, selbst wenn er dafür mehrere Stunden mit dem Auto oder dem Boot fahren muss. Der Gedanke, dass Gott dort ist, wo sich mehrere in seinem Namen versammeln, bekommt in Nord-Norwegen eine tiefere Bedeutung. Denn egal, wie dieser Name ausgesprochen wird, ob in Norwegisch, Polnisch oder Englisch: er verbindet. Er sorgt, dass Felix Mukiza Einsamkeit und Stille vergisst und manchmal sogar den Verlust seiner Familie: „Wenn ich in der Messe bin, dann fühle mich geborgen. Dort habe ich eine zweite Heimat und eine neue Familie gefunden.“

Textquelle: Simon Biallowons

Foto: Die kleine katholische Kathedralkirche in Tromsø – Bildquelle: Bonifatiuswerk/Klein

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