Institutio Latina. Ein Lateinlehrbuch für Studierende der Theologie

Ein Buchrezension von Gero P. Weishaupt.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 26. Juni 2015 um 22:55 Uhr

„Sie sollen … so viel Latein lernen, dass sie die zahlreichen wissenschaftlichen Quellen und die kirchlichen Dokumente verstehen und benützen können“, fordert das Zweite Vatikanische Konzil in Optatam totius (Artikel 13), seinem Dekret über die Priesterausbildung von den Alumnen, den Priesteramtskandidaten. Da die theologische Ausbildung auch Laien offensteht, müssen auch sie über solide Lateinkenntnisse verfügen. Latein ist Kommunikationsmittel. Durch die Sprache der Römer, der (lateinischen) Kirchenväter, der Scholastik, des universalen kirchlichen Lehramtes von Päpsten und Konzilien tritt Latein als Medium der Theologie (und Philosophie) in Erscheinung.

Doch häufig sind die erforderlichen Sprachkenntnisse nicht vorhanden und müssen in mühsamen Universitätskursen nachgeholt oder wegen rudimentärer Kenntnisse aufgefrischt und vertieft werden.

Lateinlehrbuch für Theologiestudierende

Der Be&Be-Verlag des bekannten österreichischen Stiftes Heiligenkreuz bei Wien hat vor Kurzem ein Lehrbuch der lateinischen Sprache für Studierende der Theologie herausgegeben. Sein Verfasser ist der aus Baden stammende Altphilologe Dr. Leo Bazant-Hegemark. Seine Institutio Latina, so der Hauptitel des Lehrbuches, richtet sich an Personen, „die infolge eines Interesses an der Theologie aus welchen Gründen immer die Kenntnis der antiken Sprache des Lateinischen erwerben möchten“ (Vorwort, S. 7).

Aufbau der Institutio Latina

Das Lehrbuch besteht aus drei Teilen: Grammatik, Lektüre und Repetitorium. Grammatik- und Lektüreteil umfassen im Ganzen 40 Lektionen. Das Buch ist so angelegt, dass unter Berücksichtigung einer angemessenen Stundenzahl pro Woche das Lehrbuch in zwei Semestern bzw. einem Jahr durchgearbeitet werden könnte. Es kann nach Angabe des Verfassers sowohl unter Anleitung eines Lehrers in einem Lateinkurs als auch im Selbststudium durchgenommen werden und so „einen raschen Zugang zur lateinischen Sprache anbieten“ (Vorwort, S. 7).

Grammatik und Grundwortschatz

Der Grammatikteil der Insitutio Latina vermittelt einen Grundstock der lateinischen Grammatik, ihrer Formenlehre und Syntax. Diese werden eingeübt anhand von ausschließlich Sätzen/Zitaten aus der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung. Auf diese Weise wird der Lateinlernende vertraut gemacht mit den Wortschatz der Vulgata, was sicher zu begrüßen ist, aber nach Auffassung des Rezensenten auch einen Mangel darstellt. Wünschenswert wäre gewesen, dass neben den Zitaten aus der Vulgata auch Sätze lateinischer Kirchenväter, des reichen Schatzes der Liturgie und kirchenamtlicher Dokumente mit einbezogen worden wären, damit der Theologiestudent und alle, die im Hinblick auf die Theologie Lateinkenntnisse erwerben möchten, bereits im Grammatik- und Übungsteil mit einem Grundstock an Vokabular und der Latinität des Kirchenlateins als solchem vertraut werden.

Beschränkung auf die Vulgata

Fraglich bleibt die Beschränkung auf die Vulgata auch im Hinblick auf den zweiten Teil der Institutio Latina, in dem längere lateinische Texte für die Lektüre angeboten werden. Diese berücksichtigen – erfreulicherweise – auch Texte der klassischen Latinität (Vergil, Ovid, Caesar, Cicero). Ein Grund mehr, um sich zu fragen, warum der Verfasser im ersten Teil sich auf Vulgata-Texte beschränkt. Wäre nicht gerade hier der Raum gewesen für die Bereitstellung eines Grundwortschatzes der klassischen Latinität, zumal sich auch lateinische Kirchenväter wie Augustinus, Ambrosius, Laktanz oder Cyprian von Karthago den klassischen Vorbildern in vielen ihrer Werke verpflichtet gefühlt haben?

Auch als Selbstlernbuch brauchbar

Jede der 20 Lektionen hat den gleichen Aufbau: lateinische Sätze aus dem alten und neuen Testament mit anschließenden Vokabeln zur Lektion, gefolgt von der Erläuterung der Grammatik mit den Schwerpunkten Formen- und Satzlehre (Syntax). Für das Selbststudium von Vorteil ist es, dass der Verfasser hinter jedem Bibelzitat die jeweilige Stelle angibt, in der der Satz in der Bibel zu finden ist. So ist dem Benutzer des Lehrbuches eine Ãœberprüfung der eigenen Ãœbersetzung möglich. Allerdings gilt es dabei zu berücksichtigen, dass die Ãœbersetzungen in den meisten Fällen keine wörtliche Wiedergabe des Originaltextes sind, sondern Umschreibungen. Eine genaue Kontrolle der selbst erarbeiteten Ãœbersetzung im Hinblick auf die grammatischen Strukturen eines Satzes wird dem Selbstlernenden daher wohl kaum gelingen. Gerade in der Anfangsphase der Erlernung der lateinischen Sprache sollte eine möglichst wörtliche Ãœbertragung – oft als erste Hilfsübersetzung – aus dem Originaltext geleistet werden, damit erkannt wird, ob die Grammatik verstanden und richtig angewandt worden ist.

Zeitenfolge ausgelassen

Was die Grammatik betrifft, so fällt dem Rezensenten auf, dass der Verfasser der Institutio Latina überhaupt nicht auf die der lateinischen Sprache eigenen Consecutio temporum, der Zeitenfolge, die besonderen Regeln unterliegt, genauer das Zeitverhältnis zwischen Haupt- und Gliedsätzen bestimmt, eingeht. Sie hätte der Verfasser im Kapitel über die Konjunktionen und die von ihnen eingeleiteten indikativischen oder konjunktivischen Nebensätzen behandeln können. „Mit diesen Konjunktionen korrespondiert im Lateinischen das Tempus des Gliedsatz-Prädikates. Außerdem ist in der Tempusangabe des Prädikates das Zeitverhältnis zwischen dem Haupt- und Gliedsatz miterfaßt“ (Friedrich Maier, Die Version aus dem Lateinischen. Ein grammatisches Begeleitbuch für den Lektüreunterricht, Bamberg 1990, 2. Auflage, 90.). Gerade auch in einer Hinführung zur lateinischen Sprache, als die der Verfasser das Lehrbuch versteht und konzipiert hat, darf die Behandlung der Zeitenfolge auf keinen Fall fehlen.

Lektüreteil. Ein Florilegium christlicher und paganer Texte

Der Lektüreteil, an dem die im Grammatikteil erworbenen Kenntnisse und Übersetzungsfähigkeiten an kurzen Originaltexten erprobt und angewendet werden können und die Grammatik im Verbund mit dem als dritten Teil der Institutio Latina angefügten Repetitorium wiederholt (repetitio est mater studiorum), vertieft und gefestigt wird, besticht durch seine Vielfalt an lateinischen Texten. Er kann allerdings nach Auffassung des Rezensenten von einem Anfänger der lateinischen Sprache ohne Anleitung durch einen Lehrer kaum bewältigt werden. Von daher ist der Anspruch, das Lehrbuch könne auch im Selbststudium erarbeitet werden, wohl nur in Bezug auf den ersten Teil zu verwirklichen. Denn neben christlichen Texten finden auch einschlägige und durchaus sprachlich anspruchsvolle Textpassagen großer Klassiker des paganen Roms im Lehrbuch Berücksichtigung.

Die Einbeziehung der paganen Klassiker der lateinischen Literatur in einem Lateinlehrbuch für Theologiestudenten und -interessierte rechtfertigt der Verfasser damit, „dass für ein Studium der lateinischen Sprache nicht nur das christliche Latein von Interesse sein darf, sondern unbedingt das Umfeld des antiken Römischen Reiches zumindest im Überblick bekannt sein muss. Es ergibt sich aus der Tatsache, das Latein einstmals Weltsprache war, dass reines Bibellatein eine zu einseitige Information wäre: Die klassischen Autoren werden daher in Beispielen ebenfalls gebracht. Man denke auch an eine spätere Lektüre, etwa von Kirchenvätern, die ihre klassische Bildung oftmals gar nicht erwähnten, von ihr jedoch ganz durchdrungen waren und sie in ihren Schriften immer wieder voraussetzten. Daher ist ein Florilegium der schönsten und bekanntesten Stücke der klassischen lateinischen Literatur ausgewählt und angefügt, es will einen weit gefächerten Querschnitt durch die Heilsgeschichte anbieten; selbstverständlich aber ohne irgendwelchen Anspruch auf Vollständigkeit“ (Vorwort, S. 8).

Von Bellum Gallicum Gaius I. Caesars bis zu Populorum progressio Papst Pauls VI.

Man kann tatsächlich sagen, dass es dem Verfasser der Institutio Latina gelungen ist, durch die Auswahl der paganen und christlichen Texte ein kleines, lesenwertes „Florilegium der schönsten und bekanntesten Stücke“ der lateinischen Literatur anzubieten. Der Benutzer des Lehrbuches darf sich freuen auf Texte von Gaius Julius Caesar (Gallischer Krieg), Augustus (Monumentum Ancyranum), Ovid (Metamorphosen), Cicero (In Catilinam, De officiis), Vergil (Ecloge), Tacitus (Annalen, Historia) und Plinius (Briefe). Diesen literarischen Juwelen der paganen klassischen Latinität stehen christliche Texte zu Seite: kurze zusammenhängnde Texte aus dem alten und neuen Testament, Apokryphen, Märtyrerakten, ein Text aus Gaudium et spes, der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, und aus Populorum progressio, der Sozialenzyklika Papst Pauls VI. Die angeboten Lektüretexte umfassen ca. 60 bis 150 Sätze und entsprechen so von ihrem Umfang her einem Text für eine mündliche oder schriftliche Lateinklausur. Von einigen Ausnahmen abgesehen, leitet der Verfasser mit wenigen Worten in den jeweiligen Text ein, wodurch dem Studierenden durch Kenntnis des Hintergrundes und des Zusammenhanges das Verständnis des zu übersetzenden Textes erleichtert wird.

Es fehlen Textbeispiele von Kirchenvätern

Wenngleich der Verfasser des Lehrbuches im Lektüreteil keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, so sieht der Rezensent es doch als ein Defizit für ein für Theologiestudierende konzipiertes Lateinlehrbuch an, dass sich dort überhaupt keine Textprobe eines (lateinischen) Kirchenvaters findet. Meines Erachtens hätte zumindest eine Passage aus den Confessiones des hl. Augustinus oder aus seiner De Civitate Dei Berücksichtigung finden können. Eine Weihnachts- oder Osterpredigt Leos des Großen, zumindest in Auszügen, wäre eine Bereicherung gewesen, ist doch gerade dieser Papst ein Meister spätlateinischer Kunstprosa, den zu lesen immer ein Gewinn, ja ein Genuss ist, sowohl in Bezug auf den theologischen Inhalt als auch auf seine wunderschöne Latinität. Auch ein Vertreter der für die katholische Theologie relevanten Scholastik – das Zweite Vatikanische Konzil hebt vor allem den heiligen Thomas von Aquin hervor – sucht man im Florilegium vergeblich.

Der reiche Schatz der Latinitas liturgica bleibt leider unberücksichtigt

Es ist auch zu kritisieren, dass kein einziger Text aus dem unerschöpflichen liturgischen Schatz der Kirche berücksichtigt wurde. Der Verfasser hätte durch die eine oder andere Oration oder Präfation aus dem Messordo (klassische und ordentliche Form des Römischen Ritus) dem Lateinlernenden die Schönheit und die dem römischem Geist eigene geballte Prägnanz und erhabenen Eleganz der spätlateinischen Kunstprosa beispielhaft veranschaulichen können. Es ist wunderbar, „bis zu welcher Höhe von Schönheit und innerer Glut diese Orationen manchmal emporsteigen, ohne doch die erhabene Jenseitigkeit überindividueller Frömmigkeit zu verlassen, die aus ihnen zu sprechen pflegt. Sprachlich ist ihnen aus guter Rhetorenüberlieferung gefälliger Rhythmus der Sprache eigen, der cursus, der sich besonders in den Satzschlüssen äußert und dort von der Melodie der einfachen Kadenzen aufgenommen wird“ (Joseph Pascher, Eucharistie und Vollzug, Freiburg 1947, 61).

Hexameter, Pentameter, elegisches Distichon

Dagegen ist es sicher zu begrüßen, dass die Institutio Latina eine kurze Einführung in die antike Metrik bietet. Die Schönheit der Texte Vergils, Ovids und anderer Vertreter der Lyrik der klassischen Latinität erschließt sich nur, wenn der Leser weiß, was ein Hexameter, ein Pentameter oder ein elegisches Distichon ist. Auch die sich aus der paganen Literatur entwickelte Lyrik des christlichen Altertums und teilweise auch des Mittelalters (Stichwort: Karolingische Renaissance) setzen die Kenntnis der klassischen Metrik voraus.

Aber auch hier fragt man sich, warum der Verfasser der klassischen Metrik zweieinhalb Seiten im Lehrbuch widmet (Institutio, 156-158), aber die für das Textverständnis lateinischer Kirchenväter und liturgischer Texte ebenso notwendige Behandlung rhetorischer Stilmittel (Tropen, Klang-, Sinn-, und Satzfiguren) außer Acht läßt. Dabei dienen diese nicht nur dem Schmuck (ornatus) eines Textes (z. B. einer Rede, einer Homilie oder eines theologischen Traktates), sondern tragen auch wesentlich zur Verdeutlichung und Einprägsamkeit des im lateinischen Text Ausgesagten bei. Es ist daher kein überflüssiger Luxus, wenn Lateinstudierende im Hinblick auf das Studium lateinischer Quellentexte der Theologie über die viefältigen rhetorischen Elemente lateinischer Texte aus allen Epochen des paganen und christlichen Zeitalters Bescheid wissen und sie in den Texten erkennen und in Bezug auf ihre inhaltliche Aussage zu deuten wissen.

Dank an den Verfasser

Trotz dieser Defizite überwiegt der postive Gesamteindruck des Lateinlehrbuches, für das dem Verfasser, dem Badener Altphilologen Dr. Leo Bazant-Hegemark, zu danken ist. Es kann allen empfohlen werden, die anhand eines auf Theologen zugeschnittenen Lateinlehrbuches zur lateinischen Sprache hingeführt werden oder einst erworbene, aber vergessene Lateinkenntnisse wieder auffrischen möchten. Es ist zu hoffen, dass die Institutio Latina auch außerhalb Österreichs im gesamten  deutschsprachigen Raum Verwendung findet.

Zugleich aber sollte klar sein, dass das Lehrbuch des Badener Altphilologen eine Hinführung sein will. Der lateinische Titel  „Institutio“ – vom Verbum instituere = anfangen, beginnen, anlegen, unternehmen – drückt es aus. Mehr als eine Einführung ist es nicht. Der Umstand, dass der Verfasser verschiedentlich darauf hinweist, dass zusätzliches Lehrmaterial wie Wörterbücher und vertiefende Grammatiken, gerade im Hinblick auf die Bewältigung des Lektüreteils mit seinen Orginaltexten, unentbehrlich ist, zeigt zur Genüge, dass das Lehrbuch alleine nicht ausreicht. Der Studierende wird das erworbene  solide Grundwissen folglich weiter ausgebauen und vertiefen müssen, will er tatsächlich mit lateinischen Quellentexten arbeiten und dadurch in der Theologie Fortschritte machen.

Desiderat des Rezensenten

Aus diesem Grund wäre ein Lateinlesebuch als zweiter Band dieser Institutio Latina wünschenswert. In ihm könnten systematisch und in gebotener Ausführlichkeit größere zusammenhängende lateinische Texte christlicher Provenienz zusammen mit einem erweiterten Vokabular, grammatischen wie stilistischen Erklärungen sowie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Texten geboten werden. Und das Angebot der Latinitas christiana ist bekanntlich schier unerschöpflich: außer Texten der Vulgata lateinische Prosatexten der Kirchenväter, mittelalterlicher Theologen, von Päpsten und Konzilien, in Gesetzes- und dogmatischen Texten, ergänzt durch die Juwelen der lateinischen Kunstprosa in liturgischen Texten und nicht zuletzt den reichen Schatz christlicher Hymnen.

Im regelmäßigen Arbeiten an lateinischen Texten erwirbt der Lernende so jene Kenntnis und Fertigkeit im Umgang mit der lateinischen Sprache, die die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils für erforderlich hielten, um „wissenschaftliche(n) Quellen und die kirchliche(n) Dokumente verstehen und benützen (zu) können“ (Optatam totius, Artikel 13).

Leo Bazant Hegemark
Institutio Latina. Lehrbuch der lateinischen Sprache für Studierende der Theologie.
Lehre – Repetitorium – Vokabular – Lektüre

250 Seiten
Hardcover
24,6 x 17,6
Be&Be-Verlag: Heiligenkreuz 2015
ISBN 978-3-902694-76-8

Preis: 29,80 €

Foto: Dr. Gero P. Weishaupt – Bildquelle: Privatarchiv

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung