Hoppe-la, Herr Professor!

Ein Kommentar von unserem freien Mitarbeiter Michael Hesemann.
Erstellt von Michael Hesemann am 6. Mai 2011 um 14:08 Uhr

Die Kölner Karl Rahner-Akademie nennt sich katholisch, ist aber gleichzeitig stolz darauf, nicht vom Erzbistum Köln finanziert zu werden. Man versteht sich als unabhĂ€ngiges Forum und zeigt dies gerne, indem man bekannte Kirchenkritiker einlĂ€dt. Am 3. Mai 2011 ging es zunĂ€chst weniger um Kirchenkritik als um Buchkritik. Der Bonner Neutestamentler Prof. Dr. Rudolf Hoppe war eingeladen worden, um ĂŒber „Wildwuchs in der neueren Jesus-Literatur“ zu referieren und „Hinweise zur kritischen Orientierung“ zu geben. Das erscheint auf den ersten Blick gut und notwendig, hat sich doch tatsĂ€chlich in den letzten 15 Jahren eine ganze Subkultur kirchenkritischer Literatur gebildet, die den Anspruch erhebt, mit teils zweifelhaften „Beweisen“ und oft wilden Verschwörungsszenarien, den „wahren Jesus“ zu enthĂŒllen,  der stets alles andere als der Jesus der Kirche ist.

Doch gerade darum ging es der Rahner-Akademie nicht. Nicht den Glauben sah sie in Gefahr, sondern „die Erkenntnisse der historisch-kritischen Jesus-Forschung“, die man in erster Linie dem protestantischen Theologen Rudolf Bultmann verdanke. Statt Jesus den entmythologisierenden Theologen zu ĂŒberlassen, hĂ€tten es „in letzter Zeit zunehmend Journalisten und Nichttheologen“ gewagt, „einen Jesus im Sinne eines naiven ‚Und die Bibel hat doch recht‘ aufzuweisen (sic!)“. Wie verwerflich dieses Unterfangen ist, so stellt die AnkĂŒndigung des besagten Vortrags fest, sehe man allein daran, dass sich diese Autoren „der UnterstĂŒtzung konservativ-(amts-)kirchlicher Kreise sicher sein“ könnten. Das ist natĂŒrlich Ă€ußerst gefĂ€hrlich, und so warnt die Karl Rahner-Akademie mit einem großen „Stop“-Schild vor besagter Literatur – und meint damit die Werke Peter Seewalds („Jesus Christus“), Klaus Bergers (der sich wohl wundert, als „Journalist und Nichttheologe“ bezeichnet zu werden) und meiner Wenigkeit. Mein „als Bestseller gepriesenes Buch ‚Jesus von Nazareth‘ war dann auch das Hauptziel dieser Kritik, die mich, zugegeben, ĂŒberraschte. WĂŒrde die modernistische Theologie jetzt etwa eine Tradition der verhassten „Amtskirche“, den Index der Verbotenen BĂŒcher, wiederbeleben? Oder droht unseren BĂŒchern, die allesamt in renommierten katholischen Verlagen erschienen (Herder, Pattloch, St. Ulrich), gar der Scheiterhaufen?

Da ich mir keiner Schuld bewusst bin und Kritik nicht fĂŒrchte, wagte ich mich in die „Höhle des Löwen“ und besuchte die Veranstaltung. Ich bezahlte brav meinen Eintritt, setzte mich in die erste Reihe – man soll mir bloß nicht vorwerfen, mich versteckt zu haben – und baute meinen Kassettenrekorder auf, um den Vortrag mitzuschneiden und auch ja wörtlich zitieren zu können. Dass es trotzdem bis zur anschließenden „Fragestunde“ dauerte, dass man mich erkannte, lag wohl eher an der schlechten Vorbereitung des Referenten; ich hatte wirklich nicht dazu beigetragen.

Die Einleitung sprach der Gastgeber, Dr. Bernd Wacker: graues, schulterlanges Haar, schwarze Jeans, Sportsakko, betont lĂ€ssig. Die neue Jesus-Literatur sei „höchst Ă€rgerlich“, stellte er fest, und daher habe er „jemanden in den Sumpf geschickt“, nĂ€mlich den genannten Referenten Prof. Hoppe. Dem sah man nun in professoralgrauem Anzug und Krawatte wirklich nicht an, dass er 1976 zum Priester geweiht wurde, aber glauben wir es mal. Zumindest war er eloquent und nicht unsympathisch. Leider versĂ€umte er es in seinem anderthalbstĂŒndigen Vortrag, auch nur ein einziges Mal konkret ĂŒber seinen eigenen Glauben zu sprechen. Es blieb bei vagen Anspielungen wie dieser: „Dass wir Theologen unglĂ€ubig sind, das hören wir auch von höchster Stelle, ich meine das jetzt nicht weltkirchlich, sondern auch von ganz beschrĂ€nkter Stelle.“ SpĂ€ter ergĂ€nzte er, er brĂ€uchte kein Blatt vor den Mund zu nehmen, denn bei seinem Bischof – Joachim Kardinal Meisner – sei er „ohnehin lĂ€ngst unten durch“. Auch fĂŒr den Theologenpapst Benedikt XVI. hat er offenbar nicht viel ĂŒbrig. Den zweiten Band seines Jesus-Buches habe er jedenfalls noch nicht gelesen: „Nach dem ersten Band fehlt mir ein bisschen der Impetus. Ich gehe da mit Bauchschmerzen ran und habe keine Lust, mich dann beschimpfen zu lassen.“ Also war es reine Feigheit, weshalb Hoppe das Werk des Papstes nicht auch noch dem „Wildwuchs“ zuordnete.

Mehr zur eigenen Positionierung trug der erste Teil seines Vortrags bei, in dem sich Hoppe mit der Geschichte der Gattung „Jesusbuch“ auseinandersetzte. Ausgerechnet den protestantischen Theologen D.F.Strauß bezeichnete der Bonner als „einer der ganz großen Gestalten des 19. Jahrhunderts“. Strauß war es, der zuerst versuchte, den historischen Jesus von Nazareth vom „Christus des Glaubens“ zu trennen. Sein Ausgangspunkt war die Philosophie Hegels, dessen AnhĂ€ngerschaft er freilich auch noch spaltete. Schließlich verlor Strauß selbst den Glauben, beantwortete die Frage, ob „wir“ noch Christen seien, offen und konsequent mit „Nein!“. Übertroffen wird dieser in den Augen Hoppes nur noch durch den „großartigen“ Bultmann, den protestantischen „Entmythologisierer“ des Christentums aus der ersten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts. Wie Strauß von Hegel, so war Bultmann von Heidegger beeinflusst.  Der christliche Glaube, so der Theologe, beziehe sich nicht auf Jesus als Person, sondern auf die auf ihn projizierte VerkĂŒndigung, das „Kerygma“. Das Neue Testament sei Ausdruck einer mythologischen Weltanschauung, die zwischenzeitlich aber von der Wissenschaft abgelöst worden sei. Jungfrauengeburt wie Auferstehung seien Versuche, das Wesen Jesu in einem mythologischen Kontext zu beschreiben, aber historisch wie wissenschaftlich unhaltbar. Ein Glaube aufgrund historischer Fakten sei dagegen gar kein rechter Glaube. Christlicher Glaube, so Bultmann könne gar nicht auf historischer Wahrheit beruhen, sondern „allein auf der existentialen BerĂŒhrung“.  Schon deshalb dĂŒrften die Evangelien nicht als Augenzeugenberichte oder Lebensbilder von historischem Wert verstanden werden, sondern als ErzĂ€hlungen mit dem Zweck, die Glaubenswahrheit einer christlichen Gemeinde zu vermitteln. Dem stimmte auch Hoppe zu: „Wir haben es bei den Evangelien mit deutenden Quellen“ zu tun, mit Traditionen, die interpretiert werden mĂŒssen: „Das hat uns Bultmann ins Stammbuch geschrieben, dahinter können wir nicht zurĂŒck.“ Denn „Bultmann ist eine Riesengestalt“!

Die ArchĂ€ologie sei allenfalls „relevant fĂŒr die Frage, welche Menschen in PalĂ€stina gelebt haben“; in „PalĂ€stina“ wohlbemerkt, obwohl das Land zur Zeit Jesu JudĂ€a hieß und erst nach der Vertreibung der Juden durch Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert in „PalĂ€stina“ umbenannt wurde. Aber Historisches ist fĂŒr Hoppe ohnehin irrelevant und so sei auch mein Versuch problematisch, Neutestamentliches „Festzulegen und gegenstĂ€ndlich zu machen“. Die Aufgabe eines Jesus-Buches sei es vielmehr, „die Wirkung Jesu zu zeigen, nicht die Realien zu sichern.“

Wie wenig Hoppe von modernen Literaturgattungen versteht, bewies er allerdings, als er sich nach 38 Minuten endlich meinem Buch zuwandte. Ich wĂŒrde „zwei Gattungen vermischen, Erlebnisbericht und Jesusbuch“, warf er mir vor. Dass es sich vielmehr um ein populĂ€rwissenschaftliches Sachbuch handelt, nicht um eine wissenschaftliche Publikation, um ein Buch also, dass sich bemĂŒht, den Leser , der vielleicht das Heilige Land bereist oder bereisen will, behutsam in das Thema einzufĂŒhren, das vergaß er. Vielmehr hielt er die Bauchbinde „Mit den neuesten Forschungsergebnissen“ fĂŒr einen „wissenschaftlichen Anspruch“. Dabei wĂŒrde ich doch den neuesten Stand der Theologie ignorieren. Dass es um ArchĂ€ologie geht, wollte er wohl nicht wahr haben. Doch auch am Untertitel hatte er etwas auszusetzen: „Das ist Unsinn“, kommentierte er kurzerhand die Zeile „ArchĂ€ologen auf den Spuren des Erlösers“: „Erlöser ist ein Bekenntnis. Das kann uns nicht die ArchĂ€ologie erschließen, das geht nicht“. NatĂŒrlich nicht, Professor Hoppe. Aber die ArchĂ€ologie kann sich auf die Spuren eines Mannes machen, in dem fast zwei Milliarden Christen (und viel zu wenige Theologen) ihren persönlichen Erlöser sehen!

Dann, nach 45 Minuten, war er endlich in der Lage, mir einen echten Fehler nachzuweisen. Auf Seite 20 meines Buches wird Nazareth, natĂŒrlich fĂ€lschlich, nicht als „Heimatort“ Jesu, sondern als „Geburtsort“ bezeichnet. Ich bitte um Entschuldigung, dass auch mir (oder meinen Lektoren) bei  einem 300-Seiten-Buch im Laufe des Korrekturprozesses ein Fehler unterlaufen ist.  Ein Brief an den Verlag (oder mich) hĂ€tte es allerdings auch getan.

Der nĂ€chste Fehler, den er mir unterstellte, ist dagegen keiner. Auf S. 168 erlĂ€utere ich die „Zweiquellentheorie“ stelle dar, dass es nach Ansicht der „Formgeschichtler“ eine „Logienquelle Q“, d.h. eine Sammlung von Jesusworten gab, die MatthĂ€us und Lukas zur VerfĂŒgung stand. Die Existenz einer solchen Sammlung von „Herrenworten“ in hebrĂ€ischer (oder aramĂ€ischer) Sprache hat schon der Johannes-SchĂŒler Bischof Papias von Hierapolis um das Jahr 100 herum bezeugt. Ich behaupte nun: „Doch wĂ€hrend Lukas sie geschickt in seine ‚Biografie Jesu‘ einarbeitete, ĂŒbernahm sie ‚MatthĂ€us‘ fast als Block“. Das Gegenteil, so Hoppe, sei der Fall.

Nun genĂŒgt ein Blick in das Neue Testament, um festzustellen, dass nicht ich irrte, sondern der Professor. So sind die Jesus-Worte von MatthĂ€us als Bergpredigt tatsĂ€chlich in einem StĂŒck zusammengefasst, nĂ€mlich den Kapiteln 5 bis 7, bevor in Kapitel 8 „Die Taten des Messias“ geschildert werden. Es folgt noch in Kapitel 13 eine Gleichnissammlung. Lukas dagegen verteilt allein den Inhalt von MT 5-7 auf sieben Kapitel: 6, 11 bis 14, 16 und 19.  Doch weshalb exponiert sich ein Bonner Neutestamentler mit einer so offensichtlichen Falschaussage? Ich weiß es nicht.

Die dritte Kritik des Professors betraf ein Kardinal Meisner-Zitat auf Seite 253 meines Buches, entnommen seiner Predigt vom 7. August 2009. Hoppe echauffierte sich förmlich: Das sei „barer Unsinn. Das können wir nicht durchgehen lassen! So kann man das nicht machen!“ Ich bitte um Vergebung, einen der glaubensstĂ€rksten und theologisch versiertesten deutschen Bischöfe und nicht einen Bonner Theologen zitiert zu haben!

SpĂ€ter folgte sein vierter Vorwurf. Meine Zeittafel im Anhang des Buches sei „Unfug! Da hört’s auf!“ Wie konnte ich es nur wagen, zu behaupten, die (fĂŒr ihn wohl fiktive) Tempelwallfahrt des zwölfjĂ€hrigen Jesus habe „im Januar 8“ stattgefunden? NatĂŒrlich war es der April 8 n.Chr., so steht es auch im Buch, denn die Wallfahrt fand zum Paschafest statt. Sollte der Neutestamentlicher nicht wissen, dass dieses jĂŒdische Fest stets am 14. Nisan gefeiert wurde, beim ersten FrĂŒhlings-Vollmond, der sich ziemlich einfach astronomisch berechnen lĂ€sst; und 8 n.Chr., als Jesus zwölf war, fiel es nun mal in den April. Das Geburtsjahr Jesu lĂ€sst sich durch den historischen Stern von Bethlehem, aber auch durch die Angaben bei Lukas und MatthĂ€us ziemlich genau ermitteln. In jeder historischen Biografie findet man eine Zeittafel. Weshalb sollte Jesus davon ausgenommen werden?

„Genug der intellektuellen Zumutungen“ schloss Hoppe seinen gerade einmal zwölfminĂŒtigen Rundumschlag, offenbar hatte er nicht mehr Kritikpunkte in meinem Buch entdeckt. TatsĂ€chlich ging es ihm vielmehr um GrundsĂ€tzliches. Durch eine historische und archĂ€ologische Fixierung wĂŒrde „der Glaube eher banalisiert als gefestigt. Der Glaube wird durch vorgegebene Sicherheit entschĂ€rft“.  Ich dagegen behaupte: Der Glaube wird durch mangelnde Sicherheit relativiert. Die Glaubenskrise unserer Zeit ist eine direkte Folge einer Krise der modernen Theologie. Wenn alles Interpretationssache wird, wenn niemand weiß, was Jesus wirklich tat und sagte, weiß auch niemand mehr, woran er eigentlich glauben soll!

Meine Kollegen kommen nicht besser weg. Peter Seewalds „Jesus Christus“ sei „eine Schelte der wissenschaftlichen Jesus-Forschung, die so banal wie töricht ist“. Das Buch sei „albernes Zeug!“, der gescheiterte Versuch, „Jesus auf seinem Weg dingfest zu machen“. Evangelien, so Hoppe, seien ErzĂ€hlungen aus der Perspektive des Glaubens, „Jesus-Worte keine Ware, die unverĂ€ndert weitergegeben wurde“.

Dem Neutestamentler Prof. Dr. Klaus Berger  bescheinigte Hoppe, seine „Schelte der historisch-kritischen Exegese“ sei „frappierend naiv“. Der Bonner hĂ€misch: „Darum schreibt er jetzt auch nur noch in der Deutschen Tagespost, nicht mehr in der Frankfurter Allgemeinen. Das ist eben Berger!“

Das Fazit zog Dr. Wacker: Katholiken hĂ€tten noch viel nachzuholen. Da es bis in die 1950er Jahre dauerte, dass die historisch-kritische Exegese zugelassen wurde, hĂ€tten wir „weniger Erfahrung, damit umzugehen, wenn die historischen Fundamente wanken. Wir haben das in einem Schnelldurchgang lernen mĂŒssen.“

Vielleicht wĂ€re die logische Konsequenz, sich gleich zum Protestantismus zu bekennen. Oder, alternativ, eine Pseudowissenschaft zu entlarven, die so verheerende Auswirkungen auf den christlichen Glauben hat. Zumindest bin ich kaum erstaunt, dass so viele deutsche Theologen dieses unsĂ€gliche „Memorandum“ unterzeichnet haben. Wer nicht an die historischen Grundlagen des Christentums glaubt, dem gilt auch die Tradition der Kirche nichts!

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

DatenschutzerklÀrung