Gutachten: Gilt nach „Amoris laetitia“ can 915 CIC/1983 noch?

Modell eines kirchenrechtlichen Gutachtens ĂŒber die Frage: „Sind auch nach „Amoris laetitia“ wiederverheiratete Geschieden gemĂ€ĂŸ can. 915 CIC/1983 nicht zur Kommunion zuzulassen?“ Von Dr. iur can. Gero P. Weishaupt.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 16. Februar 2017 um 16:13 Uhr
Gero P. Weishaupt am Karlsthron

Die folgenden kirchenrechtlichen AusfĂŒhrungen verstehen sich als ein Modell fĂŒr ein Gutachten ĂŒber eine aktuelle Frage.

Frage: „Sind nach „Amoris laetitia“ wiederverheiratete Geschiedene gemĂ€ĂŸ can. 915 CIC/1983 nicht zur Kommunion zuzulassen?“

Antwort: Ja

BegrĂŒndung

  1. 915 CIC/1983 lautet in der deutschen Übersetzung der DBK:

Zur heiligen Kommunion dĂŒrfen nicht zugelassen werden Exkommunizierte und Interdizierte nach VerhĂ€ngung oder Feststellung der Strafe sowie andere, die hartnĂ€ckig in einer offenkundigen schweren SĂŒnde verharren.

Der lateinische Text lautet:

Ad sacram communionem ne admittantur excommunicati et interdicti post irrogationem vel declarationem poenae aliique in manifesto gravi peccato obstinate perseverantes.

In can. 915 sind die wiederverheirateten Geschiedenen in den Worten „sowie andere, die hartnĂ€ckig in einer offenkundigen schweren SĂŒnde verharren“ tatbestandsmĂ€ĂŸig erfaßt.

  1. ErklĂ€rung des PĂ€pstlichen Rates fĂŒr die Interpretation von Gesetzestexten

Am 24. Juni 2000 erließ der PĂ€pstliche Rat fĂŒr die Interpretation von Gesetzestexten in Bezug auf die wiederverheirateten Geschiedenen eine ErklĂ€rung ĂŒber can. 915. Dort heißt es:

„In den vergangenen Jahren haben einige Autoren auf der Grundlage unterschiedlicher Argumentationen die Meinung vertreten, dieser Kanon sei nicht auf jene GlĂ€ubigen anzuwenden, die sich nach den zivilen Gesetzen scheiden lassen und eine neue, zivile Ehe schließen. 
 Das Verbot, das im zitierten Kanon ausgesprochen wird, leitet sich, seiner Natur entsprechend, aus dem göttlichen Gesetz ab und ĂŒberschreitet den Bereich der positiven kirchlichen Gesetze: Letztere können keine gesetzlichen Änderungen herbeifĂŒhren, die der Lehre der Kirche widersprechen wĂŒrden. 


(D)ie Tatsache, dass man unwĂŒrdig ist, weil man sich in einem Zustand der SĂŒnde befindet, stellt auch ein schweres rechtliches Problem in der Kirche dar. 
 In der Tat ist es ein objektiver Schaden fĂŒr die kirchliche Gemeinschaft, wenn jemand, der öffentlich als unwĂŒrdig bekannt ist, den Leib des Herrn empfĂ€ngt; es ist ein Verhalten, das die Rechte der Kirche und aller GlĂ€ubigen verletzt, in konsequenter Weise den AnsprĂŒchen dieser Gemeinschaft entsprechend zu leben. Im konkreten Fall der Zulassung der geschiedenen und wiederverheirateten GlĂ€ubigen zur hl. Kommunion betrifft das Ärgernis – verstanden als ein Handeln, das die andern zum Schlechten bewegt – zugleich das Sakrament der Eucharistie und die Unauflöslichkeit der Ehe. Ein solches Ärgernis besteht auch dann, wenn ein derartiges Verhalten leider keine Verwunderung mehr hervorruft; ja, gerade angesichts der Verformung der Gewissen wird ein geduldiges und zugleich entschiedenes Handeln der Seelsorger umso notwendiger, zum Schutz der Heiligkeit der Sakramente, zur Verteidigung der christlichen Moral und zur richtigen Unterweisung der GlĂ€ubigen.

Die Formulierung „sowie andere, die hartnĂ€ckig in einer offenkundigen schweren SĂŒnde verharren“ ist klar und muss so verstanden werden, dass ihr Sinn nicht verformt und die Anwendung der Norm unmöglich wird.“ (ErklĂ€rung, Nr. 1)

Der PĂ€pstliche Rat nennt sodann drei Bedingungen, die gefordert sind, damit ein Betroffener nicht zur heiligen Kommunion zugelassen werden kann:

  1. a) die schwere SĂŒnde, im objektiven Sinn, denn die subjektive Anrechenbarkeit könnte der Kommunionspender nicht beurteilen;
  2. b) das hartnĂ€ckige Verharren, das heißt das Bestehen einer objektiven Situation der SĂŒnde, die in der Zeit fortdauert und die der GlĂ€ubige nicht aus der Welt schaffen will; es sind keine anderen Erfordernisse notwendig (herausforderndes Verhalten, vorausgehende Ermahnung usw.), damit die Situation in ihrer grundsĂ€tzlichen kirchlichen Schwere eintritt;
  3. c) der offenkundige Charakter der Situation der schweren habituellen SĂŒnde. (ErklĂ€rung, Nr. 2)

Der Empfang der heiligen Kommunion ist nach der ErklĂ€rung des PĂ€pstlichen Rates nur dann möglich, wenn „jene GlĂ€ubigen, die geschieden und wiederverheiratet sind und wegen ernster GrĂŒnde, zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder, nicht ‚der Verpflichtung zur Trennung nachkommen können‘“.  Sie befinden „sich nicht im Zustand der schweren habituellen SĂŒnde, wenn sie ‚die Verpflichtung eingehen, in voller Enthaltsamkeit zu leben, das heißt sich der den Gatten eigenen Akte zu enthalten‘ („Familiaris consortio“, Nr. 84) und auf der Grundlage dieser Absicht das Sakrament der Buße empfangen haben.

Weil die Tatsache, dass diese GlĂ€ubigen nicht more uxorio (= wie Eheleute; GPW) zusammenleben, naturgemĂ€ĂŸ verborgen ist, wĂ€hrend ihre Lebenssituation als geschiedene Wiederverheiratete naturgemĂ€ĂŸ bekannt ist, können diese nur remoto scandalo (= ohne Ärgernis; GPW) das Sakrament der Eucharistie empfangen“.

Von dieser Norm „kann keine kirchliche AutoritĂ€t in irgendeinem Fall von dieser Verpflichtung des Kommunionspenders dispensieren oder Direktiven erlassen, die dieser Verpflichtung widersprechen“.

  1. Aussagen aus dem Nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“

In seinem nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ vom 19. MĂ€rz 2016 ruft Papst Franziskus im achten Kapitel mit dem Titel „Zerbrechlichkeit – Begleiten, unterscheiden und eingliedern“ in Nr. 300 im Zusammenhang mit der „Unterscheidung der sogenannten ‚irrigulĂ€ren‘ Situationen Folgendes in Erinnerung:

„Wenn man die zahllosen Unterschiede der konkreten Situationen 
 berĂŒcksichtigt, kann man verstehen, dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle FĂ€lle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte. Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrĂŒcken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen FĂ€lle. Und da ‘der Grad der Verantwortung [
] nicht in allen FĂ€llen gleich [ist]‘ mĂŒsste diese Unterscheidung anerkennen, dass die Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein mĂŒssen.“ Im Zusammenhang mit den „Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm“, erklĂ€rt der Papst in Fußnote 336, dass diese auch auf dem Gebiet der Sakramentenordnung „nicht notwendig immer dieselben sein mĂŒssen“.

Dass der Papst damit nicht die von can. 915 erfaßte objektive Seite der SĂŒnde der Wiederverheiratung von Geschiedenen meint, sondern die subjektive Seite der SĂŒnde im Blick hat, ergibt sich

  1. a) aus den Aussagen in Nr. 302 von „Amoris laetitia“, wo er ausgehend von den im Katechismus der Katholischen Kirche genannten Bedingtheiten fĂŒr die mildernden UmstĂ€nde darauf hinweist, dass es „nicht mehr möglich ist zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ‚irrigulĂ€ren‘ Situation leben, sich in einem Zustand der TodsĂŒnde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben“ (Nr. 301). Der Papst zitiert dabei folgende Stelle aus dem Katechismus der Katholischen Kirche: „Die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung fĂŒr sie können durch Unkenntnis, Unachtsamkeit, Gewalt, Furcht, Gewohnheiten, ĂŒbermĂ€ĂŸige Affekte sowie weitere psychische oder gesellschaftliche Faktoren vermindert, ja sogar aufgehoben sein“ (KKK, Nr. 1735). DarĂŒber hinaus – so der Papst ebenfalls mit Berufung auf den Katechismus der Katholischen Kirche – gibt es „UmstĂ€nde, welche die moralische Verantwortlichkeit vermindern“ wie „affektive Unreife, die Macht eingefleischter Gewohnheiten, AngstzustĂ€nde und weitere psychische oder gesellschaftliche Faktoren“ (KKK, Nr. 2352).
  2. b) aus dem Bezug des Papstes auf die oben genannte ErklĂ€rung des PĂ€pstliche Rates fĂŒr die Interpretation von Gesetzestexten vom 24. Juni 2000, wenn er schreibt: „Aus diesem Grund beinhaltet ein negatives Urteil ĂŒber eine objektive Situation kein Urteil ĂŒber die Anrechenbarkeit oder die Schuldhaftigkeit der betreffenden Person“ (vgl. ErklĂ€rung, Nr. 2).

Papst Franziskus unterscheidet folglich wie der PĂ€pstliche Rat zwischen der objektiven und der subjektiven Seite der SĂŒnde. Ein Urteil ĂŒber die objektive Seite, das der Nichtzulassung zur Kommunion nach can. 915 CIC/1983 vorausgeht, bedeutet kein Urteil ĂŒber die subjektive Seite, nĂ€herhin â€žĂŒber die Anrechenbarkeit oder die Schuldhaftigkeit der Betreffenden Person“. Dieser Aspekt ist der aus dem antiken Römischen Recht stammenden Rechtsregel „De internis non iudicat praetor“ – Über inneres Verhalten urteilt kein Richter – verpflichtet. Can 915 CIC/1983 betrifft ausschließlich die dem Ă€ußeren Rechtsbereich (Forum externum) zugĂ€ngliche objektive Seite der SĂŒnde, nĂ€herhin die objektiv wahrnehmbare Situation der wiederverheirateten Geschiedenen. Der innere Gewissenbereich bzw. die Anrechenbarkeit der SĂŒnde und ihre Schuldhaftigkeit ist dem Ă€ußeren Rechtsbereich entzogen. Sie ist Gegenstand des inneren Gewissensbereich (Forum internum), nĂ€herin des Beichtsakramentes und der außersakramentalen seelsorglichen Begleitung der Betroffenen.

Wenn der Papst in der Fußnote Nr. 351 nicht ausschließt, „dass man mitten in einer objektiven Situation der SĂŒnde – die nicht subjektiv schuldhalft ist oder es zumindest nicht völlig ist“, „in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt“ (Al, Nr. 305), und deswegen auch „(i)n gewissen FĂ€llen 
 die Hilfe der Sakramente“ berĂŒcksichtigen soll – die den Empfang der heiligen Kommunion miteinschließt, wie aus dem nachfolgenden Satz „Gleichermaßen betone ich, dass die Eucharistie ‚nicht eine Belohnung fĂŒr die Vollkommen, sondern ein großzĂŒgiges Heilsmittel und eine Nahrung fĂŒr die Schwachen‘ ist“ folgt -, so ist der Empfang der heiligen Kommunion nur auf dem bereits von Papst Johannes Paul II. in seinem Nachsynodalen Schreiben „Familiaris consortio“ von 1981 und von der oben genannten ErklĂ€rung des PĂ€pstlichen Rates fĂŒr die Interpretation von Gesetzestexten vom 23. Juni 2001 gewiesenen Weg möglich.

Das aber heißt, um Anstoß bei GlĂ€ubigen zu vermeiden (remoto scandalo) ist der Kommunionempfang unter den in „Familaris consortio“ und „Amoris laetitia“ dargelegten Bedingungen nur dort möglich, wo die nach außen hin fortbestehende „irrigulĂ€re“ Situation nicht bekannt ist. Wo sie bekannt ist, dass heißt offenkundig ist, tritt die in can. 915 CIC/1983 normierte Rechtsfolge ein, nĂ€mlich die Nichtzulassung des wiederverheirateten Geschiedenen zur heiligen Kommunion, da 1. Die SĂŒnde im objektiven Sinn – und nur in diesem Sinne – schwer ist; 2. diese objektiv schwere SĂŒnde fortdauert und der GlĂ€ubige sie – auch nach Beichte, Reue und dem Vorsatz, enthaltsam zu leben – wegen bestimmter UmstĂ€nde, die in „Amoris laetitia“ beispielhaft genannt werden, nicht aus der Welt schaffen kann, so dass der Tatbestand der HartnĂ€ckigkeit gegeben ist; 3. diese Situation einen offenkundigen Charakter hat.

Da sich in „Amoris laetitia“ keine Aussagen finden, die den Vorgaben von „Familiaris Consortio“ widersprechen, und geltendes Kirchenrecht (can. 915 CIC/1983 in Verbindung mit der ErklĂ€rung des PĂ€pstlichen Rates fĂŒr die Interpretation von Gesetzestexten vom 24. Juni 2000) weder geĂ€ndert (derogiert) noch aufgehoben (abrogiert) wird, sind wiederverheiratete Geschiedene unter den vom Kirchenrecht vorgegebenen Bedingungen auch nach dem Nachsynodalen Schreiben „Amoris laeitita“ nach wie vor nicht zur heiligen Kommunion zuzulassen.

Reform in KontinuitÀt

Fazit: Das Nachsynodale Schreiben „Amoris laetitia“ steht diesbezĂŒglich in einer Linie mit dem bisherigen Lehramt der Kirche (KontinuitĂ€t). Das Neue besteht darin, dass das PĂ€pstliche Schreiben die subjektive Seite der „irrigulĂ€ren“ Situationen, hier der wiederverheirateten Geschiedenen, stĂ€rker als das bisherige Lehramt in den Blick nimmt (Reform).

Foto: Der Autor am Karlsthron im Aachener Dom – Bildquelle: privat

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