„Freiheit? Ein schönes Wort, wer´s recht verstände“ (zweiter und letzter Teil)

Ein theologischer Kommentar von Mag. theol. Michael Gurtner.
Erstellt von Mag. Michael Gurtner am 10. August 2012 um 11:57 Uhr
Kreuzigung Christi

Zur objektiven und subjektiven Freiheit. Nun wird man sich mit recht fragen: ja wenn die Freiheit nun in der Wahrheit Gottes gelegen ist, welche mir als Geschöpf aber vom Schöpfer her vorgelegen und daher nicht nach meinen Vorstellungen und Wünschen wandelbar ist: ist Freiheit dann nicht im Letzten doch nur ein Trug, da ich Gott ja ohnedies nicht nach meinen eigenen  Vorstellungen und Wünschen ändern kann? Denn wenn Freiheit immer auch einen Ich-Bezug hat, mir der Glaube und daher die Wahrheit vorgegeben ist und ich an diese gebunden bin, wo finde ich dann dieses Ich-Moment, welches zur „freien Handlung“ notwendig ist? Denn Freiheit setzt ja letztlich immer im Menschen an. Dieser vollkommen richtige Einwand löst sich dann auf, wenn wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen, daß das, was wir bisher gesagt hatten, auf die objektive Freiheit bezogen war. Freiheit ist ja, sehr ähnlich wie auch der Glaubensakt etwa, immer auf einen Inhalt hin bezogen. Ich kann nicht einfach so „freisein“, sondern dieses Freisein muß in etwas bestehen, ich muß freisein „zu“ etwas. Und wie Wahrheit, welche im Glauben liegt und die von Gott allein abhängig ist, ist genau dieser Inhalt, dieses „zu“ oder „für“, auf welches sich unser Freisein beruht.

An diesem Punkt hier setzt das notwendige subjektive Moment an, welches hinzukommen muß, und sich seinerseits wieder in zwei Momente untergliedert, nämlich in die innere subjektive Freiheit und in die äußere subjektive Freiheit. Der Mensch hat prinzipiell die Möglichkeit, sich für oder gegen die Wahrheit –die objektive Freiheit- zu entscheiden. Die Wahrheit liegt nämlich zwar unveränderbar vor, da sie vom unveränderlichen Schöpfer aller Dinge durch sein Wollen ins Dasein gehoben wurde, aber sie drängt sich dem Menschen nicht auf, so daß er zur Wahrheit gezwungen wäre. Er muß sich in einem eigenen Entscheidungsakt für diese Wahrheit entscheiden. Darin, daß der Mensch überhaupt diesen Akt einer inneren freien Entscheidung zur Wahrheit setzen kann, ist einer der Aspekte seiner Gottebenbildlichkeit gelegen: wie Gott nach freien Willensschluß Wahrheit setzen kann, so kann der Mensch, auf einer etwas niedriger angesetzten Stufe, an diesem insofern teilhaben, als auch er einen freien Willensakt setzen kann, indem er sich für oder gegen diese Wahrheit, die Gott gesetzt hat, entscheidet. Wie seine Entscheidung aber für oder gegen die Wahrheit ausfällt, im selben Maß wird er selbst frei oder unfrei.

Es handelt sich dabei also letztlich um die urpersönliche Entscheidung eines jeden Menschen, das Subjektive des menschlichen Ichs dem Objektiven des göttlichen Er/Du anzugleichen und in Übereinstimmung mit diesem zu bringen oder nicht. Dies auch tatsächlich zu tun, dazu bedarf es sowohl der inneren, daß heißt im Menschen selber gelegenen Freiheit (also daß er sich auf die Wahrheit hin öffnet und auch öffnen kann, und nicht durch seelische oder geistige Anomalien an einer wirklich eigenständigen Entscheidung gehindert ist), sowie der äußeren Freiheit, diese seine Entscheidung auch in die Tat umzusetzen. „Freiheit“ ist also dann erst recht entfalten, wenn die subjektive Freiheit, sowohl innerlich als auch äußerlich, und die objektive Freiheit, welche im Gottbestimmten gelegen ist, kongruent miteinander übereinstimmen.

Gott bestimmt den Weltenlauf

Nach diesen Ausführungen kann man den Einwurf der Kritiker geradezu hören, welche meinen, daß dies doch ein sehr einseitiges, weil vom katholischen Glauben her abgeleitetes Freiheitsverständnis ist, welchem es an einer allgemeinen Anerkennung ermangle und deshalb keinen gültigen Ausgangspunkt darstellen könne. In einer säkularen Welt, welche das religiöse Nicht-Bekenntnis der Staaten fordert und Religion ins stille, private Kämmerlein verdrängen möchte, sei es obsolet, so der Grundtenor, den Freiheitsbegriff ausgerechnet aus einem eindeutig religiösen Grund zu deduzieren. Es wird a priori ausgeschlossen, daß auch das Übernatürliche, und damit auch Gott zum Wirklichkeitsbereich gehören könnte – was in etwa so absurd ist, als ob die Theologie ihrerseits behaupten würde, die Naturwissenschaften wären nicht in der Lage, Wirklichkeit zu erkennen.

Gott bestimmt den Weltenlauf unabhängig davon, ob dies auch anerkannt wird oder nicht. Er ist nicht bloß ein Stück Wirklichkeit, quasi irgendein Teil von dieser, sondern vielmehr ist er der Träger allen Wirklichseins und aller Wirklichkeit schlechthin, und zwar unabhängig davon, ob dies erkannt oder anerkannt wird oder nicht. Wird Gott aus den Versuchen, Wirklichkeit zu ergründen und zu erklären verdrängt, so ändert das absolut nichts an den Wirklichkeiten selbst, welche immer sein Werk sind und bleiben. Das gilt auch für die Freiheit: wenn die Erkenntnisse, welche wir aus der göttlichen Offenbarung schöpfen können, ignoriert und zensiert werden, weil sie von einem bestimmten Prozentsatz von Wissenschaftlern nicht geteilt oder nicht anerkannt werden, so ändert das nichts an der Stellung Gottes für die sichtbaren und unsichtbaren Dinge der Welt. Wo die Freiheit von ihrem Urgrund abgetrennt wird, dort wird sie niemals als das erscheinen können was sie tatsächlich ist, sondern es wird etwas Freiheit genannt werden was in Wirklichkeit eben dies nicht ist, mitunter sogar das Gegenteil.

Die Gottesfrage ist die zentrale Frage der Philosophie schlechthin, und damit auch für die Frage nach der Freiheit. Denn ob Gott ist und wenn er ist wie er ist, ist determinierend für zahlreiche weitere Grundfragen. Und aus diesem Grund kann man nicht, schon gar nicht als gläubiger Katholik, die Freiheit ohne Gott behandeln und sie anders ableiten als sie uns von Gott vorgezeigt wurde. Wenn wir Gott wegreden, dann blenden wir die zentrale Wirklichkeit schlechthin aus, und demensprechend defizitär sind dann auch sämtliche Derivate, da bereits die Ausgangsbasis eine falsche ist. Nur wenn die gesamte Wirklichkeit in das Denken mit einbezogen wird kann es gelingen, den einzelnen Dingen ihrer Art gemäß den rechten Platz zuzuweisen und so zum Nutzen für die Menschheit werden zu lassen. Aus diesem Grund kann man nicht die zentralsten Grundwahrheiten einfach außer acht lassen, auch dann nicht, wenn sie sich nicht in den Grundkonsens einer Epoche einfügen lassen. Deshalb ist es nicht legitim, auf Gott in der Argumentation zu verzichten, nur weil er nicht konsensfähig ist, denn Wahrheit basiert nicht auf Akzeptanz, sondern steht über ihr. Aus diesem Grunde ist die Korrektheit der Frage nach der Freiheit unaufgebbar auf der Gottesfrage basierend.

Freiheit und Wahrheit im Blickfeld der Erlösungstat Christi

Daraus erschließt sich, daß Freiheit und Wahrheit untrennbar miteinander verbunden sind. Es ist die Wahrheit selbst –also der Glaube-, welche letztendlich frei macht. Wenn wir nun die Fraga danach stellen, wodurch wir befreit sind, dann stoßen wir unvermeidlich auf das Erlösungsopfer Christi auf Golgotha (den Exkurs über die paradiesische Freiheit, welche durch den Sündenfall verlorenging und durch das Kreuzesopfer erst wieder gewonnen wurde, welcher an dieser Stelle angebracht wäre, müssen wir aus Gründen der angebrachten Kürze weglassen, ebenso wie wir aus denselben Gründen die Evidenz Gottes vorhin nicht näher darlegen konnten, sondern auf die Konsultation der entsprechenden apologetischen und fundamentaltheologischen Werke verweisen müssen, um zu einem Ende zu kommen). Nur Christus hat uns erlöst, und dieser eben ist die Wahrheit, auch wenn dies nicht von allen so (an)erkannt wird.

Doch wovon hat er uns erlöst? Von den Folgen der Unwilligkeit, sich unter den Willen Gottes stellen zu wollen, und anstatt dessen selbst so sein zu wollen wie er. Diese Urschuld schränkte die menschliche Freiheit schwer ein und machte ihn zu einem Knecht seiner eigenen Fehlerhaftigkeit und Sünde. Der Mensch war derart zur Sünde geneigt, daß er die wahre Freiheit verloren hatte, sich auch innerlich frei für Gott zu entscheiden. Die Erlösung durch Christus war nichts anderes als die Erlösung vom Mißbrauch der Freiheit bei vollkommener Freiheit des paradiesischen Menschen. Diese Freiheit war nun stark getrübt und hatte schwerwiegende Folgen, nicht zuletzt auch die Einbuße eines guten Teils der Freiheit, weil die Bereitschaft zur Sünde das innere Gleichgewicht dermaßen störte, daß es dem Menschen nun vielfach leichter war zu sündigen als sich für den Willen Gottes zu entscheiden. Er war den Lockungen der Schlange anfälliger und dem Ruf Gottes tauber geworden. Erst durch Christus wurde uns der „Ort“ der vollkommenen Freiheit wieder zugänglich, nämlich das Paradies. Der Weg dorthin bleibt aber wesentlich härter und steiniger als es ohne die Erbschuld der Fall gewesen wäre, die Folgen der Erbschuld sind bis heute spürbar, so daß wir mit dem Apostel sagen können: die ganze Schöpfung stöhnt und ächzt bis zum heutigen Tag (Röm 8,22).

Für die Freiheit bedeutet dies, daß deren eigentliches Ziel uns zwar wieder zugänglich gemacht ist und wir damit durchaus wieder freier geworden sind, aber wir ungemein Mühe haben, unsere subjektive Freiheit auf die objektive Freiheit hin auszurichten. Gerade diese Letztursache der Freiheit ist aber das Entscheidende für ihr rechtes Verständnis: wir können Freiheit nicht recht denken, ohne sie von Gott und speziell nochmals auch von der Erlösung am Kreuzesstamm her zu denken. Wenn Gott also die erste und letzte Ursache der Freiheit ist, man aber zu einem aristotelischen Modell zurückkehrt, welches freilich keinen personalen Gott kennt, so bedeutet dies, sich früher oder später selbst an dessen Stelle zu setzen und zu werden wie Gott, wie es die Schlange in der Genesis verheißt. Das und nichts anderes ist die Alternative, denn zu verlockend das Angebot. Es drängt den modernen Menschen geradezu an die Stelle welche er sein eigen glaubt, und an welcher er die absolute Unabhängigkeit, Ungeschuldetheit und Unrechenschaftlichkeit wähnt – ein Wahn, in welchem er die oberste Instanz mindestens über sich selbst zu sein meint, in seiner Freiheit auch Einflußmöglichkeiten sieht, und dabei ganz vergißt, daß dies mit derselben Freiheit des anderen in Konkurrenz tritt.

Dabei übersehen wir, daß sich unser eigener Freiraum je weiter verengt, als wir die moralischen Grenzen, die uns Gott mit der Wahrheit setzt, zu dehnen versuchen. Wir dehnen, wo wir die vermeintliche Verengung zulassen und verengen, wo wir die Grenzen Gottes zu dehnen glauben. Auch weniger radikale und moderatere Freiheitskonzepte, welche eine Einschränkung des Einzelnen durch das übergeordnete Wollen der Mehrheit akzeptieren wollen (und nicht bloß müssen, wie in den anderen Konzepten), übersehen, daß diese akzeptierten Schranken ja doch wieder bloß die Summe menschlicher Einzelinteressen ist, denen es ebenso an einem objektiven, unveränderbaren Grundwert fehlt, und somit das Problem nicht löst, sondern lediglich vom Ich ins Ihr verlagert. Überspitzt könnte man von daher formulieren: die größtmögliche Freiheit des Menschen ist die von der Wahrheit begrenzte – alles andere ist deren Verengung, welche sich wie in einem Spiegelkabinett als Ausdehnung ausgibt, die aber doch nur Illusion ist.

Wahrheit verlangt nach wahrem Handeln

Die Illusion der falschen Freiheit kommt also, so sagten wir, durch ein falsches philosophisches Konzept von Freiheit zustande, welchem dann in logischer Folge das falsche, freiheitsscheinige aber in Wirklichkeit freiheitsberaubende Handeln folgt. Um also zur Freiheit zu gelangen, müssen wir nicht nur ihrem Fundament gewahr werden, sondern auch in unserem Handeln und in unserem Planen der Dinge die rechten Konsequenzen ziehen, indem wir der Wahrheit gemäß handeln, also unser Tun zum Guten lenken. Durch die Möglichkeit, uns dazu entscheiden zu können, sind wir ja Sittenwesen, so stellten wir bereits fest. Freiheit wird nämlich nicht allein durch Denken, so sehr dies auch der Freiheit Basis ist, sondern sie wird realisiert vor allem im auf das Denken folgenden Handeln.

Wenn dieses mit dem Willen Gottes in Einklang steht, so können wir von einem wahren (oder auch: moralischen) Handeln sprechen, welches uns, so es konsequent umgesetzt wird, die dem Menschen größtmögliche Freiheit gibt, und zwar bereits hier auf Erden angebrochen, aber ganz aufgebrochen schließlich in der Ewigkeit, indem wir –gemeinsam mit dem rechten Glauben – durch dieses die Frucht der göttlichen Erlösung voll auskosten können. Von daher zeigt sich, daß das „rechte Tun“, d.h. das moralisch gute Handeln, also das Handeln nach dem Willen Gottes, welcher allein Wahrheit ist, uns die eigentliche Freiheit erschließt, auch wenn es manchmal scheint, daß uns die Freiheit der Wahrheit beenge. Doch dies liegt besonders daran, daß vielfach eine Erwartungshaltung besteht, welche schier unerreichbar ist, nämlich so zu sein wie Gott.

Am nähersten kommen wir dieser überzogenen Erwartung, wenn wir die realistische Haltung einnehmen, und uns als Ab- und Ebenbild Gottes verstehen und danach uns auch verhalten: nehmen wir den Platz ein, welchen wir auch realistischer Weise innehaben, dann sind wir definitiv noch viel höher, als wenn wir diesen unseren Platz verlassen und nach etwas streben, was uns weder zusteht noch was wir je erreichen können. Oder um dasselbe mit einem Wortspiel zu formulieren: Der Mensch kann niemals göttlich werden, er kann aber sehr wohl seine Menschlichkeit verlieren. Damit geht aber auch im Grunde all das verloren, was ihn gottähnlich macht, und er wird unfrei wie das Tier, das seinem Trieben folgt und nicht wirklich frei ist, sittliche Entscheidungen zu treffen.

Drum wird nur der frei, der wahr handelt. Freiheit wächst und vergeht daher mit Wahrheit und dem Handeln nach dessen Maßstäben, also Moral. Die Wahrheit ist daher niemals Grenze, sondern immer Urgrund der maximal erreichbaren menschlichen Freiheit. Genau dies ist es letztlich auch, was Goethe in seinem Egmont zusammenfaßt, wenn er Alba so treffend sagen läßt: „Freiheit? Ein schönes Wort, wer’s recht verstände. Was wollen sie für Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit? – Recht zu tun!“

Foto: Kreuzigung Christi – Bildquelle: Manuel Gómez

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