Ein Besuch beim „Santo Bambino“, dem Jesuskind von Santa Maria in Aracoeli

In der Weihnachtskirche der Ewigen Stadt wird eine berühmte Jesusstatue verehrt.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 29. Dezember 2014 um 22:56 Uhr

Von Ulrich Nersinger. Der Aufstieg zu Santa Maria in Aracoeli, der altehrwürdigen Marienbasilika beim Kapitolshügel in Rom, ist den beschwerlich. Zur Basilika führen hundertvierundzwanzig Marmorstufen hinauf. Doch der mühsame Aufstieg wird belohnt. In dem Gotteshaus findet der Besucher ein kostbares Kleinod, das in einer Kapelle in unmittelbarer Nähe zur Sakristei aufbewahrt wird. Hier hält der „Santo Bambino“, das „Heilige Kind“, Hof. Alt und Jung, Römer und Fremde, verneigen sich hier vor einer sechzig Zentimeter großen hölzernen Statue des Jesuskindes.

In der kleinen Kapelle liegen Zettel mit einem Gebet aus: „Liebenswürdiger Jesus, der Du für uns ein Kind geworden bist und in einem Stalle geboren wurdest, um uns von der Sünde zu erlösen. Wir erkennen Dich an als unseren Gott und König. Als Ehrengabe opfern wir Dir alle Zuneigung unseres Herzens auf. Lieber Jesus, würdige Dich diese Gabe anzunehmen. Damit sie Dir aber wohlgefällig sei, bitten wir Dich, uns mit dem Feuer Deiner göttlichen Liebe zu entzünden. Laß auf diese Weise unsere Seele zum Altar werden, auf dem wir Dir das Opfer unserer Entbehrungen darbringen. Bewirke, dass wir hier auf Erden stets Deine größere Ehre suchen, damit wir einst Deiner ewigen Herrlichkeit im Himmel teilhaftig werden. Amen.“

Einer Legende nach soll die eindrucksvolle Statue des Jesuskindes in Jerusalem von einem Franziskanerbruder aus dem Holz eines Olivenbaumes vom Garten Gethsemani geschnitzt worden sein. Da dem Ordensmann die nötige Farbe fehlte, um das Werk fertigzustellen, sei ein Engel erschienen, der die Arbeit eigenhändig beendet habe. Auch der Weg, auf dem der Santo Bambino in die Ewige Stadt gefunden hat, wird als wundersames Geschehen berichtet – auf der Seereise musste der Franziskanerbruder wegen eines unheimlichen Sturmes das Kästchen mit dem kostbaren Schatz ins Wasser werfen; es schwamm aber hinter dem Schiff her und erreichte ganz allein den Hafen Livorno, von wo aus man es nach Rom brachte.

Schon bald wurden dem Santo Bambino zahlreiche Wundertaten zugeschrieben. In schweren Erkrankungen, bei denen es keine Hoffnung auf Genesung zu geben schien, vertraute man sich dem Jesuskind von Aracoeli an. Als ein Mitglied des Adelsgeschlechtes der Torlonia mit dem Tode rang, ließ es die Franziskaner bitten, den Santo Bambino mit Hilfe der nach Aracoeli entsandten Kutsche an sein Sterbebett zu bringen. Die Ordensbrüder entsprachen dem Wunsche. Der Adelige wurde nach dem Besuch des Jesuskindes – entgegen jeglicher Vorhersage – wieder gesund. Seitdem unternahm der Santo Bambino, der als der berühmteste Arzt Roms gilt, auch „Hausbesuche“. Noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand Tag und Nacht eine Kutsche des Fürsten Torlonia bereit, um den Bambino an das Bett eines Kranken zu bringen.

In seinem Buch Vatican Assigment (Diplomat im Vatikan) beschreibt Sir Alec Randall, der zwischen den beiden Weltkriegen Legationsrat an der Britischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl war, wie der Bambino einmal während einer schweren Krankheit zu ihm gebracht wurde: „1927 wurde ich von einem schweren Typhusfall aufs Krankenlager geworfen. Für eine Genesung schien keine Hoffnung mehr, und ich empfing die heiligen Sterbesakramente. Dann riet jemand, der berühmte Bambino aus der Kirche von Aracoeli solle zu mir gebracht werden. Meine Frau und Schwester Mary Campion, eine ‚Blaue Nonne’, die mich beide aufopfernd pflegten, gaben nach anfänglichem Zögern ihre Zustimmung. Pater Philip Langdon, der täglich bei uns ein und aus ging, erbot sich, die ziemlich aufgeputzte, aber große Verehrung genießende Figur des Gotteskindes mitsamt den Franziskanern, denen es oblag, sie zu den Sterbenden zu bringen, im Wagen des Kardinals zu holen. Als sie die Piazza Venezia überqueren wollten, versperrte ihnen ein Kordon Soldaten den Weg. Vergeblich wies Pater Philip auf das Kardinalswappen und die privilegierte CD-Nummer am Wagen. Niemand dürfe vorbei, ehe der Duce seine Rede vom Balkon des Palazzo gehalten habe. Pater Philip ließ nicht locker: er sei auf dem Weg zu einem Sterbenden, dem er den Bambino brächte. Sofort nahmen die Soldaten Haltung an und ließen ihn durch die Absperrung. Der Bambino kam an und wurde mir unter den vorgeschriebenen Gebeten gezeigt“.

Die Verehrung des Jesuskindes ist ungebrochen. In seiner Kapelle stapeln sich die Briefe, die ihm aus der ganzen Welt geschickt werden. Oft sind die Umschläge nur mit der Adresse „Il Bambino, Roma“ versehen, aber kein römischer Briefträger würde es wagen, ein solches Schreiben an den Absender zurückzuschicken oder nicht zuzustellen. Denn jeder Postbote weiß, wo der berühmte Bewohner der Stadt sein Zuhause hat, und er ahnt wohl auch, welche Bitten und Hoffnungen viele Absender mit diesen Schreiben verbinden. Die Briefe, die neben der Statue liegen, werden nach einigen Wochen von den Franziskanerbrüdern weggenommen und durch neue ersetzt. Der Schriftsteller Henry Vollom Morton fragte in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen der Patres, was denn mit diesen Briefen geschähe: „Sie werden alle verbrannt.“ – „Ungeöffnet?“ – „Natürlich! Was in den Briefen steht, ist eine Sache zwischen dem Bambino und dem Briefeschreiber und geht uns nichts an.“

Santa Maria in Aracoeli ist eine, wenn nicht sogar d i e Weihnachtskirche der Ewigen Stadt. Viele Römer haben den Brauch beibehalten, die Geburt des Herrn in dieser Basilika zu begehen. In seinem Concerto Romano schildert Reinhard Raffalt eindrucksvoll und berührend, wie eine römische Familie die Feier des Heiligen Abends beschließt: „Über der Stadt Rom haben die Glocken für die Mette zu läuten begonnen. Heute gibt es keine Straßenbahn und kein Taxi, also begibt sich die Familie Battistini zu Fuß auf das Kapitol, nach Aracoeli. Unten an der großen Treppe sind schon die Hirtenfeuer zu sehen, und die Schalmeien tönen. Auch dieses Jahr sind die Hirten von den Abruzzen wieder in die Stadt herunter gekommen, gekleidet in Felle, mit Schuhen aus Rinde und Bast. In ihren Schnapsäcken haben sie auch dieses Jahr wieder ein wenig von ihrem scharfen Käse, ein bißchen Salami und Rotwein und einen Packen von Briefen, den ihre Frauen und Kinder in den Bergdörfern an den Santo Bambino geschrieben haben. Immer spielen zwei von ihnen zusammen: der eine auf der Doppelflöte – der andere auf dem Dudelsack. Vor dem Kircheneingang liegt, mit der Krempe nach oben, ein verwaschener Hut, in den die Kirchenbesucher eine Kleinigkeit hineinwerfen, damit die Wiegenmusik weitergeht.

In der Kirche, zwischen den Säulen, die einmal in heidnischen Tempeln und im Schlafgemach des Kaiser Augustus gestanden haben, warten schon die Franziskaner-Mönche in den kostbaren Goldkleidern, die sie über ihre Kutten gezogen haben, auf den Augenblick, an dem die Große Glocke ertönt, die nur einmal im Jahr geläutet wird und deren Schall auch Rienzi und Michelangelo schon vernommen haben. Wenn die Mitternacht erreicht ist, treten die Mönche auf den Santo Bambino zu, der unter einem weißen Schleier verborgen in der Krippe liegt, nehmen die kleine Gestalt heraus, bringen sie zum Hochaltar und stellen sie auf den Tabernakel. Hebt der Diakon an zu singen: ‚In jener Zeit ging vom Kaiser Augustus der Befehl aus …’ und kaum ist das Evangelium zu Ende, da wird der Santo Bambino von seinem Schleier befreit, alle Lichter in der Kirche flammen auf, und die Leute in der Kirche, der Ministerpräsident und der Vater Battistini, rufen: ‚Vedi, vedi, il Santo Bambino, il Bambino Gesù, evviva il Bambino Gesù!’ Und die Väter nehmen ihre Kinder auf den Arm, die Orgel ertönt und alle beginnen das alte, reigenhafte Wiegenlied des Christkinds zu singen: ‚Tu scendi delle stelle …’!

Massimo, auf Vater Battistinis Arm, zeigt sich sehr beeindruckt von dem Lichterglanz. Aber später wird er müde, legt seinen Kopf an des Vaters Schulter und schläft ein. Und überall in der Kirche stehen die Väter neben ihren Frauen, mit den schlafenden Kindern an der Schulter, während durch drei Messen die rührende Weise forttönt vom Bambino Gesù, der von den Sternen herunter auf die Erde kommt“.

Foto: Santo Bambino – Bildquelle: Ulrich Nersinger

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