Drei Motuproprien und ein Jubiläumsablass – ein Impulstext – Fortsetzung von Teil I

Ein Kommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 20. September 2015 um 23:21 Uhr
Alte Messe - Manipel

Am vergangenen 14. September habe ich an das Inkrafttreten des Motu Proprio Summorum Pontificum vor mittlerweile acht Jahren erinnert. Dabei sollte der in der Praxis positive Gesamteffekt von Summorum Pontificum selbstverständlich im Vordergrund stehen. Dennoch kann eine Würdigung eines Gesetzestextes nach jahrelanger Anwendung nie auskommen, ohne auch die Schwierigkeiten und Grenzen anzugeben, die sich bei der Umsetzung des Gesetzes praktisch gezeigt haben und gegebenenfalls theoretisch bereits im Gesetzestext selbst angelegt waren.

Beim Motu Proprio Summorum Pontificum zeigt sich immer deutlicher, dass die rechtsfiktive Annahme einer Zweigestaltigkeit des einen Römischen Ritus bereits im Ansatz einen Konflikt heraufbeschwört. Ehe ich in Teil II auf das Schreiben vom 1. September 2015 eingehe, mit dem der Heilige Vater Franziskus zum Außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit den Ablass gewährt, möchte ich noch ein wenig bei der Beschäftigung mit Summorum Pontificum verweilen. Konkret heißt das, dass ich Teil I sozusagen noch vertiefen muss, ehe Teil II folgen kann. Man möge also den heutigen Beitrag als eine Art (ursprünglich so nicht vorgesehener) Fortsetzung von Teil I lesen.

Das Instrument der Rechtsfiktion

Um nicht missverstanden zu werden, wiederhole ich, dass die rechtstheoretische Einrichtung der Fiktion generell und so auch im Motu Proprio Benedikt XVI. nicht zu beanstanden ist. Sie hat vielmehr ihren Ursprung bereits im Römischen Recht und sich somit seit alters bewährt, um in der praktischen Rechtsanwendung Phänomene, die konkret als Rechtsproblem auftreten, aber selbst noch nicht rechtlich erfasst sind, einer bereits geregelten Materie des Rechts, in unserem Fall dem „einen Römischen Ritus“, zuzuordnen. Interessant ist an dieser Stelle vielleicht, dass die fictio schon ursprünglich der sehr juristisch ausgerichteten Religiosität der Römer entstammt; pontifikalrechtlicher Herkunft ist, von der aus sie sich auf profane Anwendungsbereiche ausgedehnt hat und bis heute ganz selbstverständlich angewandt wird.

Dabei kann sie völlig legitim so weit gehen, das offensichtliche Gegenteil der konkreten Realität als rechtlich geltende Definition festzulegen. Dieser Fall scheint in der Annahme eines einzigen, jedoch ambiformen Römischen Ritus, beziehungsweise der Existenz dessen beider Formen gegeben zu sein, insbesondere wenn eine Reform der Reform, die durch diese Fiktion ohne Gesichtsverlust für Paul VI. elegant hätte ermöglicht werden können, niemals verbindlich konkretisiert worden ist.

Das Problem, auf das ich hinaus will, ist dabei, dass jeder, der sich für seine gottesdienstliche Praxis auf Summorum Pontificum beruft, zumindest einschlussweise anerkennt, dass die von ihm praktizierte, traditionellere Ausdrucksform des Römischen Ritus gegenüber der zeitgenössischeren bloß außerordentlich ist, also Ausnahmecharakter hat. Man könnte dieses Problem sogar noch feiner auffächern, aber ich möchte mich im Wesentlichen auf eine konkrete Konsequenz, die ohnehin bereits wiederum zumindest zwei Aspekte einschließt, konzentrieren.

Wechselseitige Befruchtung, nicht Abschottung

Benedikt XVI. schwebte mit Summorum Pontificum eine wechselseitige Befruchtung beider Ausdrucksformen des Römischen Ritus vor. Es ging dabei um eine Integration der überlieferten Gestalt Römischer Liturgie, die aus ihrer Isolation herausgeführt werden sollte. Diese Bewegungsrichtung, wie man sagen könnte, sollte nicht nur eine bestimmte, historisch erreichte Ausprägung des Gottesdienstes betreffen, sondern insbesondere diejenigen Menschen (wieder) integrieren, die sich dieser Feiergestalt verbunden fühlen.

Damit ist es eigentlich ausgeschlossen, und damit spitzt sich das Problem, das ich meine, zu, dass es auf der Grundlage von Summorum Pontificum in der Kirche Kleriker und Laien, ja ganze Gemeinschaften und Gottesdienstgemeinden geben kann, die de facto ausschließlich in der sogenannten außerordentlichen Form des Römischen Ritus praktizieren. Denkt man allein von den beiden Polen „ordentlich“ und „außerordentlich“ her, wäre es schon fraglich, ob jemand der Absicht, die Benedikt XVI. mit Summorum Pontificum hatte, gerecht wird, der meistens die alte Liturgie (mit-)feiert.

Einwand „Handkommunion“

Dieses Argument allein ließe sich noch entkräften und zwar am Beispiel der Kommunionspendung und des Kommunionempfangs. Nach wie vor ist rechtlich die Handkommunion die außerordentliche Form des Kommunionempfanges und anders als die überlieferte Liturgie beruht sie zudem unverändert nur auf einem Indult. Trotzdem gibt es offensichtlich viele Gläubige, die niemals die ordentliche Form wählen, um zu kommunizieren. Diese werden ja auch nicht angehalten, wenigstens gelegentlich oder gar überwiegend Mundkommunion zu empfangen.

Aber ganz analog liegen beide Beispiele eben nicht, denn ältere und neuere Form des Römischen Ritus sollen einander ja befruchten, und der neuere Usus „gilt“ (dieses Wörtchen zeigt übrigens regelmäßig das Vorliegen einer Rechtsfiktion an) als die „ordentliche“ Form von beiden.

Acht Jahre Summorum Pontificum in der Praxisanwendung

Bis hierher waren meine Ausführungen wieder einmal sehr theorielastig und mussten doch ziemlich ausführlich sein. Sie bereiten einen kritischen Blick auf die praktische Umsetzung von Summorum Pontificum in den zurückliegenden acht Jahren vor:

1. Ist die Integration gelungen oder nicht sogar die Isolation verfestigt worden?

Es gibt Gemeinschaften, die de facto ausschließlich den außerordentlichen Usus anwenden. Das gilt unter anderem von der Petrusbruderschaft, die ich als prominentestes Beispiel nenne, auch weil ihr bei ihrer Gründung der exklusive Gebrauch „der liturgischen Bücher von 1962″ ausdrücklich zugestanden worden ist. Es ist wirklich fragwürdig, ob ein solcher Gebrauch nach Summorum Pontificum, der ihn als „außerordentlich“ qualifiziert, theoretisch und praktisch noch derart exklusiv sein kann.

Allenfalls könnte eine solche Exklusivität wohl strenggenommen nur noch für interne gottesdienstliche Feiern in den Niederlassungen dieser Gemeinschaften akzeptiert werden, müsste jedoch im Bedarfsfalle die praktische Bereitschaft bestehen, außerhalb auch den ordentlichen Usus anzuwenden und zwar so, wie er konkret als legitim anerkannt und etabliert ist. Das würde also natürlich nicht zur aktiven Mitwirkung an regelrechten liturgischen Missbräuchen „verpflichten“, allerdings sind der Volksaltar, die Volkssprache, die Zelebration zum Volk, die Handkommunion und auch der Einsatz weiblicher Ministranten im ordentlichen Usus eben keine solchen Missbräuche, sondern vorgesehene, sogar weitverbreitete Varianten.

Einwand „Personalpfarrei im Usus antiquior“

Summorum Pontificum sieht zwar die Möglichkeit vor, rechtlich eigene Personalpfarreien des Usus antiquior zu errichten, in denen prinzipiell täglich Gottesdienste stattfinden. Einerseits wird von dieser Möglichkeit auf’s Ganze gesehen aber wenig Gebrauch gemacht, und andererseits fragt sich, ob es der Absicht des Gesetzgebers entspricht, wenn die Pfarrer solcher Pfarreien oder andere Zelebranten ausschließlich in diesem Kontext eingesetzt werden oder aber, wenn es Gläubige gibt, die ausschließlich dort praktizieren.

An den meisten Orten freilich, wo auf Grundlage von Summorum Pontificum zelebriert wird, geschieht das nicht täglich, weil keine kanonische Niederlassung einer Ecclesia-Dei-Gemeinschaft besteht und auch keine Mitglieder einer solchen Gemeinschaft dort ständig ihren tatsächlichen Aufenthalt oder Wohnsitz haben. Nun muss natürlich niemand täglich in die heilige Messe gehen, es ist aber lobenswert, und viele Menschen wünschen auch, zumindest die Gelegenheit zu haben, täglich die heilige Messe besuchen zu können.

Seit Summorum Pontificum sind die meisten Gottesdienste auf der Grundlage des Motu Proprio wahrscheinlich heilige Messen an Sonn- und Feiertagen, an Tagen also, an denen Sonntagspflicht besteht. Vielerorts gilt das für alle Sonn- und Feiertage mit Sonntagspflicht beziehungsweise für solche arbeitsfreien, staatlichen Feiertage, denen ursprünglich ein religiös-kirchliches Motiv zugrundeliegt.

Das gilt auch für die Stadt, in der ich selber wohne. Zusätzlich gibt es dort eine Niederlassung der Priesterbruderschaft St. Pius X. mit jedenfalls grundsätzlich täglicher heiliger Messe. Zwei heilige Messen sind keine Seltenheit.

Was ich verdeutlichen möchte, ist, dass jemand, der (gegebenenfalls zur Erfüllung der Sonntagspflicht oder aus Andacht) ausschließlich die „tridentinische“ heilige Messe besucht und erst recht als Priester zelebriert, sich zweifelsohne weder auf die gesetzgeberische Absicht, die hinter dem Motu Proprio Summorum Pontificum steht, noch auf seinen „Geist“ berufen kann.

Ich möchte das nicht (!) kritisieren und betone deshalb an dieser Stelle, dass dieses Verhalten auf mich persönlich zutrifft, denn ich besuche niemals, sei es aus Andacht, sei es erst recht, um die Sonntagspflicht zu erfüllen, heilige Messen nach dem sogenannten ordentlichen Usus. Ich schließe das auch nicht fanatisch aus, aber es geschieht höchst selten und wenn, dann aus rein gesellschaftlichen, beispielsweise familiären Gründen.

Sonn- und feiertags besuche ich meist das Hochamt der Petrusbruderschaft, regelmäßig aber auch das der Piusbruderschaft. Wenn ich werktags in die heilige Messe gehe, was mir nicht immer möglich ist, überwiegend bei der Piusbruderschaft, gelegentlich auch bei einem Prämonstratenser-Chorherrn, der als Pfarrer eingesetzt ist und jeden Montag nach älterem Usus des Römischen Ritus zelebriert. In Abstimmung damit entfällt an Ostern und Pfingsten in meiner Stadt am zweiten Feiertag sogar das Hochamt der Petrusbruderschaft.

Ich führe dies so konkret und praktisch aus und lasse dabei sogar meine eigene Person durchschimmern, um zur nächsten Fragestellung zu gelangen:

2. Was ist die Motivlage bei Priestern und Gläubigen, aufgrund von Summorum Pontificum die überlieferte Römische Liturgie zu praktizieren?

Bei der Beantwortung dieser Frage will ich ganz konkret von „meinem“, von der Petrusbruderschaft betreuten Gottesdienstort ausgehen. Es sind dies also keine täglichen, sondern allsonn- und feiertägliche Hochämter oder gesungene Ämter. Weil es sich um Zelebranten der Petrusbruderschaft handelt, stehen in meinem Antwortversuch die repräsentativen Gläubigen im Vordergrund. Deren Besuch ist seit Jahren konstant, jedoch auch immer schon und durchgehend zahlenmäßig ausgesprochen schwach.
So gering, dass es rein objektiv sicher nicht rechtfertigen müsste, Woche für Woche eigens von auswärts anzureisen, um ein zusätzliches Hochamt zu halten. Zusätzlich sage ich, weil es ja jahrzehntelang schon ein gutbesuchtes Hochamt der Piusbruderschaft gibt, dessen Besucher auch eine gesunde Generationenstruktur aufweisen. Man wird wohl feststellen müssen, dass in der gesamten Stadt, sogar mit einem relativ großen Einzugsgebiet, dieses Piushochamt den tatsächlichen, quantitativen „Bedarf“ durchaus bereits sättigt und jedenfalls ohne weiteres auch noch jene Gläubigen aufnehmen könnte, die grundsätzlich wirklich konsequent immer kommen, wenn die Petrusbruderschaft ihr Hochamt feiert. Dies ist eine ganz nüchterne Feststellung und jedenfalls keine Kritik an der Einsatzfreude und am Idealismus der Petrusbrüder, die trotzdem jede Woche die Kosten und den Aufwand der Anreise auf sich nehmen.

Gläubige, die wie ich sonn- und feiertags hin und wieder von der Petrusbruderschaft zur Piusbruderschaft pendeln, beschränken sich auf wenige Einzelpersonen, umgekehrt schlägt das Pendel zahlenmäßig sogar noch geringer und auch noch etwas seltener aus.

Zahlenmäßige Besuchsspitzen ergeben sich bei der Petrusbruderschaft höchstens bei kirchenmusikalisch hochkarätigen Anlässen, die es dank musikalisch engagierter Gläubiger immer wieder im Jahr gibt, wozu dann sogar professionelle Musiker hinzugezogen und finanziert werden. Diese „Besucherrekorde“ verbessern freilich die Statistik, doch darf nicht verdrängt werden, dass die Anziehungskraft dieser Anlässe offensichtlich eine überwiegend rein musikalische ist. Ich könnte niemanden nennen, der durch eine solche Orchestermesse auf den Gottesdienst der Petrusbruderschaft aufmerksam geworden wäre und daraufhin anschließend immer oder oft kommen würde, auch wenn kirchenmusikalischer Alltag (psalmodiertes Proprium und Choralordinarium mit einem Kirchenlied zu Anfang und am Schluss) herrscht.

Der typische Summorum-Pontificum-Kirchgeher

Das Motu Proprio Summorum Pontificum hat insgesamt eine geringe Ausstrahlung entfaltet. Es stimmt allerdings, dass bestimmte, besonders „fromme“ Kreise, die vorher noch keine Berührung mit der alten Liturgie hatten, durch dieses Motu Proprio damit in Kontakt gekommen sind.

Ich bin überzeugt, dass bei mir vor Ort 99 Prozent der Gläubigen, die wirklich immer treu kommen, genau dieser Gruppe angehören. Es sind also diejenigen, die sicherlich vielfach täglich zur heiligen Messe gehen, teilweise vielleicht sogar mehrmals, die also normalerweise werktags und damit überwiegend an der neuen Liturgie teilnehmen, zumindest dort, wo sie sie subjektiv als „fromm“ und „würdig“ gefeiert erleben oder den Zelebranten als „super“, beziehungsweise als „noch gut“ empfinden. Eine gewisse Ironie, die hier mitschwingt, ist beabsichtigt, aber nicht böse gemeint.

Die Kritik richtet sich eher gegen das Motu Proprio Summorum Pontificum selbst. Denn diese Leute sind es strenggenommen, die tun, was das Motu Proprio für ideal hält. Sie feiern „auch“ die alte Liturgie, vielleicht sogar oft, in der Regel aber öfter die neue. Da sie die Atmosphäre der alten Liturgie kennen, feiern sie auch die neue nicht willkürlich und eher gediegen, aber ohne prinzipielle Bedenken. Im Gegenteil hätten sie Bedenken, wenn sie am Sonn- oder Feiertag keiner heiligen Messe beiwohnen würden, bloß weil es keine „alte Messe“ gibt.

Die Patres der Petrusbruderschaft nehmen hier offiziell eine inkonsequente Haltung ein. Obwohl sie dies nach Summorum Pontificum prinzipiell nicht ausschließen können, zelebrieren sie selbst – trotz Priestermangels – konkret nie im neueren Usus. Eher zelebrieren sie ohne Gläubige privat im außerordentlichen Usus, bevor sie in einem Usus, den sie als ordentlich anerkennen, auch nur ausnahmsweise aushelfen würden. Den Gläubigen jedoch, die sich an sie wenden, wollen sie die ernste Gewissenspflicht auferlegen, zur Erfüllung der Sonntagspflicht auch am ordentlichen Usus teilzunehmen, wenn man den alten nicht erreichen kann.

Das ist schizophren, erst recht, wenn man bedenkt, dass es außerhalb von Städten, wo es mehrere Kirchen und vielleicht auch noch Klöster gibt, selbst ohne überstrenge Maßstäbe anzulegen, sehr schwierig werden kann, etwas zu finden, was wirklich beanspruchen kann, wenigstens formal den ordentlichen Usus tatsächlich darzustellen.

Praktisch ist dies ein Hauptgrund, weswegen ich inzwischen auch theoretisch der Fiktion der Zweigestaltigkeit des Römischen Ritus in Summorum Pontificum sachlich nicht mehr zustimmen kann, was freilich, wie schon ausgeführt, der juristischen Berechtigung einer Fiktion nicht grundsätzlich entgegensteht. Ohne Reform der Reform im Lichte der liturgischen Tradition entfällt aber die praktische Berechtigung der konkreten Rechtsfiktion in Summorum Pontificum.

Sosehr es im Prinzip zu begrüßen ist, dass durch Summorum Pontificum auch weitere Kreise die alte Liturgie erleichtert kennenenlernen konnten, kann ich nicht nachvollziehen, wie man als Laie, der die alte Liturgie kennen- und schätzengelernt hat, auf Dauer auch die neue Liturgie mitfeiern kann und sei sie noch so „würdig“ und „fromm“ gefeiert. Und doch ist gerade das das Ideal von Summorum Pontificum. Das ist die Spitze meiner Kritik. So gesehen begeht einen liturgischen Missbrauch, wer ausschließlich Gottesdienste auf der Rechtsgrundlage von Summorum Pontificum (mit-)feiert, füge ich schmunzelnd hinzu.
Priestern, die im aktiven Dienst stehen, bringe ich mehr Verständnis entgegen als zweigleig fahrenden Laien. Einerseits können sie kaum ausschließlich zur alten Liturgie übergehen, andererseits können sie wenigstens die neue Liturgie „im Geiste“ einer Reform der Reform feiern. Da diese nie verbindlich geworden ist oder amtlich konkretisiert wurde, steht hinter einem solchen Vorgehen zwar sicher guter Wille, doch objektiv ist es genauso subjektiv wie die Willkür liturgischer Missbräuche und gewissermaßen deren, nicht weniger individualistisch-subjektives, gutgemeintes Pendant.

Das Dilemma von Summorum Pontificum

Die Position der Piusbruderschaft bestreitet nicht aus Prinzip die Zuständigkeit und das Recht der kirchlichen Obrigkeit, die Liturgie der Kirche zu ordnen. Für ihre Treue zur überlieferten Liturgie hat sie sich aber nie auf Summorum Pontificum gestützt und könnte sich auch gar nicht darauf berufen, weil sie es zurückgewiesen hat, die Zweigestaltigkeit des einen Römischen Ritus zu akzeptieren.

Als Rechtsfiktion des kompetenten Gesetzgebers konnte man dagegen per definitionem keinen sachlichen Einwand erheben. Wenn aber die Reform der Reform ausbleibt, entfällt tatsächlich ein sinnvolles Motiv, diese Fiktion inhaltlich (!) als sachlich zutreffend oder angemessen zu akzeptieren. Ohne Reform der Reform wird das, was hier rechtliche Fiktion ist, faktisch zwangsläufig zur Illusion.

Sachlich angebracht wäre eine Reform der neueren Form anhand der Vorbildfunktion der älteren Form Römischer Liturgie gewesen. Doch durch die – kirchenrechtlich nachvollziehbare! – Zuordnung von ordentlich und außerordentlich in Summorum Pontificum wäre strenggenommen gerade das Gegenteil vorgezeichnet gewesen, hätte vorwiegend die alte Liturgie der neuen angenähert werden, nicht die neue stärker an die liturgische Tradition rückgebunden werden müssen.

Die eigene liturgische Praxis Benedikt XVI., sein gottesdienstliches Vorbild, auch die liturgietheologischen Arbeiten Ratzingers schienen den umgekehrten Weg der Reform der Reform zu betonen. Vielleicht war in diesem Widerspruch das Ausbleiben oder Scheitern der erforderlichen Reform schon besiegelt.

Indem ich auf diesen Widerspruch hinweise, der strenggenommen bereits im Ansatz ein theoretischer ist, indem das Motu Proprio eine Zweigestaltigkeit des einen Römischen Ritus annimmt, sage ich nicht, man dürfe oder könne nicht länger an gottesdienstlichen Feiern aufgrund von Summorum Pontificum teilnehmen oder solle dies meiden. Der positive, konkrete Gesamteffekt von Summorum Pontificum bleibt trotz allem bestehen und berechtigt zu einem beherzten Pragmatismus.

Ich zweifele aber keinen Augenblick daran, dass viele, die die alte Liturgie erst seit Summorum Pontificum kennengelernt oder wiederentdeckt haben, dadurch aber eben gerade (ganz im Sinne von Summorum Pontificum!) nicht exklusiv zur alten Liturgie zurückgekehrt sind, sich großteils wieder davon abwenden würden, wenn das Motu Proprio restriktiver ausgelegt oder wieder durch limitierendere, andere Normen ersetzt werden würde.

Bestimmte Leute, die durch Summorum Pontificum angezogen wurden und auch bei mir vor Ort das Klima in der Gottesdienstgemeinde der Petrusbruderschaft nicht unerträglich, aber doch unangenehm spürbar belasten, würden das vielleicht mit einem gewissen Bedauern tun, sich darüber aber nach gewisser Zeit doch hinwegtrösten und sei es, dass sie ihre Dosis an Privatoffenbarungen, Erscheinungen und Verschwörungstheorien noch ein bisschen steigern oder sich über die schreckliche Aufweichung der Sexualmoral durch die verruchte Familiensynode genüsslich echauffieren.

Foto: Alte Messe – Manipel – Bildquelle: Berthold Strutz

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