Der Priestermangel ist relativ und mitverschuldet

Eine Analyse von Mag. Michael Gurtner.
Erstellt von Mag. Michael Gurtner am 16. Januar 2012 um 22:05 Uhr
Priesterkragen

Die Sorge um neue Berufungen wĂ€chst von Jahr zu Jahr in den BistĂŒmern des Westens und nicht zuletzt auch in den BistĂŒmern deutscher Zunge. In der Bundesrepublik etwa sank 2008 die Zahl der Priesterweihen erstmals unter 100 (95), und nur zwei Jahre spĂ€ter fiel sie etwa um weitere 20 Weihen. Alle beklagen den Priestermangel, freilich unter unterschiedlichen Vorzeichen. Manche wollen diese Situation sogar fĂŒr ihre eigenen, privaten WĂŒnsche ausschlachten und fĂŒhren diese als Argument fĂŒr ihre Forderung nach einer „Änderung der Zulassungsbedingungen“ an, dabei nicht bedenkend, daß man dadurch nichts zum Positiven Ă€ndern wĂŒrde, sondern aus dem ohnedies schon ungesund verzerrten Priesterbild etwas völlig anderes machen wĂŒrde. Doch davon abgesehen muß man das PhĂ€nomen Priestermangel in seinem gesamten Kontext betrachten, vieles sieht dann nĂ€mlich schon wieder ganz anders aus.

Der Mangel an Priestern ist ein relativer

Wenn wir der Zahl der Priester die Zahl der praktizierenden GlĂ€ubigen gegenĂŒberstellen, so hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum etwas verĂ€ndert: das VerhĂ€ltnis Priester – GlĂ€ubige ist in etwa gleichgeblieben. Sind die Priester, etwa in einer Pfarrei, weniger geworden, so auch die zu hörenden Beichten, die Taufen, die SeelsorgegesprĂ€che und so weiter. Mir ist kein Priester bekannt der dringend einen Kaplan brĂ€uchte, weil er derart belagert wird daß er kaum noch aus dem Beichtstuhl kommt. Das VerhĂ€ltnis Priester – GlĂ€ubige hat sich also (wenngleich regional unterschiedlich) nicht wesentlich verĂ€ndert. Und dennoch scheint es, daß bei etwa gleichbleibender Zahl der de facto zu betreuenden GlĂ€ubigen das Arbeitspensum und die MĂŒhen der Priester ein kaum noch zu bewĂ€ltigendes Maß angenommen hat, jedenfalls bekommt man diesen Eindruck wenn sie ihren Terminkalender konsultieren, sie einem von den vergangenen oder kommenden Tagen erzĂ€hlen oder man die eine oder andere Personalgeschichte kennenlernt, welche oft mit Depression, Alkoholkonsum oder schweren ErschöpfungszustĂ€nden in Verbindung steht – reale Geschichten, welche das Priestertum in ein dunkles Licht stellen welches nicht wirklich anziehend auf junge MĂ€nner wirken kann. Viele Priester wirken geradezu abschreckend, weil sie ein reichlich trĂŒbes Bild vermitteln und in ihnen die Gestalt des alten Christus nicht mehr durchscheint. Dabei ist es weniger das Faktum daß der Terminkalender voll und der Arbeitstag lang ist, welches sich negativ auf die Seelen der Geistlichen niederschlĂ€gt: es gibt nĂ€mlich auch einen positiven Streß, welcher ein Bewußtsein hinterlĂ€ĂŸt, etwas großes, gutes und wichtiges getan zu haben und so trotz eines hohen Arbeitspensums eine Form seelischer Zufriedenheit hinterlĂ€ĂŸt.

Die Strukturen sind ungesund aufgeblÀht

Mehr als das quantitative Arbeitspensum ist es das qualitative: einerseits nimmt man den Priestern ihr KerngeschĂ€ft weg, andererseits fĂŒllt sich ihre to-do-Liste mit immer mehr Pflichten, welche im Grunde genommen vielen sinnlos erscheinen und sie von Seelsorge und Theologie abhalten: vielem und vielen kann man sich nicht widmen, weil man von Dingen abgehalten wird, welche im Grunde genommen ĂŒberflĂŒssig sind. Einen regelrechten Gremienjungel hat man in den letzten Jahrzehnten aufgeblasen, ĂŒberall muß der Priester erst nachfragen, vielfach mit Streit verbunden, besonders wenn es darum geht, Verfahrenes wieder „auf Kurs zu bringen“, sprich: nach den römischen bzw. traditionellen Vorgaben zu ordnen. FĂŒr die einfachsten Angelegenheiten mĂŒssen, bevor ein einfaches Ja oder Nein gegeben werden kann, RĂ€te und Gremien konsultiert und befragt werden.

Mitunter wird es zum nervenzerreibenden Kraftakt, die grĂ¶ĂŸten SelbstverstĂ€ndlichkeiten durchzubringen. Hinzu kommt, daß manche Priester bisweilen stĂ€ndig mit unzulĂ€nglichen oder theologisch fragwĂŒrdig bis falschen Situationen leben mĂŒssen, um ĂŒberhaupt arbeiten zu können (man ĂŒberlegen was geschehen wĂŒrde, wenn ein Priester plötzlich nur mehr die Hl. Kommunion nur mehr in den Mund spenden wĂŒrde oder keine MĂ€dchen mehr als Ministrantinnen zuließe, oder aber auch den Volksaltar entfernen wĂŒrde
). FĂŒr zahlreiche Priester ist diese Situation zermĂŒrbend, und fĂŒr viele junge MĂ€nner eine unnötige Erschwernis den Schritt ins Priesterseminar zu wagen; denn wenn man ohnedies im vorhinein schon weiß in welchen UmstĂ€nden man sich einmal wiederfinden wird, wenn man erst einmal in der Pfarre ist??? Und mit einer Pfarrstelle muß freilich ein jeder angehender Priester rechnen, das wĂ€re ja der normale und zu erwartende Weg.

In Zeiten, in welchen es der Kirche gut ging wurden, fĂŒr damalige VerhĂ€ltnisse zurecht, viele eigenstĂ€ndige Pfarreien gegrĂŒndet, indem man ehemals grĂ¶ĂŸere Pfarreigebiete teilte und in mehrere kleine aufspaltete. Es gab in jeder Pfarrei genĂŒgend GlĂ€ubige und zudem auch genĂŒgend Priester, um die Pfarreien mit einem Pfarrer und meist auch noch mit einem Vikar besetzen zu können. Heute ist die Situation jedoch anders: in den geteilten Pfarreien gibt es nicht mehr genĂŒgend GlĂ€ubige, und obendrein auch nicht mehr genĂŒgend Priester um jede Pfarrei zu besetzen. Also macht es Sinn, die Pfarreien wieder zu grĂ¶ĂŸeren Einheiten zusammenzufassen und vielleicht die alten Pfarreigrenzen wieder herzustellen und die ĂŒbrigen Pfarrkirchen als Filialkirchen zu errichten. Damit ist es allerdings noch nicht getan: denn die inneren Pfarreistrukturen bleiben ja zunĂ€chst bestehen bzw. werden verteidigt: die gewohnten Meßzeiten will man doch nicht missen, auch wenn die Meßbesucher immer weniger werden, die AusschĂŒsse, Gremien und RĂ€te sind mehrfach vorhanden, mitunter sind verschiedene Erstkommunion/Firmgruppen etc.

Diese mĂŒĂŸten freilich auch auf jeweils ein Gremium pro Pfarre reduziert werden, bzw. mĂŒĂŸte man vielleicht auch einmal fragen, ob wirklich alle Gremien ĂŒberhaupt nötig und dienlich sind. Man darf die Priester nicht in einen KĂ€fig aus RĂ€ten und Gremien einsperren, wĂ€hrend andere die Arbeiten ĂŒbernehmen, welche zwar vielleicht wirklich nicht unbedingt die Weihe voraussetzen, aber dennoch passender dem Priester zustehen, wie etwa die Sakramentenvorbereitung, die Krankenkommunion oder auch der Schulunterricht.Ebenso darf man die Priester nicht an ihrem weihegemĂ€ĂŸen uns sakramententheologisch begrĂŒndeten Leitungsauftrag hindern, indem man sie einerseits aus Aufgaben hinausdrĂ€ngt welche ihnen zustĂŒnden, andererseits sie aber in Strukturen einbindet welche ihnen nicht hilfreich zur Seite stehen, sondern ihnen in der Pfarrleitung zur Last fallen. Es kann der Berufungspastoral nicht guttun, wenn der Priester nur noch als einer unter verschiedenen „Seelsorgenden“ gilt und auch dementsprechend wahrgenommen wird. Modelle einer sogenannten kooperativen Pastoral bzw. eines Leitung durch Pfarrteams erschrecken junge potentielle Priesterkandidaten bereits vor dem Eintritt und laugen viele Priester aus.

Wohin die Reise in Zukunft geht ist ungewiß: frĂŒher wußte man welche Rolle man einzunehmen hat wenn man Priester wird – doch heute? Wer kann heute schon noch abschĂ€tzen, wie er in zehn oder zwanzig Jahren sein Priesteramt im Konkreten auszuĂŒben hat? Was man ihm wegnimmt und was man ihm zuschiebt? Wer gibt die Garantie, ein Priester nach dem Herzen Jesu, den WĂŒnschen der Kirche und gemĂ€ĂŸ der heiligen katholischen Tradition sein zu können? Viele Ă€ltere Priester wĂ€ren wohl nicht ihrer Berufung gefolgt hĂ€tten sie vorausahnen können wohin die Reise sie einmal fĂŒhrt, was sie einmal zu dulden und zu akzeptieren haben werden. Die Aussichten sind trĂŒb geworden, weil die Maßnahmen welche man angesichts eines ohnedies nur relativen Priestermangels ergreift geradezu deren Grundursache zu sein scheinen. Und mitunter scheint es gar so, als wĂ€re eine priesterlose Kirche manchen nur ganz recht. Denn wo ist der Priester noch als solcher, d.h. als geistlicher Gottesdiener und ernsthafter Kirchenmann und nicht nur als „menschlicher, netter Kerl“ gewĂŒnscht? In manchen traditionsorientierten Gemeinschaften vielleicht noch – aber sonst?

Die Arbeitsbereiche des Priesters mĂŒĂŸten ĂŒberarbeitet, aber auch angereichert werden

Vielfach wird die Berufung zum Priester auf die Pfarrseelsorge reduziert. Die Seelsorge ist ein wichtiges Kerngebiet des Priesters, keiner wird aus Privatfrömmigkeit zum Priester geweiht. Jeder Priester soll und muß seine Seelsorgeaufgabe haben. Aber dĂŒrfen wir darĂŒber hinaus nicht vergessen, daß der Priesterdienst immer auch ein Dienst fĂŒr die gesamte Kirche ist. Wir haben die Aufgaben der Priester doch etwas zu sehr verengt. FrĂŒher konnte man problemlos zwei Aufgaben miteinander vereinbaren – heute wird dies verunmöglicht, auf Kosten von Berufungen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Domkapellmeister PrĂ€lat Ratzinger wĂŒrde heute wohl auf taube Ohren stoßen wenn er mit dem Wunsch an einen Bischof trĂ€te, Kirchenmusikalisch tĂ€tig sein zu dĂŒrfen. Um Kapellmeister zu sein braucht es keine Weihe, wĂ€re die zu vermutende Antwort. Doch hat er nicht auch als Kapellmeister, ja gerade als Priester-Kapellmeister großes fĂŒr die Kirche getan, auch außerhalb der Pfarrei? Dasselbe ließe sich auch ĂŒber Eminenz Bartolucci sagen. Ist es nicht auch ein hoher Wert, wenn junge Menschen die Gelegenheit erhalten in Ihrer Ausbildung regelmĂ€ĂŸigen Kontakt mit Priestern, quasi dem Innersten der Kirche zu haben?

Ich selbst hatte in den ersten vier Jahren meiner Gymnasialzeit Priester als Religionslehrer und drei Jahre sogar in Biologie/Chemie. Es war immer etwas Großes fĂŒr mich von einem Priester unterrichtet zu werden und bin heute noch aus tiefsten Herzen dankbar, daß so Geistliches und Weltliches fĂŒr mich verwoben wurden. Alle meine Priesterprofessoren waren auch in der Seelsorge tĂ€tig, manche zusĂ€tzlich noch in der Wissenschaft. Faszinierend. Georges Lemaitre war belgischer Priester, PrĂ€lat, PrĂ€sident der pĂ€pstlichen Akademie der Wissenschaften – und als Astrophysiker BegrĂŒnder der Urknalltheorie. Auch PrĂ€lat GĂ€nswein leistet, ebenso wie Kardinal Dziwisz vor ihm, großartige Dienste an der Kirche. Freilich könnte man argumentieren ein Bischof/Kardinal/Papst mĂŒsse nicht unbedingt einen Priester als SekretĂ€r haben, dieser gehe dann schließlich in der Pfarre ab – doch ginge nicht etwas Wertvolles damit verloren?

Ebenso wie es eine fehlerhafte Tendenz ist, theologische und philosophische LehrstĂŒhle nicht mehr mit Priestern zu besetzen, keine priesterlichen Kirchenmusiker und Kunsthistoriker mehr auszubilden und sogar in den Diözesankurien immer mehr Priester durch Laien zu ersetzen, und damit die Arbeitsvielfalt des Priesters kĂ€rglich zu reduzieren. Was mit einer solchen Tendenz Priester sukzessive zu ersetzen unausgesprochen mit ausgesagt wird, ist der Berufungsförderung ebenfalls nicht förderlich. Am Heiligen Stuhl gibt es die Regelung, daß die dort arbeitenden Priester eine sechs-Tages-Woche haben und eine Arbeitszeit von sechs Stunden tĂ€glich. Dadurch haben sie auch noch Zeit fĂŒr die Seelsorge, besonders auch am Wochenende. Sie betreiben also eine (meist sehr fruchtbare) Seelsorge UND haben noch wissenschaftliche oder andere BeschĂ€ftigungen, dafĂŒr sind sie nicht mit Pfarrgremien und Ähnlichem belastet.

Das wĂ€re gewiß auch ein Standardmodell fĂŒr die BistĂŒmer, welches dafĂŒr sorgen wĂŒrde die Strukturen einerseits zu entblĂ€hen, andererseits die Priester auf sinnvolle Art und Weise auslasten wĂŒrde. Viele Priester wĂŒrden sich gerne weltlichen oder theologischen Wissenschaften widmen, in der Schule ein volles Pensum unterrichten, der Kirche durch kĂŒnstlerische oder musikalische Talente dienen oder Ähnliches, dafĂŒr in anderen Bereichen weniger gefordert sein, und trotzdem in der Seelsorge wirken, so wie es frĂŒher oft der Fall war. Ein doppelter Aufgabenbereich wĂŒrde vielen Geistlichen gut tun, fĂŒr eine gesunde Ausgewogenheit sorgen, mitunter vielleicht auch den Frust vieler Priester senken, intellektuell fordern und so fĂŒr junge MĂ€nner wieder anziehender wirken. Gerade wenn man bedenkt daß auch viele MĂŒtter einer Zwei- oder Mehrfachbelastung ausgesetzt sind, und der Priester ohnedies keine abgezĂ€hlten 40 Stunden pro Woche arbeiten soll, dann könnte dies ein sinnvoller und zudem anziehend wirkender Idealfall priesterlichen Arbeitens sein.

Gewiß sind die immer wieder aufgefĂŒhrten gesellschaftlichen UmstĂ€nde auch mit ein Grund weshalb es weniger GlĂ€ubige und somit auch weniger Priester gibt. Aber nochmals verschĂ€rft wird der (relative) Priestermangel durch hervorgerufene UmstĂ€nde, welche die Ursache fĂŒr diesen Mangel nicht bekĂ€mpfen, sondern selbst zur Mitursache werden. WĂŒrde die Kirche gewĂ€hrleisten können, ungehindert und voll als Priester und Seelsorger wirken zu können, mit genĂŒgend Zeit zum Gebet, aber auch der Möglichkeit sich fĂŒr die Kirche noch anderwĂ€rtig zu betĂ€tigen, etwa in Theologie, Bildung und Unterricht, Kirchenmusik, Forschung etc., dann wĂŒrden sich die Zimmer der Priesterseminare wieder mit ernsthaften Kandidaten fĂŒllen, die gerne bereit sind sich fordern zu lassen und ihr ganzes Sein und Wirken in den Dienst der Kirche Gottes zu stellen.

Foto: Priesterkragen – Bildquelle: B. Greschner, kathnews

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