Den Schatz der persönlichen Glaubensgeschichte heben
„Und sind sie ein gläubiger Mensch?“ Spontan und unerwartet trifft die Frage auf Dietmar Roser. „Ich lass’ mich überraschen, wenn ich die Augen zu mache. Ich hoffe, dass ich meine Verwandten wieder sehe“, antwortet der 70-Jährige ehrlich. Er sei Jurist, erzählt er Johannes Schäfers, und deshalb eher interessiert an Fakten, die man beweisen könne. Glauben wiederum sei Glaubenssache und da wisse man ja nie. „Es heißt ja Glauben und nicht Wissen“, betont Roser ausdrücklich. Und trotzdem scheint der Mann auf ein Dasein nach dem Tod zu hoffen.
Auf dem belebten Marktplatz der pfälzischen Stadt Landau steht das GlaubensMobil. Obwohl oder gerade weil Dietmar Roser vor Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, zog ihn die provokante Aufschrift auf der Seitentür des raps-gelben VW-Busses in seinen Bann: „Zeig draußen, was du drinnen glaubst!“ Er sucht das Gespräch mit Johannes Schäfers, dem Fahrer des GlaubensMobils, so wie zahlreiche weitere Passanten, die an diesem Mittwochvormittag interessiert stehen bleiben. Mehr als 50 Begegnungen und Einzelgespräche in anderthalb Stunden zählt Schäfers hinterher. „Viele lehnen den christlichen Glauben wohl begründet ab, andere sind unsicher und auf der Suche, wieder andere stehen fest im Glauben und geben dies auch kund“, analysiert der 28-jährige mit den blonden Locken und der markanten Brille.
10.000 Kilometer in vier Monaten
Der Religionspädagoge Schäfers tourt seit März mit dem GlaubensMobil des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken durch die Bundesrepublik. Mehr als 10.000 Kilometer hat der rollende Glaubensbote bereits zurückgelegt. Schäfers besuchte Kirchengemeinden und Großveranstaltungen in bislang zehn Bistümern von Dresden bis Speyer und von Paderborn bis Regenburg. Bis zum Katholikentag in Mannheim im Mai nächsten Jahres bringt das GlaubensMobil den christlichen Glauben auf die Straße. „Das GlaubensMobil möchte Menschen dazu anregen, sich geistig damit auseinandersetzen, warum man in der heutigen Zeit überhaupt von Gott sprechen sollte und wie man dies tun kann“, sagt Schäfers. „Ich will mit ihnen kreativ Ideen finden, wie sie von Gott in ihrem Umfeld berichten können.“
Der Eindruck, den Schäfers in den ersten Monaten gewinnen konnte, ist deutlich: „Die Menschen sind besorgt über die Situation des Glaubens in der Gesellschaft“, sagt er. „Die Themen Glaubensweitergabe und Sprachfähigkeit im Glauben stehen in den meisten Kirchengemeinden weit oben auf der Tagesordnung.“ Egal ob besonders konservativ ausgerichtet oder äußerst experimentell aufgestellt – Priester aus dem ganzen kirchlichen Spektrum kommen mit Anfragen, betont Schäfers: „Alle suchen nach Antworten auf Fragen wie: warum erreichen wir nur noch so schwer unserer Gesellschaft mit unserer Hoffnungsbotschaft? Wieso fällt es uns so schwer, über unseren Glauben zu sprechen? Wo finden wir einen wirksamen Weg des Aufbruchs?“
Die Menschen sind besorgt
„Die Glaubenssituation in Deutschland ist mittlerweile völlig unterschiedlich“, betont Monsignore Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken. „In weiten Regionen Ostdeutschlands gehören über 80 Prozent der Bevölkerung keiner christlichen Konfession mehr an. Sie sind nicht getauft.“ Dort zeige sich eine Glaubensdiaspora, die auch in westdeutschen Großstädten immer stärker zu Tage tritt. In Hannover, Frankfurt, Hamburg oder München liegt die Zahl der Christen mittlerweile bei unter 50 Prozent. „Ebenso erleben wir, ob das in Bayern ist oder im katholischen Rheinland, dass vielen Menschen ihre Kirche fremd geworden ist“, geht Austen einen Schritt weiter. Daraus entstehe eine ganz neue Anfrage für jeden einzelnen Christen. „Wir möchten mit unserer Initiative GlaubensMobil den Gläubigen ihre Berufung sowie den missionarischen Auftrag als getaufte und gefirmte Christen verdeutlichen“, erklärt der Generalsekretär des Bonifatiuswerkes. Das Diaspora-Hilfswerk, das zu vorderst katholische Christen in einer extremen Minderheitensituation unterstützt, versteht sich als Missionswerk für Deutschland. Die Veränderung der Glaubenssituation in Deutschland hat diesen mehr als 160 Jahre alten Gründungsauftrag des Bonifatiuswerkes besonders in den Fokus der Arbeit des Hilfswerkes rücken lassen.
Für knapp drei Tage besucht das GlaubensMobil Landau, eingeladen von der Innenstadtpfarrei Heilig Kreuz. Eine Aktion in der Fußgängerzone, zwei Abendvorträge, ein Besuch im Firmunterricht und einer in der Schule sind geplant. Pfarrer Karsten Geek hofft, „dass die Leute, die mit dem GlaubensMobil in Berührung kommen, etwas mehr über den Tellerrand der eigenen Pfarrei hinaus schauen und vielleicht ein bisschen offensiver als Gläubige durch die Welt gehen“. Er ist sich der neuen missionarischen Herausforderung bewusst, mit der jeder Gläubige konfrontiert wird und vor der die ganze Kirche in Deutschland steht. „Wer nicht mehr über seinen eigenen Glauben, über diese zentrale Herzensangelegenheit spricht, gibt seinen Glauben und somit sich selbst auf.“
„Mir geht es oft so, dass ich bestaunt werde wie eine lila Kuh im Fernsehen, weil ich sage, ich glaube, ich gehe in die Kirche, ich bin in der Kirche engagiert.“ Über den eigenen Glauben im Alltag zu sprechen, ist nicht einfach, berichtet Ariane Feierabend in die Runde. Zustimmung erhält sie von fast allen der 20 Gemeindemitglieder, die an diesem Abend ins Pfarrheim gekommen sind. „Ohne Mystik keine Mission“ ist der Abend überschrieben. Zwei Fragen stellt Schäfers den Teilnehmern: „Warum glauben Sie heute so, wie Sie es tun?“ und „Wo färben Sie mit ihrem Glauben ab beziehungsweise wo sprechen Sie über ihren Glauben ganz offen?“
Bestaunt wie eine lila Kuh
Mit der ersten Frage fordert Schäfers jeden einzelnen auf, den Schatz seiner ganz persönlichen Glaubensgeschichte zu heben und in der Kleingruppe zur Sprache zu bringen. Ariane Feierabend, Barbara Kehrwald, Christina Bronner und Sven Flaxmeyer sind sich schnell einig: ganz klassisch haben alle ihren Glauben bei den Eltern kennengelernt. „Nur in den Gottesdienst gehen reicht nicht, die Familie schafft das Urfundament des Glaubens“, unterstreicht Bronner. Sofort kommen die vier auf die Glaubensweitergabe in den Familien zu sprechen. „Die Kinder kommen zum Erstkommunionunterricht und wissen nichts über den Glauben“, berichtet die langjährige Katechetin Feierabend. „Da die Glaubensweitergabe in den Elternhäusern immer mehr zurückgeht, ist es wichtig, dass wir, die vom Glauben überzeugt sind, zu Multiplikatoren für den Glauben in unserer Zeit werden“, meint Flaxmeyer.
Auch beim Austausch über die zweite Frage mischt sich schnell Kritik über die heutigen Umstände mit Ideen, wie man neue Wege gehen kann. So kritisiert Bronner, dass die Rede über den Glauben viel zu institutionalisiert sei, vor allem im Gottesdienst. „Es gibt keinen Platz für Zeugnisse, dass jemand aufsteht und einfach sagt, was er Gutes mit seinem Glauben in den Tagen zuvor erlebt hat“, mahnt sie an. Kehrwald findet die Form des Gottesdienstes soweit in Ordnung. „Aber danach wäre es doch ganz gut, sich ein bisschen auszutauschen“, schlägt sie vor. Flaxmeyer weist auf die zahlreichen offenen Angebote für ein Glaubensgespräch in der Pfarrei hin: ein wöchentlicher Bibelabend, ein monatliches Brunnengespräch, über das ganze Jahr hinweg Exerzitien im Alltag.
Ein kreativer Weg liegt vor der Gemeinde in Landau ebenso wie in vielen anderen Pfarreien in Deutschland. Dass dieser jedoch sehr steinig wird, und vielleicht über neue Routen ausprobiert werden muss, spürt Johannes Schäfers gleich am folgenden Tag. Denn auch in Landau regiert der Alltag der heraufdämmernden Glaubensdiaspora. Zum Treffen mit dem Firmkurs erscheinen statt 30 Jugendlicher gerade einmal vier.