Das Wallfahren als Ausdruck innerer Ausrichtung
Wenn wir uns physisch auf Pilgerreise begeben und einem Ort beginnend zu einem anderen fahren, etwa einer marianischen KultstĂ€tte oder dem Heiligtum eines Heiligen oder einer besonderen Kirche, so ist dies ein Ă€uĂerer, einprĂ€gsamer Vollzug dessen, was wir unser Leben lang erstreben und immer neu erstreben mĂŒssen. Die Ă€uĂere Wallfahrt, so können wir sagen, bildet unsere innere, geistige Pilgerschaft, auf welcher wir uns befinden solange wir auf Erden wandeln, ab und verleiblicht diese. Wenn wir zu Christus wollen, aber zur Muttergottes nach Einsiedeln, Altötting, Mariazell oder Pompei gehen: ist das nicht ein Schritt zurĂŒck?, so könnten wir mit einer gewissen Berechtigung fragen. Ist es nicht so daĂ wir uns vom Ziel entfernen?
Nun, dazu sind zwei Sachen zu sagen: Zum einen kann uns eine rechte marianische Frömmigkeit niemals von Christus wegfĂŒhren. Ganz im Gegenteil: sind wir recht bei der Madonna, dann sind wir auch bei Christus, denn die Muttergottes selbst ist ja diejenige, welche Christus am allernĂ€chsten steht. Selbst als Christus am Kreuze hing, mit dem Tode rang und von beinahe allen verlassen war: die Muttergottes war immer noch bei Jesus geblieben. Niemals hat sie ihn verraten oder verlassen, niemals gab es auch nur einen Anflug eines âNeinsâ in ihrem hochheiligen Leben. Ihr âFiatâ, ihr âes gescheheâ war ein abstrichloses, unbedingtes und absolutes. Sie ist wo Christus ist, deshalb sind wir immer bei Christus wenn wir bei Maria sind.
Es gibt also keine Konkurrenz zwischen Mutter und Sohn, sondern ausschlieĂlich ein Miteinander. Zum anderen ist es nur recht und billig, daĂ wir der Mutter danken, wenn sie uns zum Sohn, unserem Ziel gefĂŒhrt hat. Maria, die Muttergottes, fĂŒhrt uns also immer zu ihrem Sohn. Doch das ist gleichbedeutend mit zwei weiteren AusdrĂŒcken: Maria fĂŒhrt uns zur Heiligkeit, denn Heiligkeit bedeutet im Grunde genommen nichts anderes, als bei Gott, der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zu sein, ewige Gemeinschaft mit dem zu haben, dem allein wir all unser Sein verdanken.
Oder nochmals anders ausgedrĂŒckt: Maria fĂŒhrt uns immer in die Kirche. Denn die Kirche ist nichts anderes als die Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft derer, die bei Gott sind. Man kann von daher also nicht bei Gott sein ohne Glied der Kirche zu sein, weil es keine auĂerhalb von Gott gelegene Heiligkeit gibt. Die Muttergottes fĂŒhrt uns also in die Kirche, zur Heiligkeit, und damit zu ihrem Sohn. Und was könnte uns die Gottesmutter auch weniger geben wollen als âallesâ? Und âAllesâ ist nichts weniger als ihr Sohn.
Gehen wir also zu Maria, so sind wir immer auch auf dem sicheren Weg zu Christus. Einmal an ihre Hand genommen, so gibt es keinen anderen Weg als den der zu Christus fĂŒhrt. Sie ist die Direttissima. Freilich mag es auch noch andere Wege geben, aber es sind eben doch Umwege, auf deren Endetappe wir dann aber letztlich erst recht wieder nicht an der Mutter des Herrn vorbeikommen. An Maria fĂŒhrt also, bei allen Umwegen die wir auch gehen mögen in unserer Frömmigkeit, letztlich kein Weg vorbei, denn am Ende werden wir immer die Mutter beim Sohn antreffen, so unterschiedlich sie auch in Wesen und Aufgabe sind. Aber Maria ist nun einmal jener Weg, welchen Gott gewĂ€hlt hat als er auf die Erde herniederstieg um uns das Joch der SĂŒndenschuld von uns zu hieven.
Deshalb bedeutet also, wenn wir zur Muttergottes gehen um ihr dafĂŒr zu danken daĂ sie uns ihrem Sohne zugefĂŒhrt hat, im letzten gerade, bei Christus zu bleiben. Richten wir an dieser Stelle nun unser Augenmerk auf das Wallfahren selbst: der Muttergottes zu danken ist ja recht und gut, aber: mĂŒssen wir dazu unbedingt einen Weg auf uns nehmen? MĂŒssen nicht. Aber erstens nĂŒtzt es uns, und zweitens ist es mehr als recht und billig, wen WIR es einmal sind, die wir uns, wenngleich beinahe nur symbolisch, auf den Weg machen um zu Christus und zu seiner allerseligsten Mutter zu gehen. In der hohen Diplomatie gibt es, zu recht, strenge protokollarische Regeln, wer wen zu besuchen hat bzw. wer besucht wird: in der Regel besucht der Gast den Gastgeber. Ausnahmen kann es wohl geben, aber sie sind dann gut begrĂŒndet wenn sie ordnungsgemÀà sein wollen. Ein Treffen auf neutralem Boden gilt meist als Hinweis auf Spannungen. Der (Gast)Nehmende geht also zum (Gast)Gebenden.
Nun ist ein Besuch in einer Kirche zwecks frommen Betens gewiĂ kein offizieller protokollarischer Akt. Ganz im Gegenteil: Gott, der Gebende, ist derjenige, welcher stets zuerst die Initiative ergriff: in der Schöpfung, beim BundesschluĂ, in der Offenbarung, in der Menschwerdung. Immer ist Gott, der Geber und Erhalter aller Dinge und allen Seins, derjenige, der zuerst tĂ€tig wird und der zuerst von sich aus kam. Doch es ist nur mehr als recht, wenn auch der Mensch als EmpfĂ€nger aller Gnadengaben sich einmal, wenngleich auch nur symbolisch, aufmacht um zum Vater, zu Christus, zur Madonna oder zu einem Heiligen zu gehen, wenn er eine Gnade erbitten möchte, wenn er fĂŒr eine erhaltene Gnade danken möchte, oder einfach auch so, um sich selbst zu Christus hin aufzumachen und nicht erst zu warten, bis dieser von selber kommt.
Wenn wir wallfahren, so gehen wir gleichsam Christus entgegen, wir bekunden unser Interesse und sind bereit, etwas fĂŒr unsere Christusgemeinschaft zu tun. Freilich kann wird dies immer nur etwas Symbolisches bleiben, da wir Christus niemals allein von uns aus erreichen könnten, wenn nicht er derjenige wĂ€re, der uns suchen geht, der uns entgegenkommt indem er die Kirche mit ihren heilsbringenden Sakramenten eingesetzt hat. KĂ€me Christus nicht in der heiligsten Eucharistie zu uns herab: wir könnten niemals so weit hinaufsteigen als daĂ wir Christus erreichen wĂŒrden! Dasselbe gilt fĂŒr die Wallfahrt zur Gottesmutter und fĂŒr jede Wallfahrt zu einem Heiligen. Ganz abgesehen davon, daĂ die Heiligen nicht lokalisierbar wĂ€ren, als ob sie in einem Heiligtum anwesend wĂ€ren und im NachbargebĂ€ude schon wieder nicht. Auch ist die Muttergottes von Guadalupe keine andere als jene von Akita oder von Fatima. Maria âistâ nicht dort, aber ein jedes dieser âdortâ ist ein Ort ihrer besonderen kultischen Verehrung die einen konkreten Grund hat, ein Ort, welcher in besonderer Beziehung zu ihr steht, ein Ort den man als StĂ€tte eines besonderen Gnadenwirkens des Himmels in der zeitlichen Geschichte des Menschen festmachen kann.
Aus diesem Grund ist eine jede Wallfahrt etwas zutiefst zeichenhaftes. Sie kann fĂŒr sich genommen und aus sich allein uns selbst heraus nichts bewirken was nicht der zuvorkommenden Gnade des Herrn bedĂŒrfte. Die lĂ€ngste, schwerste und mĂŒhsamste Wallfahrt könnte uns nichts verdienen, weil sie angesichts der GröĂe Gottes immer zu wenig bleiben wĂŒrde. Doch es geht auch nicht darum, daĂ eine Wallfahrt mehr Wert hĂ€tte je hĂ€rter und anstrengender sie ist, sie ist ja kein Sportereignis, sondern als religiöses Ereignis geht es beim Wallfahren letztlich um die innere Wegausrichtung auf unser ewiges Ziel, welches mitunter auch einen Ă€uĂeren Impuls, sozusagen einen tĂ€tigwerdenden Glauben braucht, der die innere Ausrichtung wieder eicht und justiert.
Glaube ist eben niemals eine rein geistige Angelegenheit, ebenso wie er auch nie eine rein Ă€uĂere Sache bleiben kann: der Inhalt ruft nach der entsprechenden Form, nach dem geformten Ausdruck der das eigene Glauben sichtbar macht und so fĂŒr mich und andere greifbar werden lĂ€Ăt. Von daher ist Wallfahren also immer ein Ausdruck des eigenen Glaubens und der Ausgerichtetheit unserer Seele. Der Wert des Wallfahrt liegt nicht in der Anzahl der Blasen auf den FĂŒĂen und nicht in den SchweiĂperlen, sondern in der aktiven Ausrichtung auf die Heiligkeit, welche unvollkommen bleibt, wenn ihr der Ă€uĂere Ausdruck auf Dauer unerzwungen fehlt, so wie auch jede zwischenmenschliche Beziehung leidet wenn sie nicht mitunter auch durch tĂ€tigen Ausdruck wahrnehmbar wird. Wollen wir also zu Christus kommen, so ist der schnellste Weg, wenn wir zu seiner Mutter pilgern.