Das Gebet zwischen Betendem und Angebetetem
Immer häufiger kommt es vor, daß genuin katholische Gebete und Frömmigkeitsformen, bis hin zum Allerheiligsten der Kirche, dem heiligen Meßopfer, zugunsten von ökumenischen oder interreligiösen Andachts- und Gebetsveranstaltungen abtreten müssen. Das heilsbringende Meßopfer zu Schulbeginn wird im Namen der Toleranz durch einen interreligiösen Gebetsakt ersetzt, welcher so weit gefaßt ist, daß sich alle darin wiederfinden können, selbiges wird bei Katastrophen getan: das Erlösungsopfer wird mindestens als offizieller Bestandteil der Trauerfeierlichkeiten weggelassen und durch ein nicht heilswirksames Gebet ersetzt. Diese Tendenz gibt Anlaß genug, einmal über das Gebet als solches nachzudenken und einige Grundsäulen rechten Betens auszuloten.
Gebet ist immer ausgespannt zwischen dem einen Du Gottes und dem einen Ich des Menschen
Als eine erste, allem anderen zugrundeliegende Aussage sollten der Ausgangs- und der Zielort des Gebetes bestimmt werden. Das impliziert freilich auch die Frage danach, was das Gebet seinem Wesen nach letztlich ist. Von der Antwort auf diese Frage hängen auch die weiteren Schlußfolgerungen ab. Zunächst einmal ist festzustellen, daß das Gebet zunächst immer vom einzelnen menschlichen Individuum ausgeht. Es kann nur insofern das Wir Träger des Gebetes sein, als es ein Zugleichtun von verschiedenen einzelnen Individuen ist. Von daher kann, strenggenommen, niemals eine Gruppe oder eine Gemeinschaft beten, sondern nur verschiedene Personen gemeinsam. Das Gebet als solches ist und bleibt aber ein Geschehen, welches das aktive Zustandekommenlassen durch das einzelne Individuum erfordert.
Das Gebet, welches vom Ich des Menschen ausgeht, richtet sich immer an ein Du, nämlich an das Du Gottes. Erst durch das Gebet, welches ein In-kontakttreten mit dem einen Gott ist, wird mir dieser vom Er zum Du. Nur durch das Gebet kann es geschehen, daß ich nicht mehr bloß über Gott spreche, sondern mit ihm. Im Gebet und nur dort wird mir das ER Gottes zum DU Gottes. Indem der Glaube des Menschen zwar nicht ausschließlich, aber gerade auch im Gebet zum Glaubensgeschehen wird, wird dem Gebet eine Verantwortungsrolle zuteil. Diese Verantwortung besteht gegenüber dem eigenen Seelenheil, sowie, insofern das Gebet einen wie auch immer gearteten Öffentlichkeitscharakter hat, etwa weil es in der Öffentlichkeit vollzogen wird oder weil man über sein Beten spricht, auch gegenüber dem Seelenheil all jener, welche von meinem Beten erfahren.
Aus diesem Grund sagt der Heilige Vater auch: „Liebe Brüder und Schwestern, das Gebet ist nichts Nebensächliches, nichts Beliebiges, sondern es ist eine Frage von Leben oder Tod, denn nur wer betet, wer sich also mit kindlicher Liebe Gott anvertraut, kann ins ewige Leben eingehen, das Gott selbst ist.“ Das Gebet ist also wesentlich an dem Entscheid unseres ewigen Seins mit beteiligt, (unter anderem) an unserem Beten entscheidet sich das Urteil, welches über uns gesprochen wird. Deshalb ist es auch so wichtig daß wir beten, und zwar nicht nur daß wir beten, sondern auch daß wir richtig beten. Das Was und das Wie unseres Gebetes geben ihm erst Wert und Wirkung. Das bloße Daß des Betens alleine ist noch kein Selbstwert.
Gebet ist immer auch Anbetung
Aus dem bereits gesagten ergibt sich, daß Gebet, wenn es recht ist, nicht anders sein kann als Anbetung. Denn wenn wir sagten, daß das Gebet immer nach Gott hin ausgestreckt ist, welcher uns im rechten Beten zum Du wird, dann impliziert dies, daß nur dort das Gebet recht sein kann, wo es an den rechten Adressat gerichtet ist, und zwar so, wie er wirklich ist und wie er sich uns wirklich geoffenbart hat. Der Akt des Gebetes setzt den Akt des Glaubens voraus, ja es ist die Antwort meines Glaubens auf den, der sich als der Schöpfer geoffenbart hat. Weil das Gebet aber eine Antwort auf die Offenbarung ist, ergeben sich zwei Dinge: einerseits ist das Gebet immer auch inhaltsgeladen. Damit ist nicht bloß die persönliche Bitte oder sonst ein konkreter Inhalt des Gebetes gemeint, sondern letztlich der Glaubensinhalt so wie er in der Offenbarung Gottes dem Menschen zu glauben vorgelegt ist. Dies muß zumindest in den wesentlichen Grundzügen sowohl als Gewißheit, als auch als praktische Verwirklichung bestehen.
Als zweites aber ergibt sich, daß das Gebet immer auch ein Akt der Anbetung sein muß, weil sich aus dem Wesen und dem Willen Gottes ergibt, daß man sich ihm nur anbetend zuwenden kann. Gott muß dabei, damit es zu diesem Akt der Anbetung überhaupt erst kommen kann, als der akzeptiert werden, der er ist, und diese Akzeptanz muß auch ihren praktischen Niederschlag finden, etwa indem man nichts und niemanden anbetet oder zur Anbetung auffordert, der nicht Gott ist. Gott ist einer, und nur diesen einen Gott darf man anbeten oder zum Gebet zu ihm auffordern. Fordert man zu einem Gebet auf, welches nicht den inneren Anforderungen des Gebetes entspricht, so ist entweder der eigene Glaube defizitär, oder aber es mangelt an der konsequenten Umsetzung und ist schwer sündhaft, weil es letztlich auch andere von der wahren Gotteserkenntnis fernhält und dessen ewiges Seelenheil gefährdet.
Dieser Akt der Anbetung steht Gott alleine zu, und zwar nicht dem was man für Gott hält, sondern allein dem seienden, einzigen Gott. Deshalb beten wir auch zwar zu den Heiligen und wir verehren deren Reliquien, aber über den Weg der Heiligen wenden wir uns letztlich immer anbetend dem Schöpfer zu. Von wesentlicher Bedeutung ist also auch der „Adressat“ des Gebetes. Ist dieser nicht der einzig wahre Gott, so geht das Gebet ins Leere. Es bleibt ein Kreisen des Menschen um sich selbst, da der, an den es vielleicht gerichtet sein mag, letztlich nicht existiert.
Interreligiöse und multireligiöse Gebete
Bedenken wir nun, was das für Konsequenzen für multireligiöse oder interreligiöse Gebete hat, dann tun sich schwerwiegende Probleme auf. Dabei ist es für das allgemeine Verständnis der Menschen irrelevant, ob es sich um ein inter- oder um ein multireligiöses Gebet handelt. Der Eindruck, welcher erweckt wird, ist in beiden Fällen derselbe. Zunächst einmal ist das Faktum der Beleidigung Gottes. Wenn Gott in seiner Offenbarung anordnet, neben ihm keine Götter zu haben und an ihn alleine zu glauben, so ist es eine Verführung glauben zu machen, das Heil könnte auch durch andere Religionen gefunden werden. Die Verantwortlichen in Staat und Schule machen sich schuldig wenn sie durch multireligiöse Veranstaltungen den Eindruck vermitteln, es wären alle Religionen letztlich gleich gut oder nützlich.
Nicht das Gebet an sich ist ein Wert, sondern sein Wert und seine Nützlichkeit ergibt sich daraus, daß es an den rechten, einzig existenten Adressaten gerichtet ist. Fördert man das Gebet lediglich als solches, egal welchen Inhaltes, Glaubens oder Adressates, so ist dies vielleicht noch schädlicher, als Gebet als solches zu verbannen. Denn wird der Eindruck erweckt, es sei egal ob man sich in seinem Beten an den einzig wahren Gott wendet oder woran auch immer, dann wird der unweigerliche Schluß sein müssen, daß hinter dem Gebet letztlich keine Wirklichkeit steht, daß das Logiknetz des Glaubens am Ende nur eine reine Fiktion ist.
Wenn das Gebet nur mehr um des Gebetsaktes willen erfolgt, wenn damit kein Absolutheits- und Wahrheitsanspruch mehr verbunden ist, wenn es letztlich einerlei ist wohin oder an wen ich mich wende, dann muß der menschliche Verstand ja an der Wahrheit des Glaubens zu zweifeln beginnen und die Religion wird zur Fars. Wenn es nicht mehr wichtig ist, was wahr ist und was nicht, welcher Gott denn nun der wahre ist und welche Religion Wahrheit spricht, dann erscheint der Atheismus tatsächlich als wahrscheinlicher als jede Religion.
Aus diesem Grund machen sich jene mitschuldig am Unglauben unserer Zeit, welche eine multireligiöse Gesellschaft in Staat, Schule, und teils sogar in kirchlichen Einrichtungen fördern. Wenn man die Kapelle mit dem Allerheiligsten darin abreißt und einen multireligiösen Andachtsraum anstatt dessen errichtet, dann kann die Lehre von Erlösung, Realpräsenz und ewigem Heil oder Verderb wirklich nicht überzeugen. Was übrigbleibt ist dann aber nichts als eine triste und düstre Leere, deren einzig bleibende Hoffnung die Hoffnung auf ein kommendes Nichts ist. Von Fülle ist da keine Spur mehr da, weil die Lehre so unreal erscheint, wenn man für die wunderbarste Verheißung nicht alles menschenmögliche zu tun bereit ist, sondern einfach und leichtfertig alles preisgibt.
So absurd es auch sein mag, aber gerade eine vermeintlich moderne Religiosität, welche nichts so sehr fürchtet als den Atheismus, fördert gerade selbigen. Dabei wird übersehen, daß nicht der Atheismus der größte Feind der Gesellschaft und des Menschen ist, sondern der Relativismus, der nicht mehr unterscheidet. Es mag sein, daß teils die besten Absichten dahinterstehen, wenn ein inter- oder multireligiöses Gebet gefördert wird, bis hin zum ehrlichen Bemühen, dadurch möglichst viele Menschen zur einen Wahrheit zu führen. Doch dieses Bemühen, so aufrecht es im Einzelfall auch sein mag, kann dadurch nicht erreicht werden.
Unweigerlich wird der Eindruck des Relativismus entstehen müssen, der Eindruck, daß es mit der Wahrheit und dem davon abhängenden ewigen Seelenheil doch nicht so ernst ist. Dieser Eindruck wird mindestens unbewußt vermittelt, und zwar nicht nur den Involvierten, sondern er wird bei allen entstehen, welche von einem solchen Ereignis Kunde erhalten. Gebet wird somit zu einer zumindest vielfach wahrgenommenen Verleugnung und Nivellierung der Wahrheit des Glaubens selbst.
Dies wird durch das Faktum, daß nicht jeder exakt differenziert, noch weiter verschärft. Man darf nicht von einem Idealzustand ausgehen und behaupten, das Vermittelte wäre gar nicht intendiert, sondern man muß realistisch kalkulieren, wie „die vielen“ tatsächlich denken, und darf auch nicht außer acht lassen, was die Medien mit ihrer vielfach sehr manipulativen Art aus dem, was man eigentlich erreichen will, letztlich machen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht begreiflich, wie manche Religionslehrer sowie zahlreiche Geistliche einer inter- oder multireligiösen Feier zustimmen können, gerade wenn sie an die Stelle des Heiligsten Meßopfers tritt. In analoger Weise gilt dasselbe auch für zahlreiche ökumenische Gottesdienste.
Wenn Klarheit und Überzeugung fehlen, wird das Gebet und auch der gesamte Glaube als solcher zu einer reinen Fiktion, Religion kann, wenn dies öfters vorkommt, nicht mehr überzeugen und das so geartete Gebet, welches nur allzuleicht als Trug zu entlarven ist, wird zur Gefahr für die Seele, nicht nur der Beteiligten, sondern weit darüber hinaus. Wenn aber das Gebet kein solches mehr ist, sondern nur eine Demonstration und ein Beschäftigen mit dem Menschen selbst, dann kann auch der Glaubensinhalt nicht als wahr erscheinen und wird nicht überzeugen.
Vielleicht sollten wir mitunter auch selbstkritisch darüber nachdenken, ob wir nicht durch unser eigenes Verhalten, Reden und auch Beten mitunter dazu beigetragen haben, daß die Kirchen am Sonntag leer bleiben, die Moral verkommt und der katholische Glaube vielen nicht mehr als glaubenswert erscheint.