Unterwegs zu den Lübecker Märtyrern

Teil 5: Der Prozess und die Verurteilung der Lübecker Märtyrer.
Erstellt von Anja Mörchen am 15. Oktober 2011 um 20:34 Uhr

Ein gutes Jahr nach der Verhaftung von Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl-Friedrich Stellbrink fand vom 22. bis zum 24. Juni 1943 im Schwurgerichtssaal des Lübecker Marstall-Gefängnisses der Prozess gegen die vier Geistlichen und weitere 18 Laien statt. Dazu war der 2. Senat des Volksgerichtshofes mit Dr. Wilhelm Crohne als Vorsitzendem angereist. Crohne galt bereits zur Zeit der Weimarer Republik als ein übel beleumdeter Richter, geprägt durch einen fanatischen Hass gegenüber Andersdenkenden und auch gegenüber Christen. Carl von Ossietzky hatte bereits weit vor 1933 über Crohne als Richter geschrieben, dass er weder Objektivität noch Konzilianz kenne und die Angeklagten „herunterputze“. Und tatsächlich beschimpfte Crohne während der Verhandlungstage die Angeklagten immer wieder mit Äußerungen wie „typisch katholische Lügner“ oder „Sie sind auch so ein Pfaffe“. Zwar waren die katholischen Geistlichen im Unterschied zu ihrem Freund Stellbrink in der günstigen Lage, dass sie mit ihren Anwälten Rudolf Dix und Walther Böttcher zwei Verteidiger gewonnen hatten, die sie wirklich vor dem Todesurteil zu bewahren versuchten, dennoch war dies ein aussichtsloses Unterfangen, da die Todesurteile insgeheim schon vor dem Prozess feststanden, auch wenn Crohne den damaligen Bischof Berning, der sich immer wieder um seine Kapläne bemühte, noch kurz vor dem Prozess beruhigte, dass es zum Schlimmsten nicht kommen werde. Trotz der Bemühungen ihrer Anwälte waren sich zu diesem Zeitpunkt zumindest auch Johannes Prassek und Hermann Lange relativ sicher, dass sie ein Todesurteil erwartet.

Stephan Pfürtner, einer der mit inhaftierten und später freigesprochenen 18 Laien, berichtet in seinen Erinnerungen über den Rücktransport zwei Wochen vor dem Prozess von Hamburg nach Lübeck (wegen Überfüllung der Lübecker Gefängnisse verbrachten die Gefangenen im Frühjahr 1943 zwei Monate im Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel): „Obwohl es uns verboten war, miteinander zu reden, konnten wir uns ungeniert unterhalten. Der Wachmann vorn in der grünen Minne, der für die Distanz unter den Häftlingen sorgen sollte, vermochte durch den Motorenlärm nichts von unseren Gesprächen wahrzunehmen. Ich stellte fest, das Prassek die Lage völlig klar durchschaute. Er wusste, dass der bevorstehende Prozess eine reine Farce des Volksgerichts war. Wir gingen davon aus, dass das Gericht die Urteile längst vorgefertigt hatte, jedenfalls die über die Geistlichen. Prassek machte sich also nicht die geringsten Illusionen über den Ausgang für sich selbst und rechnete mit dem Todesurteil. Aber er hatte die innere Auseinandersetzung damit offenbar bereits vollzogen. Denn diese Minuten der Nähe in der Gefangenengruppe waren keineswegs durch Angst und Schrecken überschattet. Im Gegenteil, wir scherzten miteinander. Prassek hatte einen geradezu unverwüstlichen Humor, der auch in dieser Situation noch zum Vorschein kam“.

Wie nicht anders erwartet, wurden Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl Friedrich Stellbrink am 23. Juni 1943 zum Tode verurteilt. Während des Plädoyers der Verteidiger lasen die Richter Zeitung oder schrieben Postkarten. So sagte Prassek dann auch laut und vernehmlich, als er nach dem Prozess am späten Nachmittag wieder in die Zelle geführt wurde: „Gott sei Dank, dass dieser Quatsch vorbei ist“. Die zum Tode Verurteilten wurden wieder nach Hamburg gebracht und verbrachten dort noch mehr als vier Monate in ihren Todeszellen im Hamburger Holstenglacis-Gefängnis. Es umgab sie dort seltsamerweise eine ganz besondere Aura. So berichtete die frühere Lehrerin von Eduard Müller, Maria Meurer, nach einem Besuch bei ihrem früheren Schüler: „Wenige Wochen vor seinem Tode habe ich meinen ehemaligen Schüler in Hamburg noch einmal aufgesucht. Dieser Besuch hat mich seelisch tief erschüttert und beglückt zugleich. Welch eine Veränderung war mit Eduard vorgegangen! Solch eine seelische Reife, Gottverbundenheit, Ausgeglichenheit, ja, innere Freude kann nur ein Heiliger ausströmen.“

Am 10. November 1943 schließlich, mittags um 13 Uhr wurde den Geistlichen in dürren Worten mitgeteilt, dass sie um 18 Uhr enthauptet würden. Sie schrieben daraufhin Abschiedsbriefe an ihre Familien und auch an Bischof Berning. Die Hinrichtungen fanden zwischen 18:00 Uhr und 18:30 Uhr im Abstand von 3 Minuten statt.  Als erster wurde Eduard Müller zur Hinrichtung geführt. Mit gefesselten Händen betete er noch einmal den Rosenkranz. Dann wurde Johannes Prassek zum Hinrichtungsraum geführt. Er ließ sich das Kreuz geben, küsste es, sprach von der Anschauung Gottes und ließ zum Schluss seine Lübecker Freunde grüßen. Dann verabschiedete sich Hermann Lange von dem katholischen Gefängnispfarrer Bernhard Behnen mit folgenden Worten, bei denen sein Gesicht anfing zu leuchten und sich zu verklären: „ Herr Pfarrer, auf ein baldiges frohes Wiedersehen im Himmel bei unserem Herrgott“. Zum Schluss ging Stellbrink. Dazu berichtete der evangelische Gefängnispfarrer Eske: „Dann legte ich meine Hand auf seine entblößte Schulter, unsere Augen tauchten tief ineinander. „Auf Wiedersehen – im Himmel!“ Langsam wiederholt er diese Worte. Ein Licht blitzt auf – das Zeichen, dass jetzt Pastor Stellbrink den letzten schweren Gang antreten soll. Zu beiden Seiten die Beamten, langsam, mit schweren Füßen gehen wir den langen, düsteren Gang entlang. Unheimlich hallen unsere Schritte wider. Kein Wort der Klage, kein Seufzen, kein Stöhnen – Pastor Stellbrink ist völlig still und ruhig.  An der Tür wendet er mir noch einmal sein Gesicht zu, in einem langen gequälten Blick grüßen seine Augen zum letzten Mal.“

Foto: Lübecker Märtyrer – Bildquelle: Andreas Gehrmann

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