Ultra posse nemo obligatur. Latein fördern oder überwinden?

Ein Kommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Erstellt von Clemens Victor Oldendorf am 3. Dezember 2012 um 21:05 Uhr
Petersdom

Mit dem Motu proprio Latina Lingua hat Papst Benedikt XVI. die bisherige Stiftung Latinitas zu einer Päpstlichen Akademie aufgestockt. Ich habe es bis jetzt bewusst vermieden, diesen Vorgang zu kommentieren, um zu beobachten, welches Echo diese Maßnahme anderweitig finden würde. Die Resonanz war sehr gering, und so ist zu vermuten, das Schicksal der Apostolischen Konstitution Veterum Sapientia Papst Johannes’ XXIII. wird sich wiederholen. Das Dokument wird ungehört verhallen beziehungsweise ungelesen verstauben und ohne große Wirksamkeit bleiben. Das hat äußere Gründe: Wenn auch jetzt an den Schulen nach einer bestimmten Flaute das Interesse am Latein erneut auflebt und wieder mehr Lateinlehrer gesucht und gebraucht werden, so ist der Umfang an Schuljahren, in denen Latein gelernt wird, mehr noch aber die Anzahl an Wochenunterrichtsstunden im Idiom Ciceros ganz erheblich reduziert, ebenso das Unterrichtsziel und die Methode ganz anders als noch vor 50 Jahren. Systematik und Grammatik stehen nicht mehr so im Vordergrund, das Übersetzen ins Lateinische wird gar nicht mehr gelernt, und beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ist es schon lange verboten, in Klassenarbeiten eine solche Übersetzung vom Deutschen ins Lateinische zur Aufgabenstellung zu machen. Viele Schüler lernen überhaupt kein Latein mehr im Gymnasium, sondern moderne Fremdsprachen oder setzen in der Oberstufe einen naturwissenschaftlichen Schwerpunkt.

Die Vorstellungskraft der Konzilsväter und schwindende Lateinkenntnis schon unter Pius XII.

Die Väter des Zweiten Vaticanums konnten sich nicht vorstellen, dass in 50 Jahren die meisten Kleriker keine besonders berauschenden Lateinkenntnisse mehr haben würden und schrieben in der Liturgiekonstitution fest, dass die Gläubigen auch weiterhin in der Lage sein sollten, die ihnen zukommenden Teile des Gottesdienstes lateinisch zu sprechen oder zu singen und dabei selbstverständlich sinngemäß zu verstehen. Papst Benedikt will dem Mangel abhelfen, indem er eine Stiftung zur Päpstlichen Akademie erhebt. Die Maßnahme ist demnach zentralistisch und damit zugleich punktuell. Was geschehen müsste, wäre ein sehr stark betonter Lateinunterricht in den Priesterseminarien und an den theologischen Fakultäten. Dabei dürfte man sich nicht auf das Latein der Liturgie beschränken, denn dieses Kirchenlatein im engeren Sinne ist wahrlich sehr simpel.

Die Lateinkenntnis der Theologen und Priester soll sie aber nicht nur befähigen, die Römische Liturgie in Latein zu feiern und zu verstehen, sie sollen sich die Schätze der Kirchenväterschriften, die Texte der Tradition und Theologie sowie des Lehramtes und des Kirchenrechts aktiv fruchtbar machen können. Dabei darf man die Hürden auch nicht zu hoch ansetzen und zu viel verlangen. Daran ist vermutlich schon Veterum Sapientia gescheitert. Wäre diese Apostolische Konstitution umgesetzt worden, das Priestertum wäre nur noch auf dem Wege eines vollwertigen Doppelstudiums von Theologie und Altphilologie erreichbar gewesen. Schon damals freilich mussten schwindende Lateinkenntnisse irgendwie kompensiert werden, worin sicher auch ein Grund der neuen Psalmenübersetzung Pius’ XII. lag. Das Vokabular der Vulgata-Psalmen war bereits damals für viele zu anspruchsvoll.

Lateinische Liturgie ist kein Grammatiktest

Die neue Päpstliche Akademie ist Kardinal Ravasi zugeordnet, da dieser sozusagen der vatikanische Kulturminister ist. Wenn dieser Purpurträger jetzt sagt, viele Traditionalisten, die lateinische Messen feiern wollten, verstünden selbst die Sprache nicht ausreichend, so ist dazu zweierlei anzumerken. Wie schon gesagt, ist das liturgische Kirchenlatein wirklich sehr einfach. Vor allem aber hat Ravasi offenbar ein intellektualistisches Bild von der verständigen Mitfeier der Liturgie. Die Gläubigen sollen sehrwohl in den Kontext und Gesamtzusammenhang der Liturgie hineingenommen und von dessen großem „Sinn“ getragen werden, sie müssen aber nicht jedes einzelne Wort verstehen, Stilmittel erkennen oder grammatikalische Formen bestimmen können, um befugt zu sein, lateinische Gottesdienste zu feiern.

Es ist schon ironisch bis paradox, wenn Kardinal Ravasi, der das Latein fördern soll, die Gläubigen, die noch am ehesten dem Auftrag der Liturgiekonstitution nachkommen und die ihnen zukommenden Teile der Liturgie auch in Latein beherrschen, als „Traditionalisten“ apostrophiert, die „das Latein endlich überwinden müssen.“ Was soll gefördert werden? Das Latein oder seine Überwindung, Eminenz? Summa summarum kommt einem bei der Behandlung dieses Themas immer wieder mutatis mutandis in den Sinn: Ultra posse nemo obligatur. Das gilt für den Papst, Gymnasiasten, Theologiestudierende und Seminaristen, aber auch Gläubige „an der Basis“. Schließlich ist der Vorgang auch ein Beispiel, an dem man etwas Generelles ablesen kann: Nämlich dann, wenn man sich fragt oder Gründe untersucht, warum eine „Reform der ’Reform’“ nicht funktionieren kann oder, was sich grundlegend ändern müsste, damit sie funktionieren könnte.

Foto: Petersdom – Bildquelle: Wolfgang Stuck

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