Römisch-katholische Kirche in Deutschland! Wo stehen wir? Wo geht es hin?

Festrede von Georg Dietlein zum 109. Stiftungsfest der K.D.St.V. Franco-Raetia Würzburg.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 6. Juni 2014 um 19:55 Uhr
Petersdom

Mit freundlicher Zustimmung von Georg Dietlein veröffentlicht Kathnews in einer geringfügig gekürzten Version einen Vortrag, den der Kölner Student für Jura und Theologie am 31. Mai 2014 vor der Katholischen Studentenvereinigung Franco-Raetia in Würzburg gehalten hat.

Von Georg Dietlein (Köln)

„Fürchte Dich nicht, Du kleine Herde! Denn Euer Vater hat beschlossen, Euch das Reich zu geben!“ (Lk 12, 32) – Jesus steigert seine Aussage noch einmal. Fürchtet Euch nicht, auch wenn ihr nur wenige seid. Ihr habt eine Verheißung. Ihr habt mein Wort. In der derzeitigen Lage unserer katholischen Kirche in Deutschland wird uns dieses Wort Jesu an seine Jünger möglicherweise grotesk vorkommen. Fürchte Dich nicht, Du kleine Herde! Denn Euer Vater hat beschlossen, Euch das Reich zu geben.

Römisch-katholische Kirche in Deutschland – wo stehen wir – wo geht es hin? Für viele Zeitgenossen ist die Antwort auf diese Frage ziemlich ungewiss. Die katholische Kirche in Deutschland steht schon seit Jahren in einer Phase des großen Aufbruchs und Umbruchs. Kirchliche Strukturen verändern sich, Pfarreien müssen fusionieren, am Sonntag werden nicht mehr vier Messen angeboten, sondern vielleicht nur noch eine Eucharistiefeier oder schlimmstenfalls nur noch ein Wortgottesdienst. Das Interesse am kirchlichen Leben ist auch sonst nur noch begrenzt. Immer weniger Erstkommunionkinder und Ministranten, immer weniger und wenig interessierte Firmlinge, immer weniger Taufen, weniger Ehen, ganz zu schweigen vom Sakrament der Beichte, das ganz einzuschlafen scheint.

Ganz ähnlich ist es mit der Zahl der Priesterweihen. Weltweit gibt es über 400.000 katholische Priester. Tendenz steigend. Nur in Deutschland ist es anders: Knieten in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil allein bei einer Priesterweihe im Kölner Dom 70 gestandene Männer vor ihrem Diözesanbischof, so sind es auch heute noch etwa 70 Weihekandidaten pro Jahr – allerdings nicht in einem einzelnen Bistum, sondern für alle deutschen Diözesen zusammen. Vergleicht man die Mitgliederentwicklung der katholischen Kirche in Deutschland mit der Entwicklung der Zahl katholischer Priester, so stellt man fest, dass die Zahl der Priester sogar stärker abnimmt als die der Kirchenmitglieder. Zur Zeit gibt es etwa 24 Mio. katholische Christen in Deutschland, immerhin noch gut 30 % der deutschen Gesamtbevölkerung, gemeinsam mit unseren evangelischen Mitbrüdern eine satte Mehrheit in der Bevölkerung. Jedes Jahr sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder um ca. ein Prozent, immerhin nicht so rasant wie die Mitgliederentwicklung der großen Volksparteien, aber eben doch ein stetiges Abwärts, was viele ältere Kirchenbesucher nicht gerade optimistisch stimmt. Ursache für diese negative Mitgliederentwicklung sind in erster Linie Sterbefälle in Verbindung mit dem demographischen Wandel und erst in zweiter Linie Kirchenaustritte. Doch gerade in der vergangenen Zeit haben auch große Austrittswellen der Kirche hierzulande zugesetzt. Stichwort: Missbrauchsskandal, Richard Williamson, Tebartz-van Elst und das Schicksal einer vergewaltigten Frau, die in einer Kölner Klinik (angeblich) abgewiesen wurde. So traten 2010 im Zuge des Missbrauchsskandals insgesamt 180.000 Katholiken aus der katholischen Kirche aus, also 0,7 % der gesamten Mitglieder – ein Spitzenwert in der Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland.

Viele, auch fromme Katholiken in Deutschland stellen sich in diesen Tagen die Frage nach den Zeichen der Zeit. Was hat es zu bedeuten, wenn immer mehr Katholiken ihrer Kirche den Rücken kehren, immer weniger Katholiken sonntags in die Kirche gehen und immer weniger Christen wirklich ihre Berufung im Alltag leben? Geht es abwärts mit unserer deutschen Volkskirche? – Schnell wird angesichts solcher Fragen auch die Forderung nach Reformen laut. Allzu gerne werden altbekannte Ladenhüter aufgewärmt. Es geht ums Zölibat und die Weihe von Frauen zu Priestern – zwei Punkte übrigens, die die evangelische Kirche ein wenig anders sieht als wir und die dennoch dieselben Probleme hat wie wir.

Vergleichen wir die Lage der Kirche in Deutschland mit anderen Ländern, so bemerken wir, dass wir hierzulande auf einem ziemlich hohen Niveau klagen. Christen in anderen Ländern haben es auch nicht leichter. Ganz im Gegenteil: Das Christentum ist die meist verfolgte Religion weltweit. In Deutschland haben wir nicht mit systematischer Verfolgung und Diskriminierung zu tun. Wir sind eine reiche Kirche mit jährlich 5 Milliarden Euro Kirchensteuern. Und mit Blick etwa auf Argentinien, das Heimatland des Papstes, in dem es deutlich weniger Priester pro Gläubige als bei uns gibt, haben wir auch eigentlich keinen Priestermangel. Wir beschäftigen hauptberufliche Pastoral- und Gemeindereferenten bzw. –assistenten, die die katechetische Vorbereitung von Erstkommunion und Firmung übernehmen und das Gemeindeleben vorantreiben. In anderen Ländern leisten dies Ehrenamtliche. Kirchensteuer – Fluch oder Segen?

Fürchte Dich nicht, Du kleine Herde! Denn Euer Vater hat beschlossen, Euch das Reich zu geben. – Eigentlich hat die Kirche allen Grund dazu, Furcht und Zweifel abzulegen und in Mut und Zuversicht zu verwandeln, denn sie hat die Zusage des Herrn: Ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Zeit. Werfen wir einen Blick darauf, wie die ersten Jünger mit den verbleibenden Glaubenszweifeln umgegangen sind. Da gibt es etwa den Bericht von den Aposteln, die die ganze Nacht auf dem See von Genezareth vergeblich gefischt hatten. Trauer, Missmut und Enttäuschung wird wohl das gewesen sein, was sie in diesem Moment am meisten bewegte. Keinen einzigen Fisch gefangen! Hatten sie ihr Handwerk einfach so verlernt? – Und dann folgt die Anweisung des Herrn: „Fahr hinaus auf den See!“ (Lk 5,4) – Ein schlechter Scherz! Der Befehl des Herrn erscheint absurd. Simon Petrus weiß das, er, der langjährige Fischer, kennt den See von Genezareth. Wer eine Nacht lang vergeblich zum Fang ausgefahren ist, kann einen neuen Versuch am nächsten Tage erst recht vergessen. Und dennoch: Petrus antwortet nicht so, wie wir vielleicht in dieser Situation geneigt wären: Was willst Du mir denn sagen? Siehst Du nicht, dass wir die ganze Nacht vergeblich auf dem See herumgeirrt sind? Du hast doch gar keine Ahnung davon. Du kennst doch gar nicht unsere Probleme.

Doch so lautet die Antwort des Petrus nicht. Er weiß, wer vor ihm steht. Und er weiß auch um die Macht und die Autorität des Herrn, der ihnen etwas befiehlt und verheißt, was völlig irre erscheint: Fahr hinaus auf den See! – Petrus gibt keine Widerworte. Er schildert Jesus kurz die Lage: Wir waren die ganze Nacht auf dem See und haben keinen, aber auch keinen Fisch gefangen. „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“ (Lk 5,5) Das unbedingte Vertrauen des Petrus, das vielen heute vielleicht als verrückt erscheinen würde, bleibt nicht folgenlos. Es wird belohnt. Die Jünger fangen so viele Fische, dass fast ihre Netze reißen. Und Simon Petrus erhält einen Auftrag: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ (Lk 5,10).

Seit fast 2000 Jahren hält die Kirche an diesem Auftrag Jesu fest. Mittlerweile besteht sie nicht mehr nur aus 12 Männern und einem kleinen Fischerboot, sondern ist zu einer Flotte mit großen Booten und 1,2 Milliarden Menschen bzw. Menschenfischern herangewachsen. Allerdings scheint es so, dass – auch heute – nicht alle dieser Boote Kurs auf See genommen haben. Einige der Seeleute haben ähnliche Zweifel wie die Jünger vor 2000 Jahren und kommen nicht in Fahrt. Sie haben Angst vor dem Scheitern, sehen ohnehin keine Zukunft und wissen alles besser: Wir müssten unser Schiff vollständig umbauen. Der Kapitän sollte aus seiner Kajüte ausziehen und die Mannschaft sollte das Sagen an Bord bekommen. Verfangen in solchen Diskussionen bleiben zahlreiche der „Kirchenschiffe“, die unter deutscher Flagge fahren, im Hafen liegen. Wer wird der Aufforderung Jesu eher gerecht? Die Kameradschaft, die lange diskutiert und wieder zu keinem Ergebnis kommt – oder aber der vielleicht etwas überstürzte und opportunistische Fischer, der auf den See hinausfährt, um dort Menschen zu fischen?

In Deutschland erleben wir beide Typen von Katholiken. Wir erleben einen Gremienkatholizismus von wirklich engagierten Menschen, die für die Kirche eigentlich nur das Beste wollen, aber das Schlechteste erreichen. Oft habe ich den Eindruck, dass diese kirchliche Selbstbeschäftigungsstrategie ein Symptom tiefen Unglaubens ist. Wir machen uns Gedanken über die Zukunft der Kirche, wissen alles besser und wollen alles selber machen. Doch das ist nicht die Kirche, wie sie Jesus Christus gewollt hat. Das ist vor allem nicht der Glaube, wie ihn Jesus Christus gelehrt hat. Wer an Jesus Christus glaubt, der vertraut darauf, dass Christus auch heute noch in seiner Kirche lebt und wirkt. Er ist das Haupt seiner Kirche. Er lenkt und leitet sie, auch wenn wir nicht immer sofort verstehen, was er uns durch dieses und jenes, was uns vielleicht eher beunruhigt, sagen möchte. Und auch wenn es uns nicht immer leicht fällt, als Christen im Alltag zu leben, für unseren Glauben einzustehen und wenn wir das Gefühl haben, alles gehe den Bach herunter, sollten wir immer im Blick haben: Larmoyanz, Nörgelei und Verzagtheit sind keinesfalls Früchte des Heiligen Geistes, sondern Zeichen mangelnden Vertrauens und mangelnden Glaubens. Erneuern wir im Gebet und in den Sakramenten unsere Beziehung zu Christus und führen wir uns vor Augen: Das größte Wunder an der Kirche ist, dass es Päpste, Bischöfe und Priester über 2000 Jahre hinweg nicht geschafft haben, diese zu zerstören. Im Gegenteil: Gott will sich unserer schwachen Menschheit bedienen. Er will, dass wir mit ihm und für ihn in der Welt wirken. Er will uns als Diener, er will uns als Zeugen, er will uns als Heilige!

Die katholische Kirche weltweit und in Deutschland hat eine große Zukunft. Gerade stehen wir als Kirche in Deutschland vor der großen Chance eines Neuanfangs und eines großen Aufbruches. An vielen Orten wachsen kleine Pflänzchen des Apostolates und der Neuevangelisierung. Es gründen sich Bibelkreise, Glaubenskreise, Gebetskreise, Anbetungskreise. Es entstehen neue Gemeinschaften und Initiativen, die atemberaubenden Zulauf erfahren. Denken wir alleine an Nightfever. Es ist Zeit, dass wir unsere Leinen lösen und wieder anfangen, Menschen zu fischen! Zahlreiche unserer Zeitgenossen haben sich in den Stürmen unserer Zeit verfangen und drohen unterzugehen. Hier sind wir gefragt. Wer, wenn nicht wir, wird sie mit der Liebe Gottes in Berührung bringen? Wer, wenn nicht Gott, kann ihrem Leben neuen Sinn geben?

Die Leidenschaft für die Seelen der Menschen – für jede einzelne – gründet in der Liebe zu Jesus Christus. Der heilige Josemaría Escrivá schreibt in seiner „Spur des Sämanns“: „Hör mir gut zu und sag es weiter: Christentum ist Liebe. Umgang mit Gott macht glücklich und drängt zu großen Taten. Die Sorge um die anderen – das Apostolat – ist kein Luxusartikel, keine elitäre Beschäftigung…“ (Spur des Sämanns, 187).

Ich möchte sieben Punkte betrachten, wie sich – so vermute ich – unsere Kirche in Deutschland in den nächsten Jahren verändern wird und verändern muss:

1. Das Selbstbewusstsein des Laien in der Kirche

In den Köpfen vieler Christen besteht noch immer die Trennung die „Kirche“ und „Laien“ fort. Die Kirche – das sind alle, die in besonderer Weise etwas mit „der Kirche“ zu tun haben – Bischöfe, Priester, Diakone. Der Rest – das sind die Laien. Viele dieser „Laien“ – ein missverständliches Wort – verstehen sich selbst sicherlich als mündig, allerdings nicht als verantwortlich. Es fehlt das Selbstverständnis bzw. Selbstbewusstsein, dass die Sendung der Kirche, des Leibes Christi wesentlich vom Mittun seiner Glieder abhängt. Zu diesem Mittun bedarf es ja nicht wirklich viel. Viel ist bereits damit getan, wenn Eltern gemeinsam mit ihren Kindern beten, das Wort Gottes hören und sonntags die heilige Messe besuchen. Viel ist auch damit getan, wenn mündige Christen ihren Alltag, ihre Arbeit und ihr Engagement aus christlicher Verantwortung gestalten. Vielen Laien ist aber auch das zu viel – weil sie die Anbindung an die Kirche verloren haben – weil sie von der Kirche nicht mehr viel halten. Bei einem solchen Missverhältnis zur Kirche spielen oft auch Missverständnisse eine Rolle. Neuevangelisierung hat nicht erst in der Welt zu beginnen. Wir müssen oft bereits bei unseren eigenen „Leuten“, in der Kirche ansetzen. Und dabei spielen Familien eine ganz besondere Rolle.

2. Kirchensteuer – Fluch und Segen

Das deutsche Kirchensteuersystem ist für die Kirche Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist das konstante, zur Zeit sogar noch steigende Kirchensteueraufkommen ein Segen für die Kirche in Deutschland, die dadurch – im Gegensatz zum Rest der Welt – viel Personal (Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten, Kirchenverwaltung) hauptamtlich anstellen kann. Die solide Finanzbasis macht sich auch in zahlreichen Kirchengebäuden und dem kirchlichen Engagement in Kindergärten, Schulen, Hochschulen und der Caritas bemerkbar. Dieser finanzielle „Reichtum“ der Kirche hat allerdings auch seine Kehrseite: Laien leisten eine Abgabe von knapp 4 % ihres Einkommens – „damit muss es dann aber auch gut sein“. Die bemerkbare Belastung des Kirchenmitgliedes durch die Kirchensteuer und die hauptamtliche Beschäftigung von Pastoral- und Gemeindereferenten durch die Kirche führen zu einer gewissen Lethargie auf Seiten der Laien: Die Kirche beschäftigt doch hauptamtliche „Funktionäre“ und „Evangelisatoren“ – wieso sollten wir dann noch unseren Beitrag leisten? – Erst wenn die Kirche hauptamtliches Personal nicht mehr bezahlen kann und die Kirchensteuer auch nicht mehr ausreicht, werden wir merken, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement von Laien in der Kirche und in der Welt ist. Blicken wir etwa in die USA und nach Frankreich: Hier kann die Kirche nicht in dem Maße auf hauptamtliches Personal zurückgreifen – und floriert doch und vielleicht sogar noch stärker als bei uns.

3. Weitergabe des Glaubens in Gemeinschaft

Es macht viel mehr Spaß, den Glauben in einer Gemeinschaft zu leben und weiterzugeben als als Individualist und „Einzelkämpfer“. Glaube braucht Gebet, Gespräch, Gemeinschaft. Das wussten bereits die ersten Christen, die stets die Gemeinschaft, den Austausch und den Kontakt untereinander pflegten – und das wusste auch Jesus Christus selbst, der seine Jünger nicht alleine, sondern je zu zweit aussandte (Lk 10, 1). Den Glauben in der Gemeinschaft der Kirche, der örtlichen Pfarrei und der eigenen Gemeinde zu leben und zu erleben ist ein großes Geschenk. Doch leider ist dies nicht mehr überall Realität. Pfarreien und Gemeinden werden immer größer. Eine flächendeckende Pastoral wird immer schwieriger. Die Mitglieder einer Pfarrei und Gemeinde kennen sich nicht mehr persönlich. Es beginnt eine Entfremdung. Pfarrei und Gemeinde sind schließlich nicht mehr die persönliche „Heimat“. Der Pfarrer rückt im Übrigen immer weiter in die Ferne. Seelsorge und Pastoral gehen über in das Unpersönliche und Unverbindliche. Schließlich werden so auch für neue Gemeindemitglieder, Zugezogene und „Neueinsteiger“ Berührungsängste und Kontakthürden aufgebaut.

4. Priestermangel – Christenmangel

Es herrscht ein deutlicher Mangel an pastoralem Nachwuchs. Immer weniger Männer entscheiden sich für einen Weg als Priester oder Diakon. Auch der Beruf des Pastoral- oder Gemeindereferenten bzw. der Pastoral- oder Gemeindereferentin erscheint nicht mehr attraktiv: entweder ganz oder gar nicht. Viele Pastoralreferenten fühlen sich so möglicherweise als Ersatz-Priester oder Ersatz-Kaplan. Dabei gäbe es der Beruf des Pastoralreferenten gerade her, dass er – im Gegensatz zum Priester oder Diakon – mitten in der Welt steht – etwa mit einem nicht-kirchlichen Nebenberuf, der ja auch dem ständigen Diakon offen steht. Es herrscht insgesamt ein Mangel an Priestern, Diakonen und vielen weiteren ehrenamtlichen Helfern und Beauftragten. Es herrscht aber auch ein Christenmangel, als Ursache und Folge des Priestermangels. Das ist der eigentliche Punkt. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir Menschen wieder für Jesus Christus begeistern und ansprechen können. Das kann auf verschiedene Weise geschehen: durch einen gemeinsamen Besuch der Messe oder eines Glaubenskreises – oder auch durch ein persönliches Gespräch über den Sinn des Lebens. Wir müssen Menschen für Christus begeistern. Alles andere kommt von selbst.

5. Der Priester als Seelsorger und Verwalter

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem traditionellen Verständnis von Pfarrei und Pfarrer. Der Pfarrer wird zum All-Zuständigen und All-Verantwortlichen für sämtliche Initiativen und Projekte unter dem Dach seiner Pfarrei. Das führt auf seiner Seite zu einer unerträglichen Überforderung, auf Seiten der Gemeinschaften und Initiativen zu einer unerträglichen Entmündigung. Es wäre sinnvoll, wenn Priester einen Teil ihrer Verantwortung – etwa auch in Bereichen der Pfarrverwaltung – abgeben könnten, um sich primär der Seelsorge zuwenden zu können. Dies bedeutet in erster Linie nicht, organisatorische und repräsentative Aufgaben zu erfüllen, sondern sich wirklich dem priesterlichen Leben aus der Eucharistie und dem Gebet sowie der persönlichen Seelsorge und geistlichen Leitung von Laien zuwenden zu können. Viele administrative und organisatorische Aufgaben eines Pfarrers auf Pfarr- und Gemeindeebene ließen sich etwa an einen haupt- oder besser ehrenamtlichen Gemeindeadministrator oder Gemeindeleiter abgeben.

6. Die leere Kirchenbank und der Pöstchen-Katholizismus

Ich habe bereits Messen erlebt, bei denen die Kirchenbänke leerer als der Altarraum waren. Die Kirchenbank ist der Ort des „einfachen“ Christen, der Chorraum ist der Ort der geweihten und engagierten Christen. Doch gerade auch die einfache Kirchenbank kann für viele, die sich gerne am Altar sehen, heilsam sein. Sie lehrt uns, dass wir zunächst alle gleich sind – und führt uns dahin zurück, warum wir eigentlich glauben und die heilige Messe besuchen: nicht, um gesehen zu werden, sondern um den Herrn zu sehen. Eine gewisse Gefahr stellt da das Selbstverständnis dar, der Glaube und der sonntägliche Messbesuch müssten zwingend zum Engagement werden, das man sich in den Lebenslauf schreiben und mit dem man bei anderen punkten kann – als Ministrant, als Lektor, als Kommunionspender. Solches Engagement ist richtig und wichtig, allerdings darf dies nicht zu einem Pöstchen-Katholizismus führen, bei dem alle nur noch dann glauben und ihren Glauben leben, wenn sie dafür auch einen besonderen Ort in der Kirche, eine Rolle oder eine Position in der Kirche erhalten. Es wäre schön, wenn jeder einmal in der Kirche eine Rolle wahrnehmen würde, wenn sich alle Laien aktiv am Gottesdienst beteiligen und in den Gottesdienst einbringen würden. Wenn es allerdings nur darum geht, „vorne zu stehen“, wird die Kirchenbank falsch verstanden.

7. Der Gremienkatholizismus

Freilich muss es auch in einer Kirchengemeinde ein Kernteam engagierter Männer und Frauen geben. Neben der allgemeinen Berufung aller Christen zum persönlichen Apostolat im eigenen Umfeld nehmen einzelne Christen besondere Aufgaben beim Aufbau des Leibes Christi, der heiligen Kirche wahr. Hier ist es allerdings wichtig, dass immer der Aspekt der Evangelisierung im Vordergrund steht und weniger die Beschäftigung mit sich selbst. So erweist es sich als problematisch, wenn kirchliche Gremien mehrere Stunden tagen und beraten – und schließlich nichts davon nach außen dringt. In dem Falle wäre diese Zeit von Ehrenamtlichen in der Familie und im Freundeskreis – im persönlichen Apostolat – besser aufgehoben. Mitbestimmung von Laien in der Kirche ist wichtig. Wichtiger aber noch ist die Mitwirkung von Laien bei der Evangelisierung. Ein Gremienkatholizismus wäre genau das, was Papst Franziskus mit „theologischem Narzissmus“ angeprangert hat.

„Der Wind weht, wo er will. Du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht“ (Joh 3,8). Mit dem „Wind“ meint der Evangelist Johannes den Heiligen Geist, durch den wir alle als Kinder Gottes getauft sind. Der Heilige Geist weht, wo er will – und das tut er auch in Deutschland. In den nächsten Jahren werden sich viele der negativen Trends, die ich bereits erwähnt habe, fortsetzen. Es wird immer weniger Kirchenmitglieder, weniger Kirchgänger und weniger Priester geben. Doch wenn ich auf das vielfältige kirchliche Leben in diesen Tagen blicke und die vielen frischen Laien-Initiativen sehe, so bin ich voller Zuversicht, dass die Kirche zwar an Quantität, nicht aber an Qualität abnehmen wird. Viele ideologische Grabenkämpfe sind im Laufe der Zeit verstummt. Man konzentriert sich auf das Wesentliche: auf den Glauben an Jesus Christus, auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten, auf das Gebet, auf die eucharistische Begegnung mit dem Herrn selbst.

Entweltlichung ist ein Prozess der Reinigung, bei dem die Kirche zu ihrem Herzen zurückfindet – ohne sich daran messen zu müssen, ob sie immer noch mehrheitsfähig ist. Fürchte Dich nicht, du kleine Herde! Von einer kleinen, aber entschiedenen Herde an Christen kann eine ganz andere Leuchtkraft ausgehen als von einer großen, aber lauen Menge an Mitläufern. Kardinal Woelki hat in diesem Kontext von einem neuen „Entscheidungschristentum“ gesprochen. Von einer kleinen christlichen Kerngemeinde und neuen geistlichen Bewegungen werden Impulse, wird Strahlkraft ausgehen, die Menschen wieder Halt und Orientierung geben.

Ich blicke also ganz optimistisch in die Zukunft. Wer einmal erleben will, wie es um die römisch-katholische Kirche bestellt ist, dem empfehle ich, Ostern in Rom zu feiern. Am Grabe Petri erhalten wir ein Gespür dafür, wie vital die Weltkirche wirklich aufgestellt ist. Im Vergleich zu dem hohen kirchlichen „Zulauf“ außerhalb Europas erscheinen die Probleme der deutschen Kirche doch marginal: Ja, die Kirche erlebt einen klaren Aufwärtstrend! – Glauben wir daran: Christus ist der Herr seiner Kirche. Er lenkt sie durch die Zeiten – seit 2000 Jahren und in Zukunft.

Foto: Petersdom – Bildquelle: M. Bürger, kathnews

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