Reli am Samstag
âWer hat schon mal was von Lepra gehört?â fragt Marius Walter in die Runde. Der 13-JĂ€hrige steht im groĂen Saal des Pfarrheims vorne an der Tafel. Hinter dem Pult, links neben ihm, sitzt Pfarrer Johannes Preis und beĂ€ugt den SchĂŒler kritisch. Marius hĂ€lt ein Referat ĂŒber den OrdensgrĂŒnder Damian de Veuster. Seine 13 MitschĂŒler hören ihm dabei aufmerksam zu oder malen vor sich hin, schreiben fleiĂig mit oder schwĂ€tzen mit dem Nachbarn. Schulalltag im thĂŒringischen Bad Frankenhausen und das an einem Samstagvormittag.
In einem kleinen Raum zwei TĂŒren weiter: âDarf ich die erste Strophe lesen?â Tamara meldet sich mit beiden Armen und lautem Rufen. Gerade hat die Lehrerin, Frau Wallrodt, ein kunstvoll zugeschnittenes Papier ausgeteilt. Darauf ein Abendgebet. Die sechs- bis neunjĂ€hrigen Kinder sollen dafĂŒr einen Rahmen basteln, um sich das Gebet ans Bett oder ins Kinderzimmer hĂ€ngen zu können. âLieber Gott, ich danke Dir, fĂŒr Mama, Papa, Kuscheltierâ, liest Tamara langsam vor.
Ăber 40 Kinder und Jugendliche haben sich an diesem Samstag im Pfarrheim der Maria-Himmelfahrt-Gemeinde in Bad Frankenhausen versammelt. Einmal im Monat verwandelt sich das Haus neben der kleinen Kirche in eine regulĂ€re Schule. Vier Stunden katholischer Religionsunterricht stehen an, von neun bis 13 Uhr. Drei Klassen gibt es auf der sogenannten âSonnabend-Schuleâ. Kinder aus den Jahrgangsstufen eins bis drei, vier bis sieben und acht bis zehn werden jeweils gemeinsam unterrichtet.
Im Glauben alleine
âAuf meiner Schule sind vielleicht 40 katholische Kinderâ, berichtet Marius und fĂŒgt hinzu: âIn meiner Klasse sind wir nur zu zweit!â Mit Marius besuchen rund 500 SchĂŒler das KyffhĂ€user-Gymnasium in Bad Frankenhausen. Der GroĂteil gehört keiner christlichen Konfession an. Die Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft im nahen und weiten Umfeld der thĂŒringischen Kleinstadt. Rund 75 Prozent der Bevölkerung sind konfessionslos. Der Katholikenanteil liegt bei drei Prozent. Katholische Christen leben hier in der Diaspora. Zur Pfarrgemeinde Bad Frankenhausen zĂ€hlen 550 GlĂ€ubige, die auf 13 Ortschaften verstreut leben. Zur Sonnabend-Schule mĂŒssen die meisten eine weite Anreise auf sich nehmen. Bis zu einer Dreiviertelstunde brauchen die SchĂŒler von den umliegenden Dörfern nach Bad Frankenhausen.
âEin bis zwei katholische SchĂŒler pro Jahrgangsstufe sind einfach zu wenig, um einen ordentlichen Unterricht zu gewĂ€hrleistenâ, meint Pfarrer Preis. Deshalb wurde mit dem Schulministerium eine Sonderregelung vereinbart, in den PfarrrĂ€umen einmal im Monat den Schulunterricht im Fach katholische Religion abzuhalten. Ein Modell, das insgesamt vier Mal in ThĂŒringen zur Anwendung kommt. Auf diese Weise erleben die katholischen Kinder, dass sie nicht alleine sind mit ihrem Glauben, sondern dass es Gleichaltrige gibt, die sich ebenso zu Gott und Jesus Christus bekennen. Ganz nach dem Motto: âKeiner soll alleine glaubenâ.
Standfestigkeit gefragt
âNur manchmal ist es gutâ, bekennt Alexandra Reich. Die SiebenjĂ€hrige zeigt sich nicht gerade begeistert darĂŒber, dass sie auch noch am Samstag in die Schule muss. Missmutig sitzt sie ĂŒber ihrem KreuzwortrĂ€tsel zur Arche Noah. Als einziges katholisches MĂ€dchen in ihrer zweiten Klasse falle sie vollkommen aus dem Rahmen. So empfindet sie den Ausnahme-Unterricht. Die groĂe Mehrheit ihrer MitschĂŒler besucht das Fach Ethik unter der Woche. Es wĂ€re ein leichtes, auch Alexandra von der katholischen Religion abzumelden und sie mit den konfessionslosen Freundinnen und Freunden zum Ethik-Unterricht zu schicken.
Samstags nach Bad Frankenhausen zu fahren, erfordere viel Standfestigkeit, das bestĂ€tigen auch Christin Leistner und ihre Freundinnen. Jedoch tauschen wollen die Teenagerinnen nicht: âIn der Sonnabend-Schule beschĂ€ftigen wir uns intensiver mit Jesus und mit Gott.â Ethik kommt bei den jungen MĂ€dchen schlecht weg: zu wenig religiöse Tiefe, zu viel Benimmregeln und andere Weltreligionen, meinen sie ĂŒbereinstimmend. âIm Ethik-Unterricht wird Jesus eben nur grob angerissenâ, unterstreicht Vanessa TrĂ€ger. Sie hĂ€lt heute ein Referat ĂŒber Christen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus: Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer, Maximilian Kolbe. Durch die Bank weg freuen sich alle SchĂŒler ĂŒber eine Besonderheit: âJedes Mal wenn die anderen zu Ethik oder evangelischer Religion mĂŒssen, habe wir eine Freistundeâ, sagt Vanessa. Sie grinst. Da wĂŒrden ihre MitschĂŒler schon mal neidisch.
Mit Sporttaschen bepackt wartet Katja Lendler vor dem Pfarrheim auf ihren Sohn Johann und ihre Tochter Marlen. âWir sind eine sportliche Familieâ, erklĂ€rt sie und schaut auf die Uhr. Im Anschluss an den Religionsunterricht möchte sie mit ihren Kindern noch am KyffhĂ€user-Lauf teilnehmen. Als eine Belastung fĂŒr das Familienleben empfindet sie den Samstagsunterricht nicht. Dieser finde schlieĂlich nur einmal im Monat statt. Und doch: âJa, manchmal muss Johann eigentlich zum FuĂball, aber dann geht es halt hier hin.â Katja Lendler bezeichnet sich als nicht religiös. Ihr Mann und ihre Schwiegereltern seien praktizierende Katholiken. âWir haben beschlossen, dass unsere Kinder diese Religion kennenlernenâ, erzĂ€hlt sie. âWie die Kinder sich dann mal spĂ€ter entscheiden, bleibt ihnen ĂŒberlassen.â
Angewandte Religion im Schulunterricht
âTrĂ€gst du dein Kreuz Herr, trĂ€gst Du auch mich, liebst du den Vater, liebst du auch michâ, klingt es durch die Kirche gleich neben dem Pfarrheim. Pfarrer Preis reicht einen Korb mit NĂ€geln durch die Bankreihen. âFĂŒhlt an der Spitze des Nagels, wie schmerzlich das istâ, fordert er die SchĂŒler auf. An diesem Morgen finden sich alle in der Kirche ein, um gemeinsam, passend zur Fastenzeit, fĂŒnf Kreuzwegstationen zu beten. Das kleine Gotteshaus, das mit seinen 80 PlĂ€tzen eher wie eine Kapelle anmutet, bleibt den ganzen Vormittag geöffnet. Immer wieder gehen SchĂŒler hinein. Im Anschluss an die Schulstunden besteht an diesem Samstag die Möglichkeit zu beichten. Rund vier Mal im Jahr macht Pfarrer Preis dieses Angebot. âLust zu beichten, habe ich eigentlich keineâ, ist Maximilian Knorr ehrlich. Aber der 15-JĂ€hrige macht es dann trotzdem. âWenn es schon angeboten wird, gehe ich hin.â
Angewandte Religion im Schulunterricht, fĂŒr Pfarrer Preis und Gemeindereferent Michael Turbiasz zeigt sich hier das groĂe Plus am Bad-Frankenhausener-Modell. âDie Kinder bekommen auf diese Weise noch einen lebendigen Bezug zur Kircheâ, betont Preis. Im Religionsunterricht in der Schule falle dies oftmals unten durch. âOder wann sehen die Kinder noch wĂ€hrend des Unterrichts ein Gotteshaus von innen?â fragt der Priester. âDie zweimal 45 Minuten unter der Woche reichen dazu doch niemals aus.â Vier Schulstunden am StĂŒck verschafften jedoch mehr Zeit, nicht nur fĂŒr Unterrichtsstoff nach Lehrplan, sondern auch fĂŒr gelebte Religion. Gerade in der Diaspora, wo die Wege zur nĂ€chsten Kirche weit, katholische Jugendarbeit in den Dörfern selten, ein regelmĂ€Ăiges Engagement wegen langer Fahrzeiten fast unmöglich ist, wird die Sonnabend-Schule zur wichtigen Institution der Glaubensweitergabe.
Gemeinschaft erleben
âOhne diese Schule wĂŒrden sich die katholischen Kinder untereinander kaum kennenâ, erklĂ€rt Turbiasz. Die Sonnabend-Schule erzeuge unter den jungen Katholiken ein besonderes GemeinschaftsgefĂŒhl im Glauben, das in ihrer direkten Lebensumgebung so nie zustande kommen könnte. âWie soll das auch passieren, wenn ein Junge vielleicht das einzige katholische Kind in einem Dorf ist und der nĂ€chste katholische Altersgenosse zehn Kilometer weit weg wohnt?â fragt Turbiasz. Im klassenĂŒbergreifenden Morgenkreis zu Unterrichtsbeginn, an der Tischtennisplatte in der Pause, in den gemischten Klassen wĂ€hrend des Vormittags entstehe unter den SchĂŒlern Gemeinschaft. Ăber weite Entfernungen und unterschiedliche Schularten hinweg lerne sich so der katholische Nachwuchs in der Sonnabend-Schule kennen und vernetze sich langfristig. âDas ist ein besonderer Schatz fĂŒr die Zukunft der katholischen Gemeinde hier in der Diasporaâ, so Turbiasz.
Textquelle: Alfred Herrmann
Foto: Kinder in der Klasse – Bildquelle: Alfred Herrmann