Lumen gentium. Artikel 10

Das priesterliche Amt des Volkes Gottes. Das gemeinsame und das besondere Priestertum.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 3. April 2014 um 20:56 Uhr
Christus mit der Eucharistie

Einführung von Gero P. Weishaupt: Christus ist Priester, Prophet und Hirte. In den folgenden Artikeln des zweiten Kapitels von Lumen gentium, das über das Volk Gottes handelt, thematisieren die Konzilsväter auf der Grundlage biblischer und patristischer Texte die Teilhabe des Volkes Gottes an den drei Ämtern Christi (tria munera). Das priesterliche Amt zielt auf die Heiligung, das prophetische auf die Verkündigung und das Hirtenamt auf die Leitung.

In Artikel 10 von Lumen gentium wird das priesterliche Amt des Volkes Gottes vertieft. Die Konzilsväter betonen zunächst, dass das Volk Gottes als Ganzes, d.h. die Getauften durch die „Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht“ werden. Noch bevor der Unterschied und die Komplimentarität zwischen besonderem und gemeinsamen Priestertum zur Sprache kommen, erinnern die Konzilsväter zuerst an das gemeinsame Priestertum aller, die die heilige Taufe empfangen haben, also an das sogenannte Taufpriestertum (sacerdotium commune fidelium).

Taufpriestertum (gemeinsames Priestertum aller Gläubigen): nicht protestantisch, sondern katholisch

Dieses Taufpriesterum war im Mittelalter und im Zuge kontroverstheologischer Strömungen nach dem Konzil von Trient mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Zwar hat das Konzil von Trient gegenüber Luther und Calvin zurecht die protestantisch-reformatorische Auffassung verurteilt, das ministerielle Priestertum der geweihten Amtsträger und das gemeinsame Priestertum seien gleich (vgl. DS 1764, 1766 und 1733), doch hat das Konzil von Trient die Existenz des Taufpriestertums als solches keineswegs verworfen. Denn dieses gehört zum Glaubensgut der Kirche. Verworfen wurde die protestantisch-reformatorische Leugnung des Unterschiedes zwischen beiden Weisen der Teilhabe am Priestertum Christi. Dennoch hat die Entwicklung in der Zeit nach Trient dazu geführt, dass sich die nachtridentinische Theologie und das dem Trienter Konzil folgende Lehramt zum Schutz des ministeriellen-hierarchischen Priestertums der Geweihten eher sehr zurückhaltend in Bezug auf das Taufpriestertum geäußert haben. Erst Pius XII. hat in seiner Enzyklika Mediator Dei vom 20. November 1947 das Taufpriestertum aller Gläubigen wieder aufgegriffen, in Erinnerung gerufen und theologisch vertieft.

Kontinuität, nicht Diskontinuität

Die Konzilsväter des Zweiten Vatikanischen Konzils stehen folglich mit ihrer Aussage über das gemeinsame Priestertum (Taufpriestertum) aller Gläubigen in einer auf die heilige Schrift und die frühe Kirche zurückgehende Kontinuität. Das gemeinsame Priestertum geht auf Christus selber zurück, der sein Volk „zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht“ hat (vgl. Offb, 1, 6; 5, 9-10). Der priesterliche Charakter des Volkes zeigt sich vor allem in der Darbringung „geistiger Opfer“ und der Verkündigung der „Machttaten“ Gottes, der die Menschen „aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat“ (vgl. 1, Pet. 2, 4-10). „So sollen alle Jünger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2,42-47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12,1); überall auf Erden sollen sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3,15).“

Komplimentarität aufgrund von Differenz

Im zweiten Absatz des gegenständlichen Artikels in Lumen gentium lehren die Konzilsväter sodann – wiederum in Treue zur Tradition -, dass das eine Priestertum Christi, an dem das ganze Volk Gottes teilnimmt, in zwei Weisen in der Kirche verwirklicht ist, indem sie – mit dem Konzil von Trient – zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften (Taufpriestertum) und dem besonderen Priestertum (Weihepriestertum, Amtspriestertum, hierarchisches Priestertum oder Priestertum des Dienstes) jener unter den Getauften unterscheiden , die durch das Sakrament der Weihe dem Priester Christi auf besondere Weise durch ein unauslöschliches Prägemal (charakter indelebilis) gleichgestaltet sind und darum an diesem Priestertum Christi auf besondere Weise teilhaben ((Differenz). Die Konzilsväter nennen das besondere Priestertum das „Priestertum des Dienstes“ bzw. das „hierarchische Priestertum“. Sie unterstreichen dabei – und das ist die Hauptaussage der Konzilsväter -, dass dieses besondere Priestertum nicht im Gegensatz steht zum gemeinsamen Priestertum aller Getauften, sondern dass sich beide Weisen des einen Priestertums ergänzen, beide also aufeinander zugeordnet sind (Komplimentarität).

Dem Wesen nach und nicht bloĂź dem Grad nach

Dennoch erinnern die Konzilsväter daran, dass sich das besondere Priestertum vom gemeinsamen Priestertum „dem Wesen nach und nicht bloß dem Grad nach“ (essentia et non gradu tantum) unterscheidet (licet … differant). Auf die hermeneutische Problematik dieses einen Satzes in Lumen gentium, Artikel 10 („Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet…“) und die Folgen aufgrund einer fatalen Hermeneutik der Diskontinuität nach dem Konzil habe ich an anderer Stelle aufmerksam gemacht. Siehe dazu meinen Beitrag: Kompromissformeln. Die dem besonderem Priestertum der Geweihten eigene Aufgaben sehen die Konzilsväter in der Leitung des Volkes Gottes und der Darbringung des eucharistischen Opfers in der Person Christi. Die dem gemeinsamen Priestertum bzw. Taufpriesterum aller Gläubigen eigene Aufgabe ist die Mitwirkung an der Darbringung des eucharistischen Opfers, der Empfang der Sakramente, das Gebet, die Danksagung und das Zeugnis eines heiligen Lebens „durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“.

Text: Lumen gentium. Artikel 10

Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5,1-5), hat das neue Volk „zum Königreich und zu Priestern fĂĽr Gott und seinen Vater gemacht“ (vgl. Offb 1,6; 5,9-10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkĂĽnden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2,4-10). So sollen alle JĂĽnger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2,42-47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12,1); ĂĽberall auf Erden sollen sie fĂĽr Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3,15).

Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.

Foto: Christus mit der Eucharistie – Bildquelle: The Yorck Project / Wikipedia

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