„Lazarus, komm heraus!“

Von der Einheit mit Petrus, dem Band der Apostolischen Tradition und der Anerkennung des II. Vaticanums.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 30. Juni 2012 um 14:06 Uhr

Am 29. Juni, dem Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, hat der Heilige Vater bei der Verleihung des Palliums tiefe Gedanken über die Einheit mit Petrus und seinem Nachfolger und das Band der Apostolischen Tradition ausgesprochen. Dieses Band ist es, das die Einheit mit der Kirche Roms und mit dem Papst herstellt. Der Papst ist nicht denkbar ohne diese Tradition und diese Tradition nicht ohne den Bischof von Rom. Der Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X., Weihbischof Bernard Fellay, hat seinerseits an diesem für die petrinische Einheit der Kirche so signifikanten Termin mit einer spürbaren Resignation davon gesprochen, dass die Verhandlungen seiner Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl ins Stocken geraten seien, ja einen Toten Punkt erreicht hätten.

Genese und Redaktionsstufen einer Präambel

Als Grundlage einer Einigung war Fellay am 14. September 2011 eine Lehrmäßige Präambel überreicht worden. So, wie sie war, hätte er sie nicht für die Priesterbruderschaft St. Pius X. unterschreiben können. Es wurden aber Modifizierungsmöglichkeiten eingeräumt, die Fellay genutzt hat. Daraus entstand eine Fassung Fellays, die dem Vernehmen nach vom Papst als positiv gewertet wurde und die, nachdem er sie selbst verfasst hat, auch ganz ohne Zweifel von Fellay unterzeichnet werden würde. Am 13. Juni dieses Jahres wurde jetzt plötzlich eine quasi neue Variante vorgelegt, in der die Glaubenskongregation den Text Fellays wiederum so bearbeitet hatte, dass sie wie aus heiterem Himmel erneut die Schwierigkeiten der Ursprungsfassung enthält. Wozu dann theologische Gespräche, und wozu dann die Möglichkeit, den Text zu modifizieren? Und was nützt es, dass Fellays Text die prinzipielle Gutheißung des Papstes findet, wenn dann doch wieder eine neue Fassung zur Unterschrift vorgelegt wird, die aus den gleichen Gründen inakzeptabel ist, wie die erste? Es gibt eine Fassung, die den Papst befriedigt hat und die Fellay unterschreiben würde. Wenn der Papst die Einheit will, wird er Fellay auch die Möglichkeit geben, diese Textfassung zu unterschreiben.

Neuartiger, zusätzlicher Lehrtypus und Anerkennung von Vaticanum II

Wir wissen nicht, was die Präambel, gleich welchen redaktionellen Stadiums, enthält. Immer wieder spricht man von der „Anerkennung des II. Vatikanischen Konzils“, die von der Piusbruderschaft geleistet werden müsse. Das ist ein wahrscheinlicher Inhalt. Das II. Vaticanum hat indes einen neuen Lehrtypus begründen und praktizieren wollen. Man könnte von einem pastoralen oder noch präziser von einem konziliar-pastoralen Lehrtypus sprechen. Die berühmte Nota explicativa praevia hat den Hinweis gegeben, dass das Konzil immer dann, wenn es etwas verbindlich lehren oder entscheiden wolle, auf die bekannte theologische Fachterminologie zurückgreifen werde, beziehungsweise sich so ausdrücken werde, dass klar werde, welcher Stufe der bekannten theologischen Gewissheits- oder Verbindlichkeitsgrade eine Aussage zuzuordnen sei. Diese bekannten theologischen Qualifikationen und Zensuren bilden eine Skala, und sie sind an bestimmten Signalformulierungen relativ eindeutig festzustellen. Das war eine klassische Aufgabe theologischer Arbeit. In der Zeit nach dem Konzil hat man diese Verbindlichkeitsstufen zunehmend als neuscholastisch steril empfunden und weitestgehend verabschiedet. Dass dies eine Täuschung und theologische Modeerscheinung war und ist, lässt sich schon an John Henry Kardinal Newmans Zustimmungslehre, der Grammar of Assent zeigen,  die ganz und gar nicht trockene Schultheologie, sondern philosophisch höchst subtil und originell ist.

In Ordinatio Sacerdotalis oder in Dominus Iesus waren die klassischen Qualifikationen dann doch auch wieder präsent. Die Lehre, dass die Kirche keine Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, ist beispielsweise am wahrscheinlichsten de fide tenenda. Das Konzil selbst hat aber – abweichend von der Ankündigung der  Nota explicativa praevia – tatsächlich keine Anhaltspunkte geboten, seine Aussagen den bisher bekannten (!) Verbindlichkeitsstufen zuzuordnen. Das soll nun mitnichten heißen, das Konzil sei völlig unverbindlich oder der Beliebigkeit überlassen. Es hat ja einen neuen Typus konziliar-pastoralen Lehrens eingeführt. In Humani Generis hat übrigens Pius XII. diesen pastoralen Lehrtypus wahrscheinlich sogar schon vorweggenommen oder vorbereitet, indem er dort sagt, dass die Theologen sich zu einer Frage, die der Papst in seinem ordentlichen Lehramt berührt hat, ohne sie entscheiden zu wollen, trotzdem nicht mehr völlig frei abweichend äußern könnten, gleichsam so, als ob der Papst sich dazu überhaupt nicht geäußert hätte.

Auf welcher Ebene ist der neue Lehrtypus anzusiedeln, welche Zustimmungsarten sind ihm angemessen?

Man muss nun also die Frage stellen, wo oder auf welcher Ebene  in der bekannten Skala von Qualifikationen und Zensuren der neue pastorale Lehrtypus gleichsam „einzubauen“ oder „einzuschieben“ ist. Das ist bis jetzt völlig unklar, und das ist auch die Schwierigkeit, wenn man von der „Anerkennung“ des II. Vaticanums spricht. Hinzu kommt, dass das Konzil selbst seine Dokumente formal zusätzlich mit unterschiedlichem Rang versehen hat. Sie reichen von einfachen Erklärungen, über Dekrete und Konstitutionen bis hin zu Dogmatischen Konstitutionen. Zu letzteren hat der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück jüngst und im Zusammenhang mit den Einigungsbemühungen Roms mit der Piusbruderschaft den wichtigen Hinweis gegeben, dass sie keine neuen Dogmen enthalten, sondern nur von ihrem „Gegenstandsbereich“ her dogmatisch sind, man könnte vielleicht auch sagen von ihrem Thema oder von der Perspektive her, unter der sie ihr Thema behandeln. Es ist also zu klären, welchen Rang konziliar-pastorale Lehräußerungen haben, wie dieser Rang nochmals gestuft sein kann, an welchen Formulierungen oder Signalworten das zu erkennen sein soll und welche Zustimmungsarten dem jeweils entsprechen sollen. Die Berechtigung eines solchen neuen, konzilar-pastoralen Lehrtypus soll gar nicht bezweifelt werden, aber seinen Wert kann er nur entfalten, wenn klar bestimmt ist, wo und wie man ihn einordnen muss.

Der konziliar-pastorale Lehrtypus als Ausweg aus einer Sackgasse

Blenden wir noch einmal zurück auf die vermutliche Vorbereitung des pastoralen Lehrtypus in Humani Generis Papst Pius’ XII. Wenn es stimmt, dass die Theologen sich zu einer Frage, die der Papst in seinem ordentlichen Lehramt behandelt hat, die er aber noch nicht verbindlich entscheiden wollte, eigentlich nur noch in der vom Papst vorgezeichneten Richtung forschend bewegen und äußern können, dann würde das auf das II. Vaticanum übertragen bedeuten, es anzuerkennen heiße, zur Kenntnis zu nehmen, dass es stattgefunden hat und dass es sich zu bestimmten Fragen geäußert hat. Zustimmen müsste man aber solchen Aussagen dann nur, wenn es zu den entsprechenden Fragen keine früheren Lehräußerungen gibt, die höher qualifiziert sind, als der neue konziliar-pastorale Lehrtypus. Auch, wenn noch offen ist, wo genau wir diesen konziliar-pastoralen Lehrtypus im bekannten Stufenbau theologischer Gewissheitsgrade und Zustimmungsarten einordnen müssen, so ist dennoch bereits klar, dass pastorale Lehräußerungen, die im Kontext eines Konzils erfolgen, auf jeden Fall im Verbindlichkeitsgrad etwas höher stehen, als pastorale Lehräußerungen außerhalb eines Konzils. Ein Konzil ist immer außerordentliches Lehramt. Konziliar-pastorale Lehräußerungen stehen also auch höher als pastorale Lehräußerungen des Papstes in dessen ordentlichem Lehramt.

Wir sehen: Es ist nicht einfach, von der Piusbruderschaft pauschal zu verlangen, das II. Vatikanische Konzil anzuerkennen. Und: Das Konzil anzuerkennen, ist auch keine Frage, die nur die Piusbruderschaft betrifft. Wir verdanken dem Konzil einen neuen, den konziliar-pastoralen, Lehrtypus, und auch innerhalb dieses Lehrtypus sind noch weitere Abstufungen möglich. Gerade wenn wir diese neue Leistung des Konzils ernstnehmen und wertschätzen wollen, müssen wir klären, welchen Rang dieser Lehrtypus hat. Ihm entsprechen nämlich die, nochmals gestuften, Zustimmungsarten – man beachte die „Hierarchie“ innerhalb der Konzilsdokumente  – mit denen nicht nur die Piusbruderschaft und ihre Gläubigen, sondern alle Katholiken (konziliar-)pastoral vorgetragene Lehren annehmen und anerkennen müssen. Sie anders anzuerkennen, beispielsweise so wie klassische Dogmen, würde gerade heißen, die eigentliche Errungenschaft konziliar-pastoralen Lehrens zu verkennen oder zu ignorieren. Möglicherweise wurde diese Errungenschaft trotz aller Konzilseuphorie noch gar nicht wirklich erkannt oder jedenfalls noch nicht ausreichend reflektiert. Es ist erstaunlich und sogar durchaus bedenklich, dass solch eine Klärung bis jetzt nicht wirklich problematisiert und erst recht nicht erbracht worden ist. Ohne sie ist strengenommen auch eine Hermeneutik der Reform in Kontinuität gar nicht möglich.

„Ich freue mich um euertwillen, dass ich nicht dort war, damit ihr glaubet.“ (Joh 11,15)

Deshalb ist diese Klärung anlässlich des 50. Jubiläums der Konzilseröffnung mehr als nur ein Desiderat oder eine unverbindliche Option,  sondern eine unabdingbare Notwendigkeit und Verpflichtung. Der neue Vizepräsident von Ecclesia Dei,  Erzbischof Augustine DiNoia OP, betrachtet die Lehrmäßige Präambel wörtlich als eine „Sackgasse“ und es als seine Aufgabe, aus dieser herauszuführen. Man darf nicht Steine in den Weg räumen, sondern muss „den Stein hinwegheben“ (vgl. Joh 11, 39). Wenn die Präambel jetzt – wieder und nicht aus Fellays Schuld – eine Sackgasse ist, so zweifelsohne deshalb, weil ungeklärt ist, was „Anerkennung“ pastoraler Lehräußerungen eines Konzils eigentlich bedeutet. Fellay spricht davon, mit der ihm am 13. Juni 2012 zur Unterschrift vorgelegten Präambel sei man wieder ganz an den Anfang zurückgeworfen, so als hätte der theologische Dialog nie stattgefunden. Der Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X. sagt, die Verhandlungen seien ins Stocken geraten und hätten gar einen Toten Punkt erreicht. Dies alles klingt sehr besorgniserregend, und es kommt dem Beobachter ein überraschend moderner Ansatz in den Sinn. Man fühlt sich an ein Bibliodrama erinnert und hofft, dass DiNoia Fellay bald zuruft: „Lazarus, komm heraus!“ (Joh 11,43)

Foto: Erweckung des Lazarus – Bildquelle: kirchengucker.de

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