Gaudium et spes. Artikel 78
Einleitung von Gero P. Weishaupt: Vor dem Hintergrund der Schrecken des Ersten und Zweiten Weltkrieges, des Einsatzes von Atombomben ĂŒber Hieroshima und Nagasaki im August 1945, der Kuba-Krise kurz nach Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober 1962, die die Menschheit an den Rand eines Atomkrieges gefĂŒhrt hat, und der 1963 erschienenen Enzyklika Pacem in terris von Johannes XXIII. erklĂ€ren die KonzilsvĂ€ter im 5. Kapitel des zweiten Teils der Pastoralkonstitution Gaudium et spes den Begriff des Friedens, verurteilen die Unmenschlichkeit des Krieges und richten einen Appell an alle Christen, âmit Hilfe Christi, in dem der Friede grĂŒndet, mit allen Menschen“ zusammenzuarbeiten, âum untereinander in Gerechtigkeit und Liebe den Frieden zu festigen und all das bereitzustellen, was dem Frieden dientâ (Art. 77).
In Artikel 78 erlĂ€utern die KonzilsvĂ€ter den Begriff bzw. das Wesen des Friedens (De natura pacis). Wenngleich sie ihn nicht zitieren, so ist doch erkennbar, dass sie sich dabei – in KontinuitĂ€t mit der Tradition – auf den klassischen Begriff des Friedens berufen, der in der katholischen Theologie und in lehramtlichen Aussagen immer zugrundegelegt worden ist: âPax omnium rerum tranquillitas ordinisâ, zu Deutsch: Der allgemeine Frieden ist die Ruhe der Ordnung. Der Begriff stammt vom Kirchenvater Augustinus (in: De civitate Dei XIX 13, 1). Frieden ist demnach nicht einfach die Abwesenheit von Krieg (absentia belli) oder ein Zustand des âGleichgewichtes entgegengesetzter KrĂ€fte (adversarum virium aequilibrium). Der âallgemeine Friede in der Ruhe der Ordnungâ ist von Gott der menschlichen Gesellschaft eingestiftet. Damit wird ausgesagt, dass der Frieden schon in der Schöpfungsordnung verankert ist, nĂ€herhin im Naturrecht, das wiederum die Grundlage der MenschenwĂŒrde und des Völkerrechtes ist.
Irdischer Friede sei aber immer brĂŒchig wegen des durch die SĂŒnde verwundeten menschlichen Willens. Wahrer Friede kann darum nur von Christus kommen, der âdurch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und in seinem Leib wiederhergestelltâ hat. Darum könne es keinen Frieden geben ohne Liebe, ohne Achtung vor dem Wohl der Person. âDer feste Wille, andere Menschen und Völker und ihre WĂŒrde zu achten, gepaart mit einsatzbereiter und tĂ€tiger BrĂŒderlichkeit â das sind unterlĂ€Ăliche Voraussetzung fĂŒr den Aufbau des Friedensâ, so die KonzilsvĂ€ter. Ein Friede, âder seinen Ursprung in der Liebe zum NĂ€chsten hat, ist zugleich auch Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat. ⊠Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen und so die SĂŒnde ĂŒberwinden, ĂŒberwinden sie auch die Gewaltsamkeit âŠâ
Gaudium et spes. Artikel 78
„Der Friede besteht nicht darin, daĂ kein Krieg ist; er lĂ€Ăt sich auch nicht bloĂ durch das Gleichgewicht entgegengesetzter KrĂ€fte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heiĂt vielmehr mit Recht und eigentlich ein „Werk der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17). Er ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher GrĂŒnder selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muĂ. Zwar wird das Gemeinwohl des Menschengeschlechts grundlegend vom ewigen Gesetz Gottes bestimmt, aber in seinen konkreten Anforderungen unterliegt es dem stĂ€ndigen Wandel der Zeiten; darum ist der Friede niemals endgĂŒltiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfĂŒllende Aufgabe. Da zudem der menschliche Wille schwankend und von der SĂŒnde verwundet ist, verlangt die Sorge um den Frieden, daĂ jeder dauernd seine Leidenschaft beherrscht und daĂ die rechtmĂ€Ăige Obrigkeit wachsam ist.
Dies alles genĂŒgt noch nicht. Dieser Friede kann auf Erden nicht erreicht werden ohne Sicherheit fĂŒr das Wohl der Person und ohne daĂ die Menschen frei und vertrauensvoll die ReichtĂŒmer ihres Geistes und Herzens miteinander teilen. Der feste Wille, andere Menschen und Völker und ihre WĂŒrde zu achten, gepaart mit einsatzbereiter und tĂ€tiger BrĂŒderlichkeit – das sind unerlĂ€Ăliche Voraussetzungen fĂŒr den Aufbau des Friedens. So ist der Friede auch die Frucht der Liebe, die ĂŒber das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag. Der irdische Friede, der seinen Ursprung in der Liebe zum NĂ€chsten hat, ist aber auch Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat und der von Gott dem Vater ausgeht. Dieser menschgewordene Sohn, der FriedensfĂŒrst, hat nĂ€mlich durch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und in einem Leib wiederhergestellt. Er hat den HaĂ an seinem eigenen Leib getötet (1), und durch seine Auferstehung erhöht, hat er den Geist der Liebe in die Herzen der Menschen ausgegossen.
Das ist ein eindringlicher Aufruf an alle Christen: „die Wahrheit in Liebe zu tun“ (Eph4,15) und sich mit allen wahrhaft friedliebenden Menschen zu vereinen, um den Frieden zu erbeten und aufzubauen. Vom gleichen Geist bewegt, können wir denen unsere Anerkennung nicht versagen, die bei der Wahrung ihrer Rechte darauf verzichten, Gewalt anzuwenden, sich vielmehr auf Verteidigungsmittel beschrĂ€nken, so wie sie auch den SchwĂ€cheren zur VerfĂŒgung stehen, vorausgesetzt, daĂ dies ohne Verletzung der Rechte und Pflichten anderer oder der Gemeinschaft möglich ist. Insofern die Menschen SĂŒnder sind, droht ihnen die Gefahr des Krieges, und sie wird ihnen drohen bis zur Ankunft Christi. Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen und so die SĂŒnde ĂŒberwinden, ĂŒberwinden sie auch die Gewaltsamkeit, bis sich einmal die Worte erfĂŒllen: „Zu PflĂŒgen schmieden sie ihre Schwerter um, zu Winzermessern ihre Lanzen. Kein Volk zĂŒckt mehr gegen das andere das Schwert. Das Kriegshandwerk gibt es nicht mehr“ (Jes 2,4).“
Foto: KonzilsvĂ€ter – Bildquelle: Peter Geymayer / Wikipedia