Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes. Abschließende Bemerkungen
In den vergangenen Monaten hat Kathnews im Rahmen des gegenwärtigen Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils (bis zum 8. Dezember 2015) seine Aufmerksamkeit vor allem auf eine Auswahl von Texten der Pastoralkonstitution Gaudium et spes gerichtet. Den Texten ging jeweils eine kurze Einführung voraus. Darüber hinaus wurden einschlägige Texte der beiden Erklärungen über die Religionsfreiheit (Dignitatis humanae) und des Verhältnisses der Katholischen Kirche zu den anderen nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) vorgestellt und kurz eingeleitet. Eine Übersicht über die bisher behandelten Texte findet der Leser auf meiner Homepage. Am Ende folgen hier kurze zusammenfassende und grundsätzliche Bemerkungen zur Pastoralkonstitution Gaudium et spes.
Die Eigenart der Pastoralkonstitution
Gaudium et spes setzt sich aus zwei Hauptteilen zusammen: einem lehrmäßigen und einem praktischen. Jedes Kapitel dieser beiden Hauptteile verfährt nach demselben Muster: Zunächst wird eine Situationbeschreibung geboten und die Mehrdeutigkeit dieser Situation hervorgehoben: Errungenschaft und Gefahr.
Öffnung zur Welt
Mit der Pastoralkonstitution Gaudium et spes intendierten die Konzilsväter eine Öffnung der Kirche zur Welt. „Aufgrund geistesgeschichtlicher Entwicklungen (Französische Revolution, Menschenrechte, Demokratie, Atheismus usw.) war die Kirche in die Defensive geraten. Die Kirche verstand sich lange Zeit als ‚Bollwerk‘ gegen die Moderne. … In Gaudium et spes kehrt sich die Kirche hin zur Welt und zum Heute. Das Konzil verzichtet auf die Wiederholung der bisherigen Verurteilungen der ‚Irrtümer der Zeit‘ (Menschenrechte, Presse-, Religionsfreiheit). Vielmehr ist es davon überzeugt, dass die großen geschichtlichen Entwicklungen und die sozialen Veränderungen mit der Verwirklichung des Reiches Gottes zusammenhängen. Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu deuten heißt, die Welt als einen Wahrheits-Ort zu verstehen“ (Erhard Lesacher, „Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes (GS)“, in: Lesebuch. Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, hrsg. von H.P. Weber und E. Lesacher, Wien 2012, 215 f.).
Pastoraler Charakter und Verbindlichkeit der Konstitution
Die Konzilsväter gehen in einer Fußnote zu Beginn der Pastoralkonstitution näher auf die Frage ein, wie sie die Konstitution verstanden haben wollen. Der Text sei hier ungekürzt wiedergegeben:
„Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute besteht zwar aus zwei Teilen, bildet jedoch ein Ganzes. Sie wird ‚pastoral‘ genannt, weil sie, gestützt auf Prinzipien der Lehre, das Verhältnis der Kirche zur Welt und zu den Menschen von heute darzustellen beabsichtigt. So fehlt weder im ersten Teil die pastorale Zielsetzung noch im zweiten Teil die lehrhafte Zielsetzung. Im ersten Teil entwickelt die Kirche ihre Lehre vom Menschen, von der Welt, in die der Mensch eingefügt ist, und von ihrem Verhältnis zu beiden. Im zweiten Teil betrachtet sie näher die verschiedenen Aspekte des heutigen Lebens und der menschlichen Gesellschaft, vor allem Fragen und Probleme, die dabei für unsere Gegenwart besonders dringlich erscheinen. Daher kommt es, daß in diesem zweiten Teil die Thematik zwar den Prinzipien der Lehre unterstellt bleibt, aber nicht nur unwandelbare, sondern auch geschichtlich bedingte Elemente enthält. Die Konstitution ist also nach den allgemeinen theologischen Interpretationsregeln zu deuten, und zwar, besonders im zweiten Teil, unter Berücksichtigung des Wechsels der Umstände, der mit den Gegenständen dieser Thematik verbunden ist.“
Richtig verstandenes „Aggiornamento“
Es ist das in der Eröffnungssprache Gaudet Mater Ecclesia von Papst Johannes XXIII. erklärte Ziel des Zweiten Vatikanischen Konzils, das sich besonders der Pastoralkonstitution Gaudium et spes Ausdruck verschafft, die Lehre, den Glauben der Kirche, das unveränderliche depositum fidei pastoral darzulegen. Das Konzil war fern davon, den Glauben zu ändern und den Bedürfnissen der Zeit anzupassen. Aggiornamento (Italienisch = „Verheutigung“) heißt nicht Anpassung und Anbiederung an den Zeitgeist, an den von der öffentlichen Meinung diktierten Zeitgeschmack, sondern ist Ausdruck der „bleibenden Vitalität des Glaubens, der immer wieder neu unter den wechselnden Lebensumständen ausgesagt und gelebt werden muss“ (Benedikt XVI.). Inhaltliche Glaubensfragen stehen darum für das Zweite Vatikanische Konzil nicht zur Diskussion. Aber die Kirche will ihre Lehre im Blick auf Sprache, Denken, Kultur, im Blick auf den Menschen der modernen Zeit jeweils neu formulieren.
Pastorale Sprache
Diese Grundintention prägt auch den Sprachstil der Pastoralkonstitution wie auch der anderen Konzilsdokumente. Der im Vergleich zu Texten früherer Konzilien andere Ton der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils fällt nicht nur im lateinischen Original auf. Die Konzilsväter bemühten sich, schöpfend aus der biblisch-patristischen Tradition, um eine auch für Kirchenferne verständliche Sprache. Neuscholastische Formulierungen werden vermieden, juridische Präzision auf ein Minimum reduziert. „Der Stil muß … hier mit der Sache der Pastoralkonstitution selber zusammenhängen. Er ergibt sich daraus, daß man sich ursprünglich ausdrücklich (auch) an die Nicht-Christen wenden wollte und später auch an die Glieder der Kirche, sofern sie mit den Nicht-Christen zusammen in gemeinsamen Lebenszusammenhängen wirken und mit ihnen die `Welt` bilden. Damit scheidet nicht nur jede theologische Fachsprache, sondern überhaupt jede Insidersprache aus, bis auf das unverzichtbare Minimum, das man braucht, wenn man überhaupt aus der Sicht des Glaubens redet“ (Otto Hermann Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte, Verlauf – Ergebnisse, Nachgeschichte, 2. Auflage, Würzburg 1994, 326 f.).
Authentische Interpretation von Gaudium et spes
So sehr freilich dieser Sprachstil, den man bei anderen Konzilien nicht kennt, aus dem pastoralen Charakter des Konzils überhaupt und besonders der Pastoralkonstitution Gaudium et spes folgt und – im Hinblick auf den Adressaten der Konstitution – sicherlich begrüßenswert ist – man wollte sich ja der Welt verständlich machen und daher jeden kirchlichen „Jargon“ (O.H. Pesch) auf ein Minimum beschränken -, so sehr ist dieser Sprachstil – das darf man nicht übersehen – mitverantwortlich für Missverständnisse und Fehlinterpretationen in der Rezeption der Texte in der Zeit nach dem Konzil. Es ist das nachkonziliare Lehramt gewesen, das mit seiner authentischen Interpretation die Konzilstexte verbindlich erklärt hat. Im Blick auf die Pastoralkonstitution Gaudium et spes sei hier hingewiesen auf die Enzyklika Humanae Vitae von Papst Paul VI. von 1968 oder die Instruktion der Glaubenkongregation vom 6. August 1984 über einige Aspekte der „Theolgie der Befreiung“. Nicht zuletzt müssen auch im Zusammenhang mit der authentischen Interpretation von Gaudium et spes die Sozialenzykliken Pauls VI., Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. sowie das Gesetzbuch der Katholischen Kirche (Codex Iuris Canonici 1983) und der 1992 auf Initiative Papst Johannes Pauls II. herausgegebene Katechismus der Katholischen Kirche erwähnt werden.
Foto: Konzilsväter – Bildquelle: Lothar Wolleh / Wikipedia