Die Klagemöglichkeit bei Liturgiemißbrauch

Ein kanonistischer Kommentar von Mag. theol. Michael Gurtner.
Erstellt von Mag. Michael Gurtner am 16. Februar 2012 um 09:33 Uhr
Missale Romanum

In manchen Pfarreien und Gegenden ist der bisweilen schwere liturgische Mißbrauch an der Tagesordnung, worunter viele Gläubige leiden – ja die ganze Kirche leidet unter diesen Vergehen. Aus diesem Grund scheint es angezeigt, die Gläubigen über ihre Rechte sowie die Möglichkeiten, sich diesen Mißbräuchen zur Wehr zu setzen, zu erhellen.

Die Kirche fordert ausdrücklich zum Beschreiten des kirchlichen Rechtsweges auf

In der sogenannten „Mißbrauchsinstruktion“ Redeptionis Sacramentum (RS) ist das gesamte letzte Kapitel dem Thema „Abhilfen“ gewidmet. Nummer 170 sieht ausdrücklich vor, daß alle zu Verfügung stehenden (Rechts)Mittel angewendet werden. Es sieht darin eine Notwendigkeit und verpflichtet, bei Anhalten der Mißbräuche den Rechtsweg zu beschreiten: „Wo die Mißbräuche dennoch weiterbestehen, muß zum Schutz des geistlichen Gutes und der Rechte der Kirche nach Maßgabe des Rechts unter Anwendung aller rechtmäßigen Mittel vorgegangen werden.“

Der Ordinarius ist hierbei nach can. 1717 §1 des CIC als erstes in die Pflicht genommen einzuschreiten. Erlangt er auch eine nur wahrscheinliche Kenntnis von einem Liturgiemißbrauch, so muß er selbst oder durch eine beauftragte Person entsprechende Voruntersuchungen einleiten: „Erhält der Ordinarius eine wenigstens wahrscheinliche Kenntnis davon, daß eine Straftat begangen worden ist, so soll er selbst oder durch eine andere geeignete Person vorsichtig Erkundigungen über den Tatbestand, die näheren Umstände und die strafrechtliche Zurechenbarkeit einziehen, außer dies erscheint als gänzlich überflüssig“. (Vgl. auch Nr. 177 und Nr. 178 von Redemptionis Sacramentum; hier wird ganz besonders die Hl. Eucharistie herausgehoben, wenngleich dies für jedwede Liturgiemißbräuche oder auch andere Straftaten Geltung hat).

Ist der Ordinarius durch das Gesetz verpflichtet einzuschreiten, so ist jeder Mensch, egal ob getauft oder ungetauft, zur gerichtlichen Klage berechtigt (Can. 1476), wobei speziell den Gläubigen das Recht auf eine Liturgie gemäß den Vorschriften der Kirche zugeschrieben ist: „Die Gläubigen haben das Recht, den Gottesdienst gemäß den Vorschriften des eigenen, von den zuständigen Hirten der Kirche genehmigten Ritus zu feiern und der eigenen Form des geistlichen Lebens zu folgen, sofern diese mit der Lehre der Kirche übereinstimmt“ (Can. 214).

Die Gläubigen haben also einen Rechtsanspruch darauf, daß der Priester die Liturgie gemäß den liturgischen Vorschriften der Kirche zelebriert. Der Priester hingegen hat umgekehrt aus diesen (wie auch noch aus anderen) Gründen die schwere Pflicht zur Einhaltung der Rubriken und „Neriken“.

RS 183 betont sogar die Verpflichtung aller Gläubigen für die Beseitigung liturgischer Mißbräuche zu sorgen: „Alle haben entsprechend den Möglichkeiten in ganz besonderer Weise dafür zu sorgen, dass das heiligste Sakrament der Eucharistie vor jeder Art von Ehrfurchtslosigkeit und Missachtung bewahrt wird und alle Missbräuche vollständig korrigiert werden. Dies ist für alle und für jeden einzelnen eine sehr wichtige Aufgabe, und alle sind ungeachtet der Person zur Verwirklichung dieser Aufgabe gehalten.“

Vier Fälle sind der Suprema vorbehalten, zahlreiche Fälle sind meldeindiziert

Handelt es sich um „Graviora delicta“, d.h. um besonders schwere Fälle, so sind diese nach Nr. 52 von Pastor Bonus dem Heiligen Offizium vorbehalten und können daher nicht auf lokalkirchlicher Ebene abgehandelt werden. RS zählt dabei vier Straftatbestände zu den Graviora delicta:

a) Das Entwenden oder Zurückbehalten der eucharistischen Gestalten in sakrilegischer Absicht oder das Wegwerfen derselben;

b) Der Versuch oder die Vortäuschung der liturgischen Handlung des eucharistischen Opfers;

c) Die verbotene Konzelebration des eucharistischen Opfers zusammen mit Dienern kirchlicher Gemeinschaften, die nicht in der apostolischen Sukzession stehen und die sakramentale Würde der Priesterweihe nicht anerkennen;

d) Die Konsekration der einen Gestalt ohne die andere in der Eucharistiefeier in sakrilegischer Absicht oder auch von beiden Gestalten außerhalb der Eucharistiefeier.

Diese Fälle müssen nach Nr. 179 RS unverzüglich der Heiligen Glaubenskongregation gemeldet werden: „Die Straftaten gegen den Glauben und die bei der Feier der Eucharistie und der anderen Sakramente begangenen graviora delicta sind unverzüglich der Kongregation für die Glaubenslehre zur Kenntnis zu bringen“.

Für alle anderen Fälle ist zunächst der Diözesanbischof zuständig und zum Handeln gemäß den Rechtsvorschriften verpflichtet, wobei er in Nr. 180 RS eigens zur Befolgung von can. 1326 aufgerufen wird, in welchem es heißt, daß unter gewissen Umständen der Täter härter zu bestrafen ist als vom Gesetz vorgesehen, so etwa wer auch nach einer Erstbestrafung in seinem strafwürdigen Verhalten verharrt, oder aber wer sich in einer höheren Stellung befindet.

Von den graviora delicta sind die „Schwerwiegenden Angelegenheiten“ unterschieden, sie umfassen eine ganze Reihe von Delikten, welche keine genaue Zahl umfassen. Diese müssen vom Ordinarius geahndet und bestraft werden, wobei auch hier ein ausdrückliches Meldegebot an die Heilige Liturgiekongregation besteht: „Andernfalls soll der Ordinarius nach Maßgabe der heiligen Canones vorgehen, gegebenenfalls die kanonischen Strafen anwenden und sich besonders die Vorschrift von can. 1326 vor Augen halten. Handelt es sich um schwerwiegende Angelegenheiten, soll er die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung benachrichtigen.“

Die „schweren Angelegenheiten“ sind zahlenmäßig nicht definiert, sehr wohl aber inhaltlich: „Auch wenn das Urteil über die Schwere einer Sache gemäß der allgemeinen Lehre der Kirche und der von ihr festgesetzten Normen zu treffen ist, sind zu den schwerwiegenden Angelegenheiten objektiv immer jene zu rechnen, die die Gültigkeit und die Würde der heiligsten Eucharistie in Gefahr bringen“ (Nr. 173 RS).

Die Anzeige ist nur bedingt empfehlenswert

An sich gibt es für die Gläubigen zwei Möglichkeiten einem Liturgiemißbrauch zu begegnen: einerseits die einfache Anzeige, andererseits die kirchenrechtliche Klage. Was die Anzeige anbelangt, so sagt Nr. 181 RS: „Sooft die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung auch nur von der Wahrscheinlichkeit einer Straftat oder eines Missbrauchs bezüglich der heiligsten Eucharistie erfährt, benachrichtigt sie den Ordinarius, damit er die Sache untersuche. Wo es um eine schwerwiegende Angelegenheit geht, soll der Ordinarius demselben Dikasterium so bald wie möglich ein Exemplar der Akten bezüglich der Untersuchung und gegebenenfalls der verhängten Strafe übermitteln“. Dies ist eine sehr formlose Möglichkeit, allerdings zeigt die Erfahrung auch, daß solche Anzeigen meist folgenlos bleiben: In einem ersten Zug kann die Kongregation nicht recht viel mehr tun als den Bischof zu Untersuchungen auffordern, wobei es scheint, daß dies nicht immer mit der nötigen Sorgfalt und Ernsthaftigkeit betrieben wird. Deshalb empfiehlt sich in solchen Fällen viel eher die kirchenrechtliche Klage, weil hier die „Spielregeln“ klarer und konkreter definiert sind: der Kläger hat ein Anrecht auf eine Behandlung innert Fristen und gemäß einem genau festgelegten Verfahrenslauf.

Die kirchenrechtliche Klage ist vorzuziehen

Jeder Mensch kann nach Can. 1476 als Kläger vor einem kirchlichen Gericht auftreten, so sagten wir bereits. Dies ist wichtig festzuhalten, weil man in den deutschsprachigen Ländern mitunter auf die Meinung trifft, daß solche, welche aus der Kirche ausgetreten wären auch nicht mehr klagsfähig wären, was jedoch ein Irrtum ist.

Ebenso ist festzuhalten, daß sich die Klagsmöglichkeiten nicht nur auf die eigene Diözese beschränken, sondern eine Klage kann prinzipiell in jedem Bistum erfolgen, wobei die Zuständigkeit ausschlaggebend ist, nicht die Diözesanzugehörigkeit des Klägers. Das ergibt sich aus demselben Canon 1476, ebenso aus der Tatsache, daß die gesamte Liturgie stets Angelegenheit der gesamten Kirche ist: es gibt nicht die Hl. Messe der Pfarrei X, sondern die Hl. Messe der Kirche wird in der Pfarrei X gelesen. Das ist ein theologischer Unterschied.

Daß man nicht auf das Gericht der eigenen Diözese beschränkt ist wird noch deutlicher wenn man bedenkt, daß im Kirchenrecht selbst festgeschrieben steht, daß für den Kläger bzw. die Gerichtszuständigkeit, je nach Falllage, entweder der Wohnsitz des Angeklagten ausschlaggebend ist, oder aber der Ort an welchem die Straftat begangen wurde.

An sich stehen dem Kläger zwei Wege offen zwischen welchen er wählen kann: er kann den Weg über den eigenen Bischof bzw. dessen Gericht wählen, oder sich direkt an den Apostolischen Stuhl wenden. Die Kirche empfiehlt dabei, wenn die Umstände nicht anderes nahelegen, sich zunächst an den eigenen Ordinarius zu wenden (RS Nr. 184): „Jeder Katholik, ob Priester, Diakon oder christgläubiger Laie, hat das Recht, über einen liturgischen Mißbrauch beim Diözesanbischof oder beim zuständigen Ordinarius, der ihm rechtlich gleichgestellt ist, oder beim Apostolischen Stuhl aufgrund des Primats des Papstes Klage einzureichen. Es ist aber angemessen, daß die Beschwerde oder Klage nach Möglichkeit zuerst dem Diözesanbischof vorgelegt wird.“ Wählt man den Weg über das eigene Bistum, so ist nach Can. 1419 der Bischof der Richter erster Instanz, wobei er dieses Amt entweder persönlich ausüben kann, oder aber durch dritte.

Auf Grund des (Jurisdiktions)Primates des Papstes besteht das Recht, die Sache zu jeder Zeit direkt dem Heiligen Stuhl zur Entscheidung vorzulegen. Das kann entweder von Anfang an geschehen, oder aber auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Prozeßlaufes: „Aufgrund des Primates des Papstes steht es jedem Gläubigen frei, seine Streit- oder Strafsache in jeder Gerichtsinstanz und in jedem Prozessabschnitt dem Heiligen Stuhl zur Entscheidung zu übergeben oder bei ihm einzubringen“ (CIC Can. 1417 §1). Dieses Recht hat seine Wurzel in der sog. affectio papalis, d.h. im direkten päpstlichen Eingriff, da der Papst als oberster Richter der Weltkirche jeden Fall zu jeder Zeit an sich ziehen und sich selbst vorbehalten kann, wobei er entweder persönlich, oder aber durch seine Kurialorgane handelt. Indem man sich direkt an den Heiligen Stuhl wendet appelliert man quasi an den Papst, von der affectio papalis Gebrauch zu machen und den Fall an sich zu ziehen um ihn durch das entsprechende Dikasterium einer Entscheidung zuzuführen (falls er nicht selbst entscheiden wollte).

Einleitende Klageschrift

Will man den Rechtsweg beschreiten, so ist der erste Schritt die Eingabe einer einleitenden Klageschrift: „Wer jemanden belangen will, muß eine Klageschrift bei dem zuständigen Richter einreichen, in der der Streitgegenstand vorzutragen und der richterliche Dienst zu beantragen ist.“ (CIC Can. 1502), welche an den zuständigen Ortsbischof zu adressieren ist. Diese muß einige Punkte aufweisen: der Richter bei welchem Klage erhoben wird, was und von wem etwas begehrt wird; sie muß angeben, auf welches Recht und, wenigstens allgemein, auf welche Tatsachen und welche Beweismittel sich der Kläger zum Nachweis seiner Klagebehauptung stützt; vom Kläger oder von seinem Prozessbevollmächtigten unterschrieben sein unter Angabe von Tag, Monat und Jahr sowie des Ortes, wo der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter wohnt oder zur Entgegennahme gerichtlicher Zustellungen erreichbar zu sein erklärt, sowie den Wohnsitz oder Nebenwohnsitz des Beklagten angeben. (Can. 1504).

Fehlen Informationen, so kann die Klage zwar abgewiesen werden, jedoch kann sie erneut eingebracht werden sobald die Formfehler behoben sind. Ist die Klageschrift formkorrekt eingegangen, muß der Bischof sich ihrer annehmen wobei er genaue Vorgaben und Fristen einzuhalten hat; innerhalb von 30 Tagen hat er per Dekret die Anklageschruft anzunehmen (oder abzulehnen, was aber in nur ganz wenigen vorgesehenen Fällen möglich ist) und zu entscheiden, ob die Sache auf dem Gerichtsweg, oder aber auf dem Verwaltungsweg behandelt wird, und der Prozeßverlauf beginnt. Angesichts der Häufigkeit und der Schwere der Liturgiemißbräuche sollte man die Rechtsmittel, deren Nutzung ausdrücklich von der Kirche gewünscht und aufgefordert sind, nicht außer acht lassen.

Foto: Missale Romanum – Bildquelle. C. Steindorf, kathnews

 

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