Welches sind die Kriterien für die „Zeichen der Zeit“?

Das Ernstnehmen der „Zeichen der Zeit“ hat nichts mit Anpassung und Anbiederung an einen „Zeitgeist“ zu tun. Was sagt das Vaticanum II darüber? Von Gero P. Weishaupt.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 30. März 2017 um 11:41 Uhr
Vaticanum II, Konzilsväter

Von Dr. Gero P. Weishaupt:

Jüngst hat sich der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhart Fürst, zum Diakonat der Frau geäußert. Dabei berief er sich auf die „Zeichen der Zeit“. Was ist damit gemeint?

Papst Johannes XXIII.

Es war der heilige Papst Johannes XXIII., der diesen Begriff in zwei  kirchenamtlichen Texten verwendete: in seiner Bulle Humanae salutis von 1961, mit der er das Zweite Vatikanische Konzil einberufen hatte, und dann 1963 – während des Konzils – in seiner Enzyklika Pacem in terris. Dabei konnte sich der Papst auf das Matthäusevangelium berufen, in dem im 16. Kapitel Vers 3 die Rede von den „semeia toon kairoon“ ist, von den „Zeichen der Zeit“. In seinen päpstlichen Schreiben verstand Johannes XXIII. darunter Hauptfakten, die eine bestimmte Epoche in der Geschichte kennzeichnen.

Das Zweite Vatikanische Konzil

Die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils haben den Ausdruck übernommen. Ihn und verwandte Begriffe findet man in verschiedenen Konzilsdokumenten in je unterschiedlichem Zusammenhang, so etwa in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium (3), im Dekret über das Leben der Priester Presbyterorum ordinis (9), im Ökumenismusdekret Unitatis redintegatio (4), in der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum ( 15) sowie im Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem (14). In Gaudium et spes, dem Konzilsdokument, das sich mit dem Verhältnis der Kirche in der Welt von heute auseinandersetzt und damit neben der Kirchenkonstitution Lumen gentium ein Hauptdokument des Zweiten Vatikanischen Konzils ist, kommen die „Zeichen der Zeit“ (signa temporum) zweimal vor, nämlich in Kapitel 4 und 11.

Das Konzil versteht die „Zeichen der Zeit“ als den konkrete Anruf Gottes durch geschichtlich-gesellschaftliche Entwicklungen in einer bestimmten Epoche. So heißt es in Gaudium et spes 11:

„Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluss hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert daher den Geist auf wirklich humane Lösungen hin.“

Die Kirche hat in der Gabe des Heiligen Geistes, der sie beseelt, die Gabe und die Aufgabe der Unterscheidung: Sie soll in den so verstandenen „Zeichen der Zeit“ den christlichen Sinn erkennen. Darum sind nur solche „Ereignisse, Bedürfnisse und Wünsche“ authentische „Zeichen der Zeit“, durch die Gott den Menschen einer jeweiligen geschichtlichen Epoche etwas sagen will und die im Licht des Evangeliums als Anfruf Gottes gedeutet werden können.

Kriterien für die Deutung der „Zeichen der Zeit“

Damit sind die Kriterien für die Deutung als „Zeichen der Zeit“, also als Anruf Gottes an die Menschen einer bestimmten Zeitepoche, vorgegeben: die Heilige Schrift und die Tradition, also die beiden nicht voneinander zu trennenden Ströme, die aus der einen Quelle, nämlich der Selbstoffenbarung Gottes, in die Menschheitsgeschichte fließen (vgl. Dei Verbum 12). Die in der Heiligen Schrift offenbarte Schöpfungsordnung wird durch das Naturrecht bestätigt und findet in ihm ihre philosophische Aussage. Entwicklungen, Strömungen und Auffassungen in einer Gesellschaft, die nicht durch den Glauben und die ihn tragende und durch den Heiligen Geist erleuchtete Vernunft, d.h. durch das unveränderlichen Naturgesetz, aus dem sich sittliche Normen ableiten lassen, rechtfertigt werden können, sind darum keine „Zeichen der Zeit“. So sind z. B. der gegenwärtig virulente Gender-Mainstream oder die von bestimmten Gruppierungen geforderte gleichgeschlechtlich Ehe vor diesem Hintergrund keine „Zeichen der Zeit“, denn sie widersprechen sowohl der Offenbarung als auch der Vernunft, insofern sie mit der Natur des Menschen unvereinbar sind. Sie als Zeichen der Zeit zu bezeichnen hieße, sich an den Zeitgeist anzubiedern.

Das Ernstnehmen der „Zeichen der Zeit“ hat nichts mit Anpassung und Anbiederung an einen „Zeitgeist“ zu tun. Geschichtliche Ereignisse, aber auch Bedürfnisse und Wünsche der Menschen einer bestimmten Epoche in der Geschichte sind nur „Zeichen der Zeit“ „im Licht des Evangeliums“. Die Konzilsväter nennen an anderer Stelle Beispiele solcher „Zeichen der Zeit“: im Ökumenismusdekret die ökumenische Bewegung, d.h. die „Bestrebungen, durch Gebet, Wort und Werk zu jener Füller der Einheit zu gelangen, die Jesus Christus will“ (UR, 4) und im Dekret über das Laienapostolat den „wachsende(n) und unwiderstehliche(n) Sinn für die Solidarität aller Völker“ (AA, 14). Papst Johannes XXIII. kennzeichnete in Pacem et terris 1963 den Aufstieg der Arbeiterklasse, die Emanzipation der Frau und das Freiheitsstreben der Kolonialvölker als „Zeichen der Zeit“.

Frauendiakonat – „Zeichen der Zeit“?

Ist der Diakonat der Frau ein Zeichen der Zeit? Das zu beurteilen, steht einem einzigen Bischof nicht zu. Zumal es Bischöfe gibt, die diese Auffassung nicht teilen. So der Regensburger Mitbruder von Bischof Fürth, Rudolf Vorderholzer. Dieser sprach sich neulich in der katholischen Zeitung „Die Tagespost“ gegen die Einführung des Frauendiakonats aus mit der Begründung, dass die Kirche „in der Treue zu ihrem biblischen und frühkirchlichen Ursprung nicht berechtigt“ sei, Frauen zur dreistufigen Weihe zuzulassen. Allerdings räumte der Regensburger Bischof ein, dass for Frage des Frauendiakonats noch nicht endgültig geklärt sei.

Das Beispiel zeigt einerseits, dass die Deutung der „Zeichen der Zeit“ nicht so einfach ist, wie Bischof Fürth dies zu meinen scheint, anderseits weist Bischof Vorderholzer auf wichtige Kriterien für eine zutreffende Deutung, indem er an die biblischen und frühkirchlichen Ursprünge erinnert. Damit sprechen die Offenbarung und die Tradition gegen das Frauendiakonat. Erinnert sei auch an die Publikationen von Gehard Ludwig Müller, dem heutigen Kardinalpräfekten der Glaubenskongregation, wonach sowohl die historische Evidenz als auch dogmatische Gründe (Einheit des Weihesakraments) das sog. Frauendiakonat ausschließen!

Die letzte Deutungsautorität hat jedoch das höchste kirchliche Lehramt, also der Papst für sich oder er zusammen mit dem gesamten Bischofskollegium. Nur das höchste Lehramt der Kirche wird unter Führung des Heiligen Geistes im Licht von Offenbarung und Tradition beurteilen können, ob die Einführung des Frauendiakonates tatsächlich als „Zeichen der Zeit“ im Sinne eines Anrufes Gottes an sein Volk und die Menschen unserer Zeit gedeutet werden kann.

Foto: Konzilsväter – Bildquelle: Lothar Wolleh / Wikipedia

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung