„Vielleicht haben die Traditionalisten das Zweite Vatikanische Konzil richtig verstanden.“

Neuer Nuntius in der Schweiz schätzt die Arbeit der Piusbruderschaft.
Erstellt von kathnews-Redaktion am 24. Dezember 2015 um 17:39 Uhr

Bern (kathnews/NZZ). Wer sich den Botschafter des Papstes vorstellt, hat wahrscheinlich einen feingliedrigen, italienischen Kirchenmann vor dem inneren Auge. Doch der Mann, der uns in seiner Residenz im Berner Kirchenfeldquartier freundlich empfängt, entspricht so ganz und gar nicht diesem Bild. Thomas Edward Gullickson ist gross und kräftig und spricht Deutsch mit einem amerikanischen Akzent. Geboren wurde er 1950 in Sioux Falls im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten.

An diplomatischen Hotspots

Nicht nur wir wollen wissen, wieso es ausgerechnet einen Mann aus South Dakota in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls verschlagen hat. «Genau diese Frage hat mir Papst Johannes Paul II. auch gestellt, als er 1989 in Wien in der Nuntiatur übernachtet hat», erzählt Gullickson mit einem Schmunzeln. Mit einem Anteil von 25 Prozent stellen die Katholiken in diesem US-Gliedstaat die grösste Konfession. «Für mich war klar, dass ich zum Priester berufen bin, seitdem ich nicht mehr davon träumte, Cowboy oder Feuerwehrmann zu werden», erklärt der aus einer Familie mit norwegischen Wurzeln stammende Erzbischof.

Bei einem Blick auf seine diplomatische Karriere fällt auf, dass Gullickson seit 1985 immer wieder auf Posten war, wo gerade Weltgeschichte geschrieben wurde. Bevor er im September von Papst Franziskus zum Apostolischen Nuntius in der Schweiz und in Liechtenstein berufen wurde, übte er dieses Amt vier Jahre in der krisengeschüttelten Ukraine aus, wo er sich allerdings nicht richtig wohl fühlte. 1990 hatte er die Ehre, als erster Nuntius seit dem Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei die Nuntiatur in Prag zu eröffnen. Während über acht Jahren in Deutschland, die ersten fünf in Bonn, und dann nach Übersiedlung in der neuen alten Hauptstadt Berlin trug er dazu bei, Kirchenverträge in den neuen Bundesländern auszuhandeln.

Dass er nun die römisch-katholische Kirche als Botschafter in der Schweiz vertritt, war nicht unbedingt zu erwarten gewesen. «Normalerweise wird man auf diesen begehrten Posten zum Schluss der diplomatischen Laufbahn berufen, die beim Vatikan bis zum 75. Altersjahr dauert», sagt Gullickson. Die Schweiz kennt der Ehrenprälat des Papstes nicht nur aus seiner Tätigkeit in den umliegenden Ländern. Eine seiner Schwestern ist mit einem Schweizer verheiratet und lebt seit vielen Jahren in Vevey.

Eifriger Twitterer

Darauf angesprochen, dass der Umgang mit der römisch-katholischen Kirche der Schweiz für Rom nicht immer ganz einfach sei, gibt sich der neue Botschafter des Papstes betont zurückhaltend. Er werde eher schweigen, bis er sich vertiefter mit dem Selbstverständnis der Kirche in den verschiedenen Sprachregionen befasst habe. «Ich muss keine Anweisungen von Rom umsetzen, sondern werde mir die Zeit nehmen, mit den Menschen zu sprechen», stellt Gullickson klar. Um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, setzt der Kirchenmann auch auf moderne Medien. So twittert er unter dem Namen @GullicksonEd eifrig zu kirchlichen und politischen Themen wie etwa den Bundesratswahlen, ausserdem bloggt er regelmässig.

«Liberalismus ist Sünde»

Wie viele Vertreter des US-amerikanischen Klerus liegt Gullickson auf der konservativen Linie. So empfiehlt er in einem seiner letzten Blog-Beiträge unter dem Titel «Ultramontanist und stolz darauf» eine neu erschienene englische Übersetzung des Buches «Liberalismus ist Sünde» zur Lektüre. Dieses antimodernistische Standardwerk, das der spanische Priester Félix Sardá y Salvany Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben hat, öffne Türen für jene Katholiken, die lieber Christus folgen wollten, als den Zeitgeist zu umarmen.

Seit seinem Amtsantritt in der Schweiz hatte der Erzbischof noch keinen Kontakt zu traditionalistischen Glaubensgemeinschaften, doch schätzt er deren Arbeit. «Häufig bieten diese Gruppierungen den Menschen eine Art Hort, wo sie sich sicherer fühlen, um im christlichen Glauben leben zu können», sagt er. «Vielleicht haben die Traditionalisten das Zweite Vatikanische Konzil richtig verstanden. Nach dieser Versammlung wurden einige Dinge etwas einfältig zu schnell aufgegeben, und es wurde zu wenig Sorge getragen zu den Leuten», sagt Gullickson. Als Beispiel nennt er den Verlust der gemeinsamen Orientierung der Liturgie während des Hochgebets an Christus, was er sehr bedauert.

Seinen ersten grossen öffentlichen Auftritt wird Thomas Gullickson am 13. Januar beim Neujahrsempfang im Bundeshaus haben. Dort überbringt der päpstliche Nuntius als Doyen des Diplomatischen Korps traditionell die Glückwünsche der ausländischen Missionschefs. Eine ganz entscheidende Rolle für die Zukunft der katholischen Kirche in der Schweiz wird Gullickson spielen, wenn der Churer Bischof Vitus Huonder im Jahr 2017 seinen 75. Geburtstag feiern und sein Rücktrittsgesuch einreichen wird. Als Nuntius wird er nämlich die Namen für den Dreiervorschlag zusammenstellen, der dann mit Genehmigung des Papstes vom Heiligen Stuhl dem Domkapitel vorgelegt wird und aus dem der neue Bischof gewählt wird.

Foto: Erteilung der Tonsur bei der FSSPX – Bildquelle: pius.info

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung