Im Zeichen des Widerspruchs

Biographie von Ulrich Nersinger ĂŒber Papst Paul VI. erschienen.
Erstellt von Gero P. Weishaupt am 12. Oktober 2014 um 22:22 Uhr
Papst Franziskus und Ulrich Nersinger

Von Gero P. Weishaupt:

Am 14. September 1965 kĂŒndigte Papst Paul VI. zur Überraschung aller bei der Eröffnung der letzten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils die Errichtung einer Bischofssynode an. Sie sollte es ermöglichen, dass die Bischöfe in „kollegialer Gesinnung“ (affectus collegialis, vgl. LG 23) ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus den verschiedenen Teilkirchen, denen sie als Oberhirten vorstehen, zum Wohl der Gesamtkirche einbringen und den Papst bei der Leitung durch ihren Rat beistehen. Mit der Promulgation des Motu Proprio Apostolica Sollicitudo rief Papst Paul VI. die Bischofssynode kirchenrechtlich ins Leben.

Finger Gottes

Zurzeit tagt in Rom die Bischofssynode ĂŒber Ehe und Familie. Zum Abschluss dieser Bischofsversammlung am kommenden Sonntag, dem 19. Oktober 2014, wird Papst Franziskus deren BegrĂŒnder seligsprechen. Den heroischen Tugengrad des aus Norditalien (Concesio unweit von Brescia) stammenden Giovani Battista Montini hatte Papst Benedikt XVI. im Dezember 2012 festgestellt. Papst Franziskus bestĂ€tigte im Juni dieses Jahres ein Wunder, das auf die FĂŒrsprache Pauls VI. erfogt ist. Darin erkennt die Kirche den Finger Gottes, der der Kirche signalisiert, dass der Diener Gottes Papst Paul VI. selig ist.

Im Zeichen des Widerspruchs

Wer war Papst Paul VI.? Diese Frage steht am Anfang einer Biographie von Ulrich Nersinger, dem bekannten Kenner des Vatikans. Papst Paul VI. – so der Autor – stieß schon zu Lebzeiten auf VerstĂ€ndnis bei den einen, auf UnverstĂ€ndis bei den anderen. In der Tat scheint der Montini-Papst eine schillernde Person gewesen zu sein: Anerkennung hier, Ablehnung da. Die einen sehen in ihm einen großen Reformer, die anderen einen rĂŒckstĂ€ndigen Konservativen. Mutig förderte er den Dialog der Kirche mit der Welt, einen zentralen Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils, widmete sogar dem Dialog noch wĂ€hrend des Konzils mit der Enzyklika Ecclesiam Suam ein eigenes apostolisches Schreiben, suchte unermĂŒdlich den ökumenischen Dialog mit nichtkatholischen Christen, unterhielt Kontakt mit Vertretern nichtkirchlicher Religionen. Er fĂŒhrte eine grĂŒndliche Reform der „PĂ€pstlichen Hofes“ durch und verzichtete auf die Tiara, das Symbol der weltlichen Herrschaft des Papstes. In seinem Pontifikat erfolgte die Umsetzung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. FĂŒr die einen bedeutete sie eine authentische Umsetzung der Bestimmungen der KonzilsvĂ€ter, fĂŒr die anderen ging sie zu weit und entfernte sie sich nach ihrer Überzeugung zu sehr von den konziliaren Vorgaben.

Andererseits zeigte sich Papst Paul VI. in seinen Enyzkliken Mysterium fidei ĂŒber das Geheimnis der Eucharistie, in der er u.a. die Lehre von der Transsubstantiation, der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi gegen andere Theorien (Transsignifikation und Transfinalisation) verteidigte, und Humanae vitae ĂŒber die sittlichen aus Offenbarung und Naturrecht abzuleitenden Normen â€žĂŒber die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens“ als Wahrer des katholischen Glaubens und der Sittenlehre der Kirche, zugleich als authentischer Interpret des Zweiten Vatikanischen Konzils. In der Apostolischen Konstitution Indulgentiarum Doctrina von 1967 bestĂ€tigte und erneuerte der Montini-Papst das Ablasswesen der Katholischen Kirche, obgleich er auch dafĂŒr schon im Vorfeld heftige Kritik einstecken musste.

„Wer war Papst Paul VI. wirklich?“

Nersingers Biographie ist im Patrimonium-Verlag erschienen. Sie trĂ€gt den Titel Paul VI. – ein Papst im Zeichen des Widerspruchs. Darin unternimmt der in Eschweiler bei Aachen lebende Theologe und Verfasser vieler BĂŒcher und BeitrĂ€ge ĂŒber den Vatikan, seine Geschichte und die PĂ€pste den Versuch, eine Antwort zu geben auf die Frage „Wer war dieser Mann, der von 1963 bis 1978 auf dem Stuhl Petri saß?“ Kenntnisreich und mit zahlreichen Mitteilungen von Zeitzeugen belegt fĂŒhrt der Autor in einem leicht lesbaren und ihm eigenen kurzweiligen Schreibstil den Leser durch das Leben des zukĂŒnftigen Seligen. Unter anderem kommen die KardinĂ€le Sebastiano Baggio und Sergio Pignedoli, die Bischöfe Petrus Canisius Jean van Lierde und Annibale Bugnini, der „Architekt“ der Liturgiereform, der Chorherrenabt Karl Egger, seines Zeichens Cheflatinist im Pontikat Pauls VI., Schwester Pascalina Lehnert, die kordate „Madre“, die Papst Pius XII. dienen durfte, sowie der Senator Giulio Andreotti zu Wort. Aufschlussreich sind auch die vielen Zitate des Philosophen Gean Guitton, mit dem Papst Paul VI. befreundet war. Es sind gerade diese Mitteilungen und Beobachtungen von Zeitzeugen, die neben vielen persönlichen und kirchenamtlichen Äußerungen Papst Pauls VI. den besonderen Reiz und Wert dieser Kurzbiographie ausmachen. Indem der Autor sie in die Biographie miteinfließen lĂ€sst, tritt die Person des Montini-Papstes dem Leser konkret vor Augen, dessen Pontifikat fĂŒr die kirchliche Gegenwart so nachhaltig ist.

Feststellungsurteil

Mag Papst Paul VI. bei den einen auf Zustimmung, bei den anderen auf UnverstĂ€ndnis, ja auf Ablehnung stoßen, fĂŒr Ulrich Nersinger, dem der Rezensent darin gerne zustimmt, besteht kein Zweifel: „Das Urteil der Kirche ĂŒber Giovanni Battista Montini, Papst Paul VI. wird nicht nach den MaßstĂ€ben der Welt gefĂ€llt, sondern nach den Vorgaben des Glaubens. 
 Die Kirche 
 ÂŽmacht‘ keine Seligen und Heiligen. Vielmehr stellt sie in einem prozessĂ€hnlichen Verfahren nichts anders als einen Tatbestand fest: das Faktum der Heiligkeit“ (Nersinger, S. 130). Die Kirchenrechtler sprechen von einem Feststellungsurteil im Gegensatz zu einem Gestaltungsurteil. Der Papst bestimmt nicht, dass jemand selig (oder heilig) ist, sondern er stellt hoheitlich die Tatsache der Seligkeit (Heiligkeit) mit (moralischer) Gewissheit fest. Die Selig- und Heiligkeit eines Menschen bemisst sich nicht nach seinen Entscheidungen. Sie bemisst sich vielmehr danach, inwieweit ein Mensch vor Gott und seinem Gewissen diese Entscheidungen, die auch (objektiv gesehen) Fehlentscheidungen miteinschließen, unter Einbeziehung aller UmstĂ€nde und Konsequenzen in subjektiver Überzeugung verantworten und tragen kann. Das gilt auch  fĂŒr Entscheidungen eines Papstes, allerdings freilich nur fĂŒr jene, die nicht in den Bereich des unfehlbaren und des definitiven authentischen Lehramtes hineingehören.

So schließt sich der Rezensent, der die Biographie mit Interesse und Gewinn gelesen hat, gerne dem Wunsch des Autors an: „Das Pontifikat Pauls VI. markiert einen Abschnitt in der Kirchengeschichte, von dem es schade wĂ€re, wenn er nicht dazu genutzt wĂŒrde, um die kirchliche Gegenwart zu verstehen und die Zukunft im christlichen Glauben anzugehen.“ Mit seiner Biographie ĂŒber Giovanni Battista Montini/Papst Paul VI. gelingt Ulrich Nersinger ĂŒberzeugend eine Antwort zu geben auf die Frage: Wer war Paul VI.?

Titel: Paul VI., ein Papst im Zeichen des Widerspruchs
Autor: Ulrich Nersinger
ISBN: 978-3-86417-027-0
Einband: Softcover
Seiten: ca 160
Format 13 cm x 21 cm
Preis 14,80 E (D), 15.30  E (A), 21,90 F (CHF)

Foto: Ulrich Nersinger bei einer Generalaudienz mit Papst Franziskus – Bildquelle: Archiv Nersinger

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