Abkoppelung des Pontifikats von den Vorgängern bekommt der Kirche nicht

Anlässlich des 80. Geburtstages von Papst Franziskus blickt Gudrun Sailer, Redakteurin bei der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, auf ein Pontifikat der „Revolution der Herzen“.
Erstellt von Radio Vatikan am 17. Dezember 2016 um 11:43 Uhr
Papst Franziskus

Von Gudrun Sailer (RV):

Uns im Vatikan bringt dieser Papst mit seinen – heute – 80 Jahren nicht nur zum Staunen, sondern auch an unsere Grenzen. Dauernd gibt es etwas Neues, Außerplanmäßiges oder noch nie Dagewesenes.

Morgens kommt man ins Radio und erfährt, er hat wieder einmal irgendwo, nicht bei uns, bei uns noch nie!, ein Interview gegeben oder das Vorwort für ein Buch verfasst (zB über christliche Tattoos, geschrieben von Häftlingen). Er empfängt Leute, die noch nie ein Papst empfangen hat (Transvestiten) oder besucht sie direkt (Priester, die den Dienst quittiert und geheiratet haben). Er regiert, entscheidet, ernennt, hört Beichte, redet ins Gewissen, schreibt oder unterschreibt, als wüsste er, seine Zeit läuft morgen ab. Tut sie ja auch.

Dabei ist 80 Jahre kein Alter für einen Papst. In den letzten 100 Jahren verschieden nur zwei Päpste jünger, sechs dienten über diese Altersgrenze hinaus. Der älteste war Benedikt XVI., er ging mit 86. Mit Franziskus indessen haben wir einen 80-jährigen Turbo-Pontifex. Souverän, doch ganz ohne kaiserliches Schreiten. Unser guter Papa Franz legt ein Tempo vor, dass manchem schwindlig wird, wie das interne Murren gegen seine Gesten und Aussagen beweist. Sein Plan ist anscheinend, sich zu Tode zu arbeiten. So bliebe der Kirche nebenbei auch die schwierige Gegebenheit dreier lebender Päpste erspart. Andererseits, wer weiß, wie Papa Franz das gestalten würde. WG der alten Päpste vielleicht? Ihm ist da alles zuzutrauen.

Hier in Rom ist offenkundig einer am Werk, der seine letzte Raketenzündstufe erreicht hat. 80 Jahre, das Geschenk eines alten Papstes, der den ganzen Reichtum und die ganze Last seiner Erfahrung als Hirte dort draußen mit in die Mitte genommen hat. 44 Jahre als Priester und 21 Jahre als Bischof in einem Schwellenland hatte Jorge Mario Bergoglio auf dem Buckel, als sie ihn an jenem Tag im März 2013 zum Bischof von Rom wählten. Vom Rand kommend, wob er Haltungen und Einsichten in den Petrusdienst, die von Jesus her angelegt sind, aber jetzt erst aufleuchten. Sie sind es, die dieses Pontifikat zu einem Neustart in Kontinuität geraten lassen.

Die Kernsätze von Papst Franziskus sind aus meiner Sicht folgende vier: Vom Rand aus sieht man das Ganze besser. Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee. Es geht nicht darum, Räume der Macht zu besetzen, sondern Prozesse anzustoßen. Und: Es ist an der Zeit, dass wir an einer Kultur der Barmherzigkeit arbeiten. Franziskus sorgt in der Tiefe für etwas Neues, nicht oder nicht nur mit Stückwerk-Reformen. Er versucht und verkörpert nichts weniger als einen Epochenwechsel in der Kirche, weg vom (europäischen) Denken in Kategorien von Recht und Dogma hin zur Überkategorie der Barmherzigkeit. Eine Art Revolution der Herzen.

Viele sind versucht, an diesem Papst, der aus der Ferne kam, das ganz Neue zu sehen. Es stimmt, er hält viele Primate, ich habe einmal eine Liste angelegt, die immer länger wird:

Der erste Papst mit Namen Franziskus und der erste in Tausend Jahren, der nicht den Namen eines Vorgängers wählte, sondern den eines Heiligen. Der erste Papst aus Amerika. Der erste Papst aus dem Jesuitenorden. Der erste aus einer Großstadt, der erste, der als Seelsorger regelmäßig in Slums unterwegs war, der erste, der kochen kann und einen weltlichen Beruf erlernt hat (Lebensmittel-Chemiker), der erste, der nach dem Konzil Theologie studierte, der erste mit einer augenscheinlichen Aversion gegen alle monarchische Symbolik, der erste, der die für ihn vorgesehenen Wohnung verweigerte. Der erste Papst, der sich in der Kirche „Parrhesia” wünscht, also Freimut, der erste, dessen Predigtimpulse der Vatikan nur auszugsweise veröffentlicht, der erste, der persönliche Glaubenskrisen einräumt, der erste Papst als Graffiti-Held. Der erste, der den russisch-orthodoxen Patriarchen traf, der erste, der beim Ritus der Fußwaschung Nicht-Priestern die Füße wäscht und küsst: Frauen, Muslimen, Migranten. Der erste Papst, der Flüchtlinge zu sich nimmt und Strafgefangene nicht nur besucht, sondern in den Vatikan einlädt. Ich könnte fortfahren.

So viele Primate – und so viel Kontinuität, halte ich dagegen. Das bewusste oder ahnungslose Abkoppeln dieses Pontifikats von den Vorgängern bekommt der Kirche nicht. Überdies ist die Institution Kirche kein „Kopf“, und dann kommt lange nichts. Die Kirche ist das Miteinander ihrer Glieder. Auch das verkennt ein Narrativ, das nur auf den „Mann in Weiß“ setzt, weil es bequem ist und der aktuelle Amtsinhaber so cool. Der Papst wird durch den Hype um ihn doppelt abgeschnitten: von der Geschichte seiner Vorgänger und von seiner Institution, die er, das ja, repräsentiert, aber nicht IST.

Der Gratulant lebt seit jungen Jahren mit einem halben Lungenflügel weniger. Ständig außer Atem aber sind wir Vatikanjournalisten, die dem 80-jährigen auf Schritt und Tritt nachhechten. Und wir wissen: so muss es sein. Der Papst ist nicht zur Bequemlichkeit seiner Leute da, sondern zum Segen für die Welt. Und Franziskus ist der Papst, den die Welt heute braucht. Auguri, Papa Franz! Und langes Leben.

Foto: Papst Franziskus – Bildquelle: Kathnews

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